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EU-Botschaften in Pristina?

"Road Map" für das Kosovo - Es kommt Bewegung in die Statusfrage

Es ist still geworden um das Kosovo. Hinter den Kulissen jedoch wird mit harten Bandagen um Statusfragen gekämpft. Wohin soll die Region, um die 1999 die NATO einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien geführt hat, künftig gehören: zu Serbien (was nur rechtens wäre) oder zu Albanien (was kaum jemand tolerieren würde), oder soll es als unabhängiger Staat konstituiert werden (um sich dann später vielleicht doch Albanien anzuschließen)?
Der Artikel von Markus Bickel, den wir im Folgenden dokumentieren, beschreibt die diplomatischen Ränkespiele um den Status der serbischen Provinz. Im Anschluss erinnert eine kurze Chronik an den Jugoslawien-Krieg 1999. Der Artikel erschien in der kritischen Wochenzeitung "Freitag".



Von Markus Bickel

Agim Ceku ist außer sich. "Eine für uns vollkommen inakzeptable Entscheidung", beschwert sich der Chef des Kosovo Protection Corps (KPC) Anfang Dezember. Nur Stunden zuvor hat Harri Holkeri, Leiter der UN-Kosovo-Mission UNMIK, mitgeteilt, zwölf KPC-Mitglieder wegen des Verdachts suspendieren zu wollen, im April 2003 in den Bombenanschlag auf eine Brücke im Norden der Provinz verwickelt gewesen zu sein. Doch hat Cekus Ärger noch einen anderen Grund: Die UNMIK ermittelt darüber hinaus gegen KPC-Mitglieder wegen einer mutmaßlichen Mitgliedschaft in der von Holkeris Vorgänger Michael Steiner als "terroristisch" eingestuften Albanischen Nationalarmee (AkSh).

Diese panalbanische Guerilla hatte als Nachfolger der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) direkt nach der Attacke im April die Verantwortung für die Sprengung der bewussten Brücke übernommen. Ein Anschlag mit tödlichem Ausgang auch für die Täter: Ein tagsüber für die KPC arbeitender AkSh-Kämpfer kam ums Leben, als er den Sprengsatz auslöste. Den Vorwurf, seine Garde sei von Terroristen unterwandert, die den Zusammenschluss aller albanischen Siedlungsgebiete auf dem Balkan zum Ziel hätten, lässt KPC-Chef Ceku nicht gelten. Nach Holkeris Entscheidung, die offenkundig belasteten KPC-Leute zu suspendieren - dem bislang härtesten Schlag gegen das kurz nach dem Kosovo-Krieg 1999 gegründete Schutzkorps - geht er erst recht in die Offensive: 2004 werde er die Transformation seines Korps in eine "Kosovo-Armee" voran treiben.

Ob das im Sinne der sogenannten internationalen Gemeinschaft sein wird, die sich nur langsam von der durch Michael Steiner geprägten Formel "Standards vor Status" lösen will, ist zu bezweifeln. Harri Holkeri hat Mitte des Monats ein "Standards für Kosovo" überschriebenes Papier vorgelegt, das im Sommer 2004 erstmals eine Debatte der Statusfrage auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates bringen soll. Vorzugsweise die US-Regierung drängt auf ein Ende der kostspieligen Fremdverwaltung des Protektorats, um ihre aufgrund des "Anti-Terror-Krieges" knappen Ressourcen anderweitig einsetzen zu können.

Die EU-Außenpolitiker hingegen wollen sich mehr Zeit lassen mit der Entscheidung. So befürchtet man in Paris, Brüssel und Berlin, eine allzu frühe Klärung der Statusfrage könnte regionale Kettenreaktionen auslösen: Neben der Forderung der albanischen Minderheit in Mazedonien nach einem eigenen autonomen Sektor im Nordwesten des Landes, würde eine sich abzeichnende Unabhängigkeit für das Kosovo auch den Anschluss der bosnisch-serbischen Republika Srspka an Serbien-Montenegro wieder auf die Agenda setzen. Unter anderem deshalb ist Holkeri von Steiners Formel, wonach über die Unabhängigkeit erst entschieden werden könne, wenn demokratische und rechtsstaatliche Standards eingehalten werden, bislang nicht abgerückt. Gegenüber dem Freitag verteidigt Holkeris Sprecher, Christian Lindmeier, denn auch die von KPC-Offiziellen als "Hexenjagd" und "politische Attacke" auf die "legitime Schutztruppe des Kosovo" bezeichneten Entlassungen.

Bis zur endgültigen Entscheidung der UNO - laut Resolution 1244 von Juni 1999 kann allein der UN-Sicherheitsrat den endgültigen Status des Protektorats festlegen - sind weitere Konflikte zwischen UNMIK und KPC-Führung absehbar. Denn so wie Ceku und der heutige Vorsitzende der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK), Hashim Thaci, die während des Krieges gemeinsam die UÇK kommandierten, vertreten auch die beiden anderen großen kosovo-albanischen Parteien die Position, wonach ein unabhängiges Kosovo auch eine eigene Armee brauche. Auf den Rückhalt einer Mehrheit der zwei Millionen Bewohner der Provinz können sich Ceku, Thaci, Ramush Haradinaj von der Allianz für die Zukunft (AKK) sowie Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova als Chef der Demokratischen Liga (LDK) ohnehin stützen.

Unter diesen Umständen hat im Vorfeld der Parlamentswahlen am 28. Dezember Serbiens Vizepremier Neboj Covic´ den Vorwurf wiederholt, die NATO-geführte Kosovo-Schutztruppe KFOR und die UNMIK-Protektoratsbehörde seien "zu Geiseln albanischer Extremisten und Terroristen" geworden. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind 27 vom KPC übernommene Ex-UÇK-Offiziere wegen Mordes und anderer Verbrechen angeklagt worden, ohne dass die ausländischen Protektoratsherren gegen die strukturellen Verflechtungen zwischen im Untergrund tätigen panalbanischen Terroristen und dem von ihnen geschaffenen Schutzkorps ernsthaft vorgegangen wären.

Vor allem für die EU-Außenpolitiker dürfte diese Erkenntnis bitter sein. Während die US-Administration durch ihr Drängen auf eine Klärung der Statusfrage an Sympathien gewinnt, erscheint es fraglich, wie Javier Solana & Co. ihren Einfluss auf das politische Führungspersonal in Pris?tina zurückgewinnen wollen. Präsident Rugova etwa beklagte sich jüngst darüber, dass die EU-Staaten zur Ernennung eines Kosovo-Honorarbotschafters vergleichbar mit US-Senator Bob Dole nicht bereit seien.

Unausgegorene Vorschläge wie die des EU-Verhandlungsführers bei der dem Kosovo-Krieg vorgeschalteten Rambouillet-Konferenz im Februar 1999, Wolfgang Petritsch, sind kaum geeignet, das ohnehin nur mangelhaft ausgeprägte Vertrauen in die Union zu erhöhen. Gegenüber dem Freitag bezeichnet Petritsch die Entwicklung besonderer Beziehungen zwischen den serbischen Vertretern im Kosovo und der Regierung in Belgrad als Voraussetzung für die Übergabe weiterer Souveränitätsrechte. Um die serbische Seite bei der Stange zu halten, so Österreichs heutiger UN-Botschafter in Genf, müsse der Etablierung eigenständiger Kosovo-Botschaften etwa der EU ein Riegel vorgeschoben werden. Darauf dürften Ceku, Thaci und Rugova sich nie einlassen.



Chronik: Das war der Kosovo-Krieg im Frühjahr 1999
  • 24. März - Beginn der NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien (Operation Allied Force).
  • 26. März - deutsche Tornados feuern Harm-Raketen ab, erstmals macht damit die Bundeswehr seit ihrer Gründung in einem Kampfeinsatz von der Waffe Gebrauch.
  • 12. April - ein NATO-Jet bombardiert die serbische Bahnlinie bei Leskovac, als ein Zug eine Brücke passiert - 55 Tote.
  • 16. April - NATO-Angriff auf die Raffinerien von Pancevo und Novi Sad
  • 18. April - die NATO veröffentlicht Satellitenfotos von 43 möglichen Massengräbern getöteter Kosovo-Albaner, die Zahl der Opfer wird auf 3.200 geschätzt
  • 22. April - bis zu diesem Tag wurden 9.301 NATO-Lufteinsätze gegen Serbien und Montenegro geflogen, davon 2.750 Kampfeinsätze, die Zahl der dabei getöteten Militärangehörigen und Zivilisten wird auf 500 geschätzt.
  • 23. April - am Tag des Washingtoner NATO-Gipfels, der eine neue Militärdoktrin (Einsätze außerhalb der Bündnisgrenzen) beschließt, gibt es einen Luftangriff auf das staatliche Fernsehen in Belgrad, bei dem 16 Menschen ums Leben kommen.
  • 8. Mai - Chinas Botschaft wird während der Bombardierung Belgrads getroffen, drei Menschen sterben.
  • 19. Mai - Jugoslawiens Präsident Milosevic und der russische Sonderbotschafter Tschernomyrdin verständigen sich darauf, dass eine Lösung des Konflikt nur durch die UNO möglich sein kann.
  • 4. Juni - die NATO schränkt ihre Angriffe erstmals ein, gleichzeitig verhandelt EU-Vermittler Ahtisaari in Belgrad über einen Truppenrückzug aus dem Kosovo.
  • 9. Juni - der jugoslawische Generalstab unterzeichnet ein Abkommen über den Abzug seiner Einheiten aus dem Kosovo in elf Tagen.
  • 10. Juni - die NATO verkündet die "Aussetzung" der Luftangriffe. Der UN-Sicherheitsrat hat sich inzwischen auf die Resolution 1244 verständigt, die einer - im wesentlichen aus NATO-Kontingenten bestehenden - "internationalen Sicherheitspräsenz" (KFOR) und einer "internationalen zivilen Präsenz" (UNMIK) das Mandat erteilt. Diese Entscheidungen stellen das Kosovo unter internationale Verwaltung, formal bleibt es Bestandteil der serbischen Republik. Eine endgültige Regelung der Status-Frage soll nach Verhandlungen durch den UN-Sicherheitsrat erfolgen.


Aus: Freitag 02, 26.12.2003


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