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Kalkulierte Provokation

NATO will neues Grenzregime im Nordkosovo etablieren. Übergänge zu Serbien sollen von EU-Personal und kovoso-albanischen Zöllnern besetzt werden

Von Alexander S. Neu und Rüdiger Göbel *

Europäische Union und NATO provozieren neue Auseinandersetzungen mit den im Kosovo lebenden Serben. Am Freitag soll an zwei Übergängen im Nordkosovo eine Zollkontrolle eingeführt werden. Neben dem Personal der sogenannten EULEX-Mission sollen auch kosovo-albanische Polizisten und Zollbeamte tätig werden. Die serbischen Behörden seien darüber informiert worden, meldet die Tageszeitung Blic. Borislav Stefanovic von der Verhandlungsgruppe der im Kosovo lebenden Serben nannte den Plan für Belgrad »unannehmbar«. Es gelte, ihn zu verhindern. Die Einführung des Grenzregimes werde einen »ruhigen Widerstand der Bürger« in der mehrheitlich von Serben bewohnten Region des Nordkosovo auslösen, so Stefanovic.

Hintergrund: Die Kosovo-Albaner haben 2008 einseitig die Sezession der zu Serbien gehörenden Provinz erklärt. Von einem Teil der EU-Mitgliedsstaaten wird das Kosovo mittlerweile als unabhängiger Staat anerkannt. Die im Kosovo lebende serbische Minderheit und die Regierung Serbiens wehren sich gegen die Loslösung des Amselfelds. So weigert sich Belgrad etwa, den Stempel der selbsternannten Republik »Kosova« auf Handelsgütern zu akzeptieren mit dem Argument, die Region sei ein Teil Serbiens, was verfassungsrechtlich und völkerrechtlich zutreffend ist. Ende Juli war es zu Auseinandersetzungen in den »Grenz­orten« Brnjak und Jarinje gekommen. Die Behörden in der Kosovo-Hauptstadt Pristina hatten die Sonderpolizeieinheit Rosu beauftragt, die Kontrolle der beiden Posten zu übernehmen, was von aufgebrachten serbischen Bürgern verhindert wurde. Bei der Konfrontation wurde ein Sonderpolizist getötet, der Übergang Jarinje ging in Flammen auf. In der Folge übernahm die NATO-geführte Kosovo-Truppe KFOR die Kontrolle. Ende der Woche soll sich das wieder ändern.

Wie die Wiener Zeitung zu Wochenbeginn unter Berufung auf den ­EULEX-Plan berichtete, soll der Warenverkehr zunächst nur über den Grenzübergang Brnjak, westlich von Mitrovica, verlaufen. Der im Juli demolierte Übergang Jarinje würde bis auf weiteres nur für den Personenverkehr offenbleiben. Der Unterhändler der Kosovo-Serben deutete als Kompromißlösung demnach an, die Frage der beiden Grenzübergänge im laufenden Dialog mit der EU in Brüssel zu lösen. »Wir haben keine Einwände gegen die EULEX-Präsenz an den zwei Grenzübergängen«, so Stefanovic. Kosovo-albanische Zollbeamten seien jedoch »überflüssig«.

Die Führung in Pristina versucht, den bis heute nicht kontrollierten Norden Kosovos mit Rückendeckung der NATO Stück für Stück zu erobern. Dies erscheint den Albanern und den diese unterstützenden westlichen Staaten von vorrangiger Bedeutung, seitdem der serbische Staat andeutet, im Zweifelsfall die Sezession zu akzeptieren. Im Gegenzug dafür fordert Belgrad, die vier serbischen Gemeinden im Norden der Provinz wieder vollständig der Hoheitsgewalt Serbiens zu unterstellen – letztlich zu formalisieren, was in wesentlichen Bereichen ohnehin der Fall ist. Die Siegesbeute Kosovo wollen jedoch weder die Albaner noch der Westen angetastet wissen. Von Selbstbestimmungsrecht ist plötzlich keine Rede mehr – zumindest nicht, wenn es um Serben geht. Statt dessen ein Geschwafel von Stabilitätserfordernissen und der Gefahr sezessionistischer Kettenreaktionen, was angesichts westlicher Balkan-Politik an Zynismus nicht zu übertreffen ist.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 23. August Belgrad besuchte, nutzte sie die Gelegenheit, die bislang unbeugsamen Serben zu erpressen: Sie kreierte kurzerhand ein Lex Kosovo, d.h. die für den EU-Beitritt wesentlichen Kriterien wurden um eine weitere Bedingung erweitert: Serbien müsse seine Beziehungen zu seinem südlichen Nachbarn (Kosovo) normalisieren und die dortigen »Parallelstrukturen« aufgeben. Im Klartext: Serbien muß das Kosovo diplomatisch anerkennen, ansonsten rückt der EU-Beitritt bzw. bereits der Kandidatenstatus für diesen Beitritt in weite Ferne. Dieser Vorstoß Merkels ist ein Eklat gegenüber Serbien und gegenüber den EU-Partnern, die die Sezession des Kosovo ebenfalls nicht anerkennen: Berlin maßt sich schließlich an, für die gesamte EU zu sprechen.

Serbiens Präsident Boris Tadic wies diese Forderung als inakzeptabel zurück. Ob diese Ablehnung indes von Dauer sein wird, ist fraglich, räumt die politische Elite in Belgrad doch dem EU-Beitritt höchste Priorität ein.

* Aus: junge Welt, 14. September 2011


Serbien klein halten

Von Alexander S. Neu **

Im Jahre 1878 reklamierte Reichskanzler Bismarck im Kontext des stattfindenden Berliner Kongresses zur Balkan-Frage für sich den Ruf des »ehrlichen Maklers«, da er für Deutschland auf dem Balkan keine Interessen sehe, »welche auch nur die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert« seien. 36 Jahre später machte sich die Losung »Serbien muß sterbien« breit. Anlaß war die Tötung des k.u.k-Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo 1914 durch eine Gruppe junger Serben, die mit dem Attentat den kolonialistischen Anspruch von Österreich-Ungarn auf Teile des Siedlungsgebiets der Südslawen zurückwiesen. Machtpolitischer Hintergrund war, daß Serbien aufgrund der Intention, die südslawischen Siedlungsgebiete zu einem gemeinsamen souveränen Staat zusammenzuführen, zu einer ernsthaften Gefahr deutscher und österreichischer Imperialpolitik in Südosteuropa wurde. So begann der Erste Weltkrieg als Einhegungskrieg der Donaumonarchie und Deutschlands gegen das allzu selbständige Serbien.

Serbien ging als einer der Sieger aus dem Krieg hervor und vermochte es, einen südslawischen Staat zu konstituieren, das »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« (später Königreich Jugoslawien).

Auch im Zweiten Weltkrieg blieb sich Deutschland seiner imperialistischen Politik gegenüber dem Balkan treu: Jugoslawien wurde als Staat zerschlagen und teilweise besetzt. Dabei konnte Hitler auf die Unterstützung regionaler Nationalisten setzen. Insbesondere slowenische (Domobrancen), kroatische (»Ustascha«), bosnisch-muslimische (3. Waffen-Gebirgs-Division der SS »Handschar) Provinznationalisten sowie Albaner bewiesen große Kollaborationsfreude mit Nazi-Deutschland.

Tito-Partisanen befreiten nahezu selbständig ihr Land von den faschistischen Besatzern. Jugoslawien wurde ein sozialistisch-föderativer Staat und genoß als blockfreies Land weltweit hohes Ansehen. Deutschland hingegen mußte erneut eine Zwangspause als imperialistische Macht einlegen. Jugoslawien blieb allerdings im Blickfeld der Bonner Republik. Immer wieder wurde versucht, den »Kunststaat« Jugoslawien zu delegitimieren.

Die Veränderungen in Osteuropa in den Jahren 1989/91 berührten auch Jugoslawien. Hier gewannen die Provinznationalisten zunehmend die Oberhand– mit Unterstützung der wiedererwachenden Hegemonialmacht Deutschland. Bonn setzte sich an die Spitze der internationalen Sezessionsbefürworter. 1992 prägte Außenminister Klaus Kinkel (FDP) die Maxime: »Serbien muß in die Knie gezwungen werden.« Als BND-Chef hatte er hierzu jahrelang Vorarbeit geleistet.

Der Besuch von Kinkels Amtsnachfolger Guido Westerwelle in Belgrad im August 2010 verdeutlichte nicht weniger, wer Herr und wer Knecht ist. In kolonialer Selbstgefälligkeit erklärte der FDP-Politiker damals: »Die Unabhängigkeit des Kosovos ist Realität« – geschaffen von albanischen Gewaltseparatisten der UCK mit militärischer Unterstützung der NATO. Als es in diesem Sommer an den »Grenzposten« Brnjak und Jarinje zum Widerstand aufgebrachter Serben kam, warnte Westerwelle Serbien: »Hier geht es um den Frieden in Europa.« Und er ergänzte geradezu zynisch: Die Zeit gewaltsamer Auseinandersetzungen, die Zeit von Kriegen und Konflikten entlang ethnischer Linien in Europa müsse zu Ende sein. »Wir sind der Überzeugung, daß die Landkarte in dieser Region gezeichnet ist.«

Nachdem Deutschland die Landkarte des Balkans nach eigenen Vorstellungen und in Absprache mit den USA verändert hat, soll nun Ruhe herrschen, d.h. die Ergebnisse westlicher und regional-sezessionistischer Gewaltpolitik sollen akzeptiert werden. Wenn Serbien dies nicht akzeptiert, bleibt es der Brandstifter auf dem Balkan. Im Falle fortgesetzten Ungehorsams hat ein deutscher Diplomat schon mal angekündigt: Das Kosovo-Problem sollte schnellstmöglich im Sinne einer »überwachten Unabhängigkeit« gelöst werden, andernfalls könnten Probleme in der Vojvodina und im Sandschak »eröffnet« werden.

** Aus: junge Welt, 14. September 2011

KFOR-General: Kommando bleibt bei Bundeswehr

Von Rüdiger Göbel

Sollten die Serben im Kosovo die für Ende der Woche geplante Einrichtung von Grenzposten zu Zentralserbien zu verhindern versuchen, ist Bundeswehrgeneral Erhard Drews (Foto) für die Niederschlagung der Proteste zuständig. Am vergangenen Freitag übernahm der deutsche Militär das Kommando über die NATO-geführten Kosovo-Truppen (KFOR). Vorgänger war der deutsche General Erhard Bühler. Die kosovo-albanische Präsidentin Atifete Jahjaga formulierte bei der Zeremonie im KFOR-Hauptquartier in Pristina den antiserbischen Kampfauftrag, die internationale Kosovo-Truppe solle sich auch künftig »Extremisten entgegenstellen, die durch Gewalt politische Ziele erreichen wollten«.

Derzeit sind im Kosovo rund 10000 KFOR-Soldaten im Einsatz; die Bundeswehr stellt mit knapp 1400 Bundeswehrsoldaten das größte Kontingent. Die serbische Provinz war nach dem Ende des 78tägigen ­NATO-Krieges gegen Jugoslawien (Serbien und Montenegro) im Jahr 1999 unter UN-Verwaltung gestellt worden. Die von der NATO damals unterstützten kosovo-albanischen Gewaltseparatisten der UCK vertrieben damals mehr als 200000 Serben aus der Provinz. Auch Sinti und Roma sowie Juden wurden aus dem Kosovo verjagt. 2008 erklärte sich Pristina für unabhängig und proklamierte den Staat »Kosova« – unterstützt von Deutschland und den USA und weiteren NATO-Mitgliedsländern. Eine Minderheit von 81 der 193 UN-Mitgliedsstaaten erkennt die Republik Kosovo als »unabhängig« an, zugleich wird sie aber von den UN als Teil Serbiens betrachtet. Die UN-Vetomächte Rußland und China erkennen die Kosovo-Sezession nicht an, ebensowenig die EU-Mitglieder Griechenland, Zypern, Rumänien, die Slowakei und Spanien.

(junge Welt, 14. September 2011)




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