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Verfassungswidrig

Belgrad gibt Druck aus Brüssel nach

Von Werner Pirker *

Die von der EU gegenüber Serbien betriebene Politik der Nötigung zahlt sich offenbar aus. Brüssel hat bekanntlich einen EU-Beitritt Serbiens an die Bedingung geknüpft, normale staatliche Beziehungen zu seiner illegal abgetrennten Provinz Kosovo aufzunehmen. Eine Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo wird von Belgrad zwar nach wie vor vehement abgelehnt, die praktischen Schritte, die von der serbischen Regierung gegenüber dem sezessionistischen Gebilde in jüngster Zeit unternommen wurden, sprechen aber bereits eine andere Sprache.

Stolz kann die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ein Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic und der Präsidentin der als separater Staat auftretenden südserbischen Provinz, Atifete Jahjaga, vermelden. Angesichts einer solchen auf höchster Ebene erfolgten Begegnung erscheint die serbische Weigerung, die kosovarische Unabhängigkeit anzuerkennen, nur noch als Lippenbekenntnis. Serbiens Ministerpräsident Ivica Dacic und der Chef der Provinzregierung, Hashim Thaci, sind seit Oktober 2012 bereits viermal in Brüssel zusammengetroffen. Brüssel darf zufrieden sein. Mehr noch als ihre offen prowestlichen Vorgänger ist die neue Belgrader Regierung aus Sozialisten und Nationalisten bereit, die von EU und albanischen Sezessionisten geschaffenen rechtswidrigen Verhältnisse nach und nach zu akzeptieren.

Vorerst wird noch über Grenz- und Zollfragen verhandelt, wobei es bereits zu einigen gemeinsamen Grenzposten gekommen ist. Doch jede einzelne Vereinbarung mit den als Staatsorgane auftretenden Kosovo-Behörden ist ein Schritt zur Hinnahme der Eigenstaatlichkeit der Provinz. Dabei hätte Belgrad gar keine so schlechten Chancen, seinem Rechtsstandpunkt Gehör zu verschaffen. Zwar hat der Internationale Gerichtshof die kosovarische Unabhängigkeitserklärung als nicht dem Völkerrecht widersprechend eingeschätzt, aber auch keine völkerrechtliche Bewertung des Status’ der Provinz vorgenommen. Zudem bezieht sich sein Urteil ausdrücklich auf die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, in dem die territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, deren Rechtsnachfolger Serbien ist, bestätigt wird.

Doch was zählt das Völkerrecht, wenn die EU es zu brechen gedenkt? Zumal die Belgrader Regierungskoalition, von der man mehr Rückgrat erwartet hätte, offenbar willens ist, nach der Brüsseler Pfeife zu tanzen. Gerade weil Präsident Nikolic und der Regierung Dacic der Ruf vorauseilte, dem serbischen Nationalismus anzuhängen, versuchen sie ihre Europa-Loyalität umso mehr zu betonen. Das aber bedeutet Illoyalität gegenüber dem eigenen Land und seiner Verfassung, die einen Verzicht auf das Kosovo definitiv ausschließt. Es kann doch nicht Belgrads sehnlichster Wunsch sein, sich einer Staatenunion anzuschließen, deren erklärte Absicht es ist, Serbien in die Knie zu zwingen. Noch dazu, wo die Spur der Verwüstung, die die EU in Südeuropa angerichtet hat, offensichtlich ist.

* Aus: junge Welt, Freitag 8. Februar 2013


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