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Kosovo als Exempel

In Wien finden die Endstatus-Verhandlungen über die Zukunft der serbischen Krisenprovinz statt. Bericht und Kommentar

Von Jürgen Elsässer

Am heutigen Montag beginnen in Wien die sogenannten Endstatus-Gespräche für die serbische Provinz Kosovo. Das Ganze ist ein Remake der berühmt-berüchtigten Kosovo-Konferenz vom Februar 1999 im Pariser Vorort Rambouillet. Als damals die NATO-Staaten vom jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic das Recht zur Stationierung westlicher Soldaten nicht nur auf dem Amselfeld, sondern im gesamten Land verlangten, und der diesen sogenannten »Annex B« ablehnte, lieferte dies dem Atlantikpakt den Vorwand zum Krieg. Auch dieses Mal stehen die Zeichen auf Sturm: Wie vor sieben Jahren haben die Albaner erklärt, nicht direkt mit der Gegenseite sprechen zu wollen, sondern ihre Erklärungen nur gegenüber den internationalen Vermittlern abzugeben. Wie vor sieben Jahren ist der UCK-Oberkommandeur Hashim Thaci Mitglied der albanischen Delegation – an diesem Eisenkopf zerschellten schon damals alle Kompromißvorschläge. Und auch der Finne Martti Ahtissari, der im Auftrag der UNO die Wiener Verhandlungen leitet, ist kein Unbekannter: Zwar nicht in Rambouillet, aber vier Monate später in Belgrad verhandelte er mit Milosevic und überzeugte diesen von einem Waffenstillstand mit der NATO. Als dann aber am 10. Juni 1999 die jugoslawische Armee aus dem Kosovo abzog und sogenannte internationale Friedenstruppen einrückten, führte nicht – wie von Ahtissari versprochen – die UNO das Kommando, sondern die NATO. Großmächte entscheiden

Unter den Augen von zunächst über 40000 und heute etwa 16000 Soldaten der NATO-geführten Besatzungsarmee KFOR wurden in den vergangenen knapp sieben Jahren über 200000 Serben und andere Nicht-Albaner aus der Provinz vertrieben, etwa 2500 ermordet. Seitdem der UN-Sicherheitsrat Ende Oktober 2005 die Endstatus-Gespräche beschlossen hat, nimmt die Gewalt wieder zu – ungefähr zwei oder drei Überfälle pro Woche registriert die UN-Verwaltung UNMIK, meist Schüsse auf serbische Häuser oder Granatenattacken auf serbische Busse wie zuletzt Anfang Januar. Der UN-Ombudsmann im Kosovo, der Tscheche Marek Novicky, zog zum Jahresende 2005 eine deprimierende Bilanz: Die Provinz sei »weit von internationalen Standards entfernt«, Angehörige der nicht-albanischen Minderheiten »seien immer noch nicht in der Lage, sich frei zu bewegen.« Die Kritik fand eine unerwartete Reaktion: Novickys Auftrag wurde von der UNO nicht verlängert. Statt dessen fungiert der Albaner Hilijimi Jasari seit 1. Januar als UN-Ombudsmann. Ebenso gingen zum Jahreswechsel die Zuständigkeiten für Polizei und Justiz von der UNMIK auf die albanische Provinzregierung über.

Wie in Rambouillet geben nicht die Konfliktparteien, sondern die Großmächte den Ton auf der Wiener Konferenz an. Das entscheidende Gremium ist die sogenannte Balkan-Kontaktgruppe, in der sich die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Deutschlands und Rußlands regelmäßig treffen. Bereits im November verständigte man sich dort auf einen Ergebnisrahmen: Demnach dürfe am Ende der Wiener Gespräche weder der Status von vor 1999 stehen, also die begrenzte Autonomie der Milosevic-Ära, noch eine Teilung der Provinz, noch ihre Vereinigung mit einem Nachbarstaat, also ein Großalbanien. Rein theoretisch bleiben damit drei Möglichkeiten offen: eine vollständige Unabhängigkeit, wie sie von den Kosovo-Albanern gebetsmühlenartig eingefordert wird, allerdings versehen mit einem Anschlußverbot ähnlich dem, das auf der Versailler Konferenz 1919 für das neugeschaffene Österreich verfügt wurde; eine konditionierte Abhängigkeit bei Fortdauer der Gültigkeit gewisser Teile des Besatzungsstatuts – die vom Westen favorisierte Wunschlösung; oder eine erweiterte Autonomielösung, etwa wie sie Tito dem Kosovo in der Verfassung von 1974 gewährte – der von Serbien befürwortete Kompromiß.

In die letzte Sitzung der Kontaktgruppe am 31. Januar platze der russische Präsident Wladimir Putin mit einer diplomatischen Bombe: Er drängte darauf, daß jede neue Lösung einen »universalen Charakter« haben müsse, also auch für andere Konflikte auf der Welt gelten müsse. »Wenn jemand glaubt, daß Kosovo die volle Unabhängigkeit bekommen könne – warum sollten wir dann dasselbe Abchasien und Südossetien verweigern?« Diese beiden georgischen Provinzen wollen mehrheitlich, ähnlich wie das Kosovo, nicht zum Zentralstaat gehören und haben sich für unabhängig erklärt, wurden aber bisher von keinem anderen Staat, auch nicht von Rußland, anerkannt. Putin weiter: »Ich rede im Augenblick nicht darüber, wie Rußland reagieren wird, aber wir wissen beispielsweise, daß die Türkei die türkische Republik in Nordzypern anerkannt hat.« Serbische Uneinigkeit

Die Belgrader Position bei den Verhandlungen wird durch ein Zerwürfnis an der Staatsspitze geschwächt: Auf der einen Seite steht der Präsident Boris Tadic von der prowestlichen Demokratischen Partei (DS), auf der anderen Seite Premier Vojislav Kostunica von der NATO-kritischen Demokratischen Partei Serbiens (DSS). Tadic hat die Verhandlungsposition des eigenen Landes mehrfach durch unabgesprochene Kompromißvorschläge geschwächt: Im November bot er eine Teilung des Kosovo an, Mitte vergangener Woche forderte er eine zwanzigjährige »Gnadenfrist« bis zum endgültigen Statusentscheid.

Tadics DS ist mit der Partei Snaga Serbije (PSS) des Oligarchen Bogoljub Karic und mit den Sozialdemokraten von Nebojsa Covic ein informelles Bündnis zum Sturz von Kostunica eingegangen. Kostunica sucht den Schulterschluß mit der oppositionellen Radikalen Partei (SRS). Bei einem Gespräch am zweiten Februarwochenende mit deren Führer Tomislav Nikolic habe er zugestimmt, daß man das Kosovo im Falle einer Unabhängigkeitserklärung als »besetztes Gebiet« betrachten und zum Widerstand »mit allen notwendigen Mitteln« aufrufen werde, behauptete Nikolic anschließend unwidersprochen.

Hintergrund: Die Kosovo-Bonanza

Um den Grund des westlichen Drängens auf Eigenständigkeit der Provinz zu finden, muß man nicht sehr tief schürfen. Die Braunkohlereserven des Kosovo gelten mit einem nachgewiesenen Umfang von 8,3 Milliarden Tonnen – mindestens dieselbe Menge wird zusätzlich vermutet – als die größten in Europa. Außerdem wird in der Trepca-Mine in der Nähe von Mitrovica Kupfer gefördert. Das Vorkommen ist so ergiebig, daß es im Zweiten Weltkrieg direkt der Wehrmacht unterstellt wurde (der Rest des Kosovo wurde Großalbanien zugeschlagen). Last not least gibt es Hinweise auf nennenswerte Lagerstätten von Gold (ebenfalls in Trepca) und von Chrom (an der Grenze zu Albanien). Die meisten dieser Reichtümer waren von der jugoslawischen Teilrepublik Serbien erschlossen worden: Seit 1970 wurden mit 15 Milliarden Euro Steuergeldern Kombinate und Infrastruktur im Kosovo hochgezogen.[1]

In einer der größten Enteignungsaktionen der Geschichte wechseln diese Filetstücke seit einem Jahr die Besitzer. Am 21. Januar 2005 hat der Leiter der UN-Verwaltung Jessen-Petersen die Bodenschätze in der Provinz für internationale Investoren ausgeschrieben. Durch die Vergabe von Abbaulizenzen rechnet die UNMIK mit Einnahmen von 13 Milliarden Euro. Bis Ende November 2005 wurden davon 100 Millionen Euro realisiert – ein Jahr zuvor waren es gerade 16 Millionen Euro gewesen.[2] Die lukrativen Verkäufe seien der »Zeugungsakt eines Staates«, jubelt die Presse in Pristina.[3]

Für die Privatisierung zuständig ist Joachim Rücker, langjähriger Oberbürgermeister von Sindelfingen. Sein bisher größter Erfolg war der Verkauf des Nickelwerkes Ferronikeli vor einigen Wochen. Dabei machte der Deutsche von seinen Eingriffsrechten rigoros Gebrauch: Eigentlich hatte die amerikanisch-albanische Firma Adi Nikel das frühere Kombinat für 50 Millionen Euro ersteigert. Aber Rücker kassierte den Abschluß und gab dem Zweitplazierten, der britischen Alferon von International Mineral Ressources, für 33 Millionen den Zuschlag. Der begründete Verdacht: Adi Nikel ist eine Briefkastenfirma der UCK-Mafia und wäscht Schwarzgeld.[4] Der neue Besitzer hat die Phase der räuberischen Akkumulation schon einige Zeit hinter sich.

Anmerkungen
  1. Kosovo’s war on property rights by M. Bozinovich SERBIANNA.COM (USA) http:// www.serbianna.com/columns/mb/044.shtml
  2. Michael Karadjis, Kosova:Occupation regime begins privatization, in: Green Left weekly, 24.11.2004 (www.greenleft.org.au)
  3. SZ, 29.11.05
  4. ECIKS/SeeNews, »Ferronikeli« sold to British Alferon, 29.11.2005 (www.eciks.org)
Aus: junge Welt, 20. Februar 2006


Wien steht im Brennpunkt

Von Jürgen Elsässer

Bis zum Jahresende, so die Vorstellung der Balkan-Kontaktgruppe, sollen die Endstatus-Gespräche um das Kosovo abgeschlossen sein. In den nächsten zehn Monaten wird Wien also im Blickpunkt vielleicht nicht der Weltöffentlichkeit, mindestens aber der politisch Interessierten in den Balkanländern stehen. Österreich spielt aber nicht nur als Verhandlungsort eine wichtige Rolle, sondern weil es bis zur Jahresmitte den rotierenden EU-Vorsitz innehat und überdies im Verhandlungsteam des UN-Beauftragten Martti Ahtissari von Gewicht ist. So kommt mit Albert Rohan Ahtissaris Stellvertreter aus der Alpenrepublik, ebenso wie der von der EU offiziell in die Ahtissari-Mannschaft als Berater entsandte Stefan Lehne.

Österreich spielte zu Beginn der neunziger Jahre, ebenso wie Deutschland, eine verheerende Rolle auf dem Balkan. Beide Staaten erkannten die Sezessionsrepubliken Slowenien und Kroatien 1991 vorzeitig an und lieferten auch illegal Waffen an die antijugoslawischen Aufständischen. Eine kleine Hoffnung besteht, daß Wien aktuell nicht unbedingt den Brandstifter spielt. Im Vorfeld der Endstatus-Gespräche plädierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dafür, der Westen müsse »die Würde der Serben sehr ernst nehmen, ihnen zuhören«.

Auf die Objektivität Lehnes sollte man sich allerdings nicht verlassen: Er arbeitete von 1999 im Politischen Stab des EU-Außenbeauftragten Javier Solana. Im Jahre 2001 war es genau diese Abteilung, die im mazedonischen Bürgerkrieg die dortige albanische Untergrundbewegung UCK durch eine Verhandlungslösung hoffähig machte. Der sogenannte Ohrid-Vertrag vom September 2001 sah vor, daß die Terroristen in die Regierung aufgenommen werden und die albanischen Gebiete umfassende Autonomierechte erhalten, die nur wenig von einer Unabhängigkeit entfernt sind.

Direkter Vorgesetzter von Lehne war damals Christoph Heusgen, heute der wichtigste außenpolitische Berater von Angela Merkel. Das CDU-Mitglied war einer der Gesprächspartner von Vuk Draskovic, dem Außenminister Serbien-Montenegros, vor knapp zwei Wochen in Berlin. Nach einer weiteren Unterredung mit seinem Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier sprach Draskovic davon, daß Deutschlands Position »ermutigend für Serbien ist«, da es eine Lösung befürworte, »die alle Rechte der albanischen Mehrheit auch den Serben und anderen nicht-albanischen Völkern im Kosovo garantiert«. Von einer Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien, die Draskovic eigentlich im Augen haben sollte, war demnach bei Steinmeier nicht die Rede.

Aus: junge Welt, 20. Februar 2006


Kosovo-Konferenz begann in Wien

Zum ersten Mal haben Serben und Kosovo-Albaner am Montag in Wien direkt über die Zukunft der südserbischen Provinz Kosovo verhandelt.

Wien (AFP/ND). Wegen der tiefen Differenzen verfolgt der UNO-Sondergesandte Martti Ahtisaari eine Strategie der kleinen Schritte. Die Verhandlungen werden sich vermutlich mindestens bis zum Jahresende hinziehen. Am Montag ging es zunächst um Fragen der Dezentralisierung in politisch weniger wichtigen Kompetenzfeldern. Am heutigen Dienstag sollen Bereiche wie Justiz und Polizei im Mittelpunkt stehen. Der Status Kosovos ist eine der letzten ungeklärten Fragen seit dem Ende der Balkankriege im vorigen Jahrzehnt.

Die Verhandlungen dürften sich schwierig gestalten, da die Positionen von Serben und Albanern kaum zu vereinen sind. Die albanischstämmige Bevölkerungsmehrheit fordert die Unabhängigkeit der zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Provinz Kosovo. Die serbische Regierung lehnt dies entschieden ab. Da sie die Provinz als Wiege serbischer Kultur und Geschichte sieht, ist sie höchstens zu einer weitgehenden Autonomie bereit. Kosovo gehört völkerrechtlich bis heute zu Serbien, steht aber seit dem NATO-Krieg 1999 unter UNO-Verwaltung.
Nach anfänglicher Pendel-Diplomatie will der frühere finnische Präsident bei der Konfliktlösung »von unten nach oben« vorgehen: Beide Verhandlungsseiten sollen sich von den einfacheren zu den komplexeren Fragen und schließlich zum Kern des Problems vorarbeiten. Deshalb ging es am Montag erst einmal um Dezentralisierungsfragen in den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Soziales, Kultur.

Allein die Tatsache, dass sich Serben und Kosovo-Albaner an einen Tisch setzten, sei bereits ein Ergebnis, sagte der serbische Delegationschef Slobodan Samardzic. Seine Delegation erwarte allerdings »nicht viel«. Ziel Belgrads sei »Autonomie für die Serben in Kosovo«. Der Delegationsleiter der Kosovo-Albaner, Lutfi Haziri, sagte, er habe »Herrn Ahtisaari versprochen, die Tagesordnung einzuhalten«. Dann aber schob Haziri gleich nach: »Die Unabhängigkeit wird kommen.« Beide Seiten waren mit jeweils acht Vertretern nach Wien gereist. Die Gespräche fanden hinter geschlossenen Türen im Wiener Palais Kinsky statt.
Die erst für den 25. Januar angesetzten Verhandlungen waren nach dem Tod des Kosovo- Präsidenten Ibrahim Rugova am 21. Januar verschoben worden. Rugovas Nachfolger ist Fatmir Sejdiu.

Aus: Neues Deutschland, 21. Februar 2006




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