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"Montenegro hat seine Unabhängigkeit wieder hergestellt"

Die Zukunft des Landes liegt aber wohl in der Annäherung an den Nachbarn. Kommentare zum Abstimmungsergebnis

Die Gegner eines selbstbewussten jugoslawischen Vielvölkerstaates haben ihr letztes Ziel erreicht: Der Zerfall Jugoslawiens ist abgeschlossen. Am Sonntag trennte sich Montenegro von Serbien per Volksentscheid. Der Tenor in der Presse ist positiv: Diese demokratische Entscheidung wird allgemein akzeptiert, zumal die "geschädigte" Seite, Serbien, ohnehin viele Jahre zur Achse des Bösen gerechnet wurde. Dennoch ist fraglich, ob der Prozess der Re-Ethnisierung des Balkan damit wirklich abgeschlossen ist, oder ob nicht die Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina oder die Albaner in Makedonien - und übrigens auch in Montenegro - künftig still halten werden. Und die serbische Provinz Kosovo wird im Westen ohnehin schon fast als unabhängiges Gebiet betrachtet. Aus Sicht der "Jugoslawen" ist der Alptraum also noch längst nicht zu Ende.
Wir stellen der folgenden Presseschau zwei Artikel voran, die differenzierter argumentieren und auch auf die bevorstehenden Probleme des Kleinstaates Montenegro hinweisen.



Montenegro wird unabhängig

Milo Djukanovic hat sein "historisches" Ziel erreicht

Von Hannes Hofbauer*

Mit 55,4 Prozent – ganze 0,4 Prozentpunkte mehr als von der EU gefordert – entschieden sich die Montenegriner am Sonntag (21. Mai) für die Unabhängigkeit ihres Landes. Am Referendum beteiligten sich 86,3 Prozent der 480 000 Stimmberechtigten. Im Herbst bereits soll der neue Staat völkerrechtliche Konturen annehmen.

»Montenegro hat seine Unabhängigkeit wieder hergestellt«, verkündete freudestrahlend der erste Mann im Staate, Ministerpräsident Milo Djukanovic, in der Nacht zum Montag. Und weiter: »Das ist der wichtigste Tag in der Geschichte Montenegros.« Die neue Grenze, die demnächst in Europa gezogen wird, hat in dieser Form freilich kein historisches Vorbild. Denn die »Wiedergeburt«, auf die sich die montenegrinischen Nationalisten berufen, kann sich nur auf die kurzfristige Unabhängigkeit des Landes zwischen 1878 und 1918 berufen, als weite Teile der Küste einschließlich der Bucht von Kotor (Cattaro) noch der österreichischen Kaiserkrone unterstanden. Noch bis Mitte der 1990er Jahre verstand sich Djukanovic, der frühere Gefolgsmann von Slobodan Milosevic, als serbischer Nationalist. Wirtschaftlich groß geworden sind er und seine engsten Verbündeten in der Epoche des UN-Embargos gegen »Rest-Jugoslawien«. Das Embargo durch Schmuggel zu unterlaufen, brachte Milliardenbeträge in die Kassen der führenden montenegrinischen Politikerklasse. Nachdem sich Djukanovic im Zuge des wachsenden Drucks der USA und EU-Europas gegen Serbien von seinem Mentor Milosevic losgesagt hatte, stieg er zum Liebkind des Westens auf. Die Einführung der D-Mark in Montenegro im November 1999 (später durch den Euro abgelöst) besiegelte – vorerst wirtschaftlich – die Trennung von Serbien.

Politisch wurde diese Entwicklung nun per Volksabstimmung bestätigt. Knapp war das Resultat des Referendums, weil sich die beiden Lager auf Vermittlung der Europäischen Union darauf geeinigt hatten, dass ein qualifiziertes Mehr von 55 Prozent notwendig sei, um die Unabhängigkeit proklamieren zu können – wobei die in Serbien lebenden Montenegriner nicht abstimmen durften.

Im Ergebnis kommt vor allem die gespaltene Identität der Slawen in Montenegro zum Ausdruck. Aus den regionalen Abstimmungsergebnissen lässt sich dagegen unschwer herauslesen, dass sich sowohl die albanische Minderheit um die Adriastadt Ulcinj als auch die bosnisch-muslimische Gemeinde aus dem Sandzak zu 90 Prozent und mehr für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben. Dies war bei den Albanern, die etwa 6 Prozent der Bevölkerung ausmachen, angesichts einer gewissen Serbenfeindlichkeit erwartet worden, nicht unbedingt jedoch bei den 12 Prozent Bosniaken, die ihre Angst, im Falle einer Eigenstaatlichkeit Montenegros von ihren Verwandten im serbischen Sandzak-Teil abgeschnitten zu werden, offensichtlich überwunden haben.

Wirtschaftlich wird es für das kleine Montenegro schwer werden, sich zu behaupten. Vor allem wenn Ankündigungen aus Serbien wahr gemacht werden, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen künftig für Montenegriner nicht mehr zu denselben – günstigen – Bedingungen zur Verfügung zu stellen, wie es im Staatenbund üblich war. In diese Richtung meldete sich auch der Außenminister Serbien-Montenegros, Vuk Draskovic, zu Wort und erwog zugleich, die nun erzwungene neue Staatlichkeit Serbiens als parlamentarische Monarchie zu gründen.

Die Mehrheit der serbischen Gesellschaft kann solchen Plänen indes nichts abgewinnen. Sie ist ihrerseits tief gespalten: Die einen empfinden die Abtrennung Montenegros als nationale Schmach, andere begrüßen die Selbstständigkeit Montenegros, weil sie es als wirtschaftlichen Klotz am Bein Serbiens betrachten. Die jubelten Sonntag nachts in der Innenstadt von Belgrad.

Wie lange sich Milo Djukanovic als Sieger fühlen darf, steht noch nicht fest. Denn schon vor dem Referendum hat sich eine Allianz aus Unabhängigkeitsbefürwortern und -gegnern gebildet, die es als ihre Aufgabe betrachten, bei den Parlamentswahlen im Herbst den »Schmugglerkönig« zu stürzen. Diese unter dem Namen »Sa Promenje« (»Für den Wechsel«) operierende Allianz, der auch Oppositionsführer Predrag Bulatovic angehört, hat sich in den USA bereits die politische Weihe der dortigen Regierung geholt und will ihre Kampagne unter dem Slogan führen, Montenegro vom kolumbianischen auf den Brüsseler Weg zu bringen.

Das Ansinnen dürfte indes nicht leicht umzusetzen sein, hat doch Djukanovic mit der Unabhängigkeit auch Ansehen gewonnen. Ihn als Mafiaboss bloßzustellen, wird bei großen Teilen der Bevölkerung angesichts des Erfolgs vom Sonntag nicht gut ankommen. Auch die Behauptung der unionistischen Opposition, eine Unabhängigkeit würde den mafiotischen Strukturen im Inneren staatliche Anerkennung bringen, ist nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht kann die EU mit einem »schwarzen Loch« in unmittelbarer Nachbarschaft mehr anfangen als man glauben mag. Dass sie einer Schwarzgeldwirtschaft nicht ideologisch oder prinzipiell ablehnend gegenübersteht, beweisen die letzten montenegrinischen Budgets, die allesamt mit dem von der Europäischen Zentralbank ausgegebenen und überwachten Euro abgewickelt wurden.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2006


Viva Absurdistan!

Hauchdünne Mehrheit in Montenegro entscheidet das Unabhängigkeitsreferendum. Verfassungsbruch und Stimmenkauf offensichtlich Von Jürgen Elsässer**

Sowenig Volk entschied noch nie eine Volksabstimmung. Am Sonntag gaben in Montenegro 1760 Stimmen den Ausschlag für die Gründung eines neuen Staates. Nun wird sich die kleine Adriarepublik binnen Kürze aus der Föderation mit Serbien lösen, die seit 1992 bestanden hat und bis zum Frühjahr 2003 den schönen Namen Jugoslawien trug.

Nach den Angaben der offiziellen Wahlkommisssion beteiligten sich 86,5 Prozent der insgesamt 490000 Wahlberechtigten am Urnengang. Davon stimmten 55,4 Prozent für die Eigenstaatlichkeit. Das waren nur 0,4 Prozent – oder eben 1760 Stimmen – mehr als das von der EU verfügte Minimum von 55 Prozent, unterhalb dessen eine Mehrheit keine völkerrechtliche Bindewirkung gehabt hätte. Die montenegrinische Verfassung wurde ohnedies nicht beachtet: Sie sieht für konstitutionelle Änderungen eine Zweidrittelmehrheit vor.

Frantisek Lipka, der Präsident der Wahlkommission, bezeichnete den Urnengang als korrekt – an 99,13 Prozent der Wahllokale habe es keine Zwischenfälle gegeben. Diese Aussage ist offensichtlich falsch: Wahlbeobachter des Zentrums für demokratischen Umbruch (CDT) berichteten von einem Dutzend Vorkommnissen allein in der Hauptstadt Podgorica, in denen die Abstimmenden gesetzwidrig ihre Entscheidung öffentlich dokumentieren wollten. Einige fotografierten zu diesem Zweck ihren Stimmzettel in der Wahlkabine mit dem Handy. Das gilt als Indiz für Stimmenkauf: Der fotografische Beweis soll dem Käufer zeigen, daß der Korrumpierte sein Geld wert war. Bereits im Vorfeld waren zwei Bestechungsversuche mit versteckter Kamera aufgenommen worden: Mitglieder der Regierungspartei SDP wollten Sezessionsgegnern im Dorf Golubovci ihre Personalausweise abkaufen, ohne die keine Beteiligung an der Abstimmung möglich gewesen wäre (siehe jW vom 16. Mai).

»Wir haben unseren Staat und wir werden ihn sicher nie wieder verlieren«, triumphierte Premierminister Milo Djukanovic. Er stand seit 1992 an der Spitze der Teilrepublik, ursprünglich als Gefolgsmann des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Seit dem Jahr 1997 nahm Djukanovic Kurs auf die Eigenstaatlichkeit und verbündete sich zu diesem Zweck mit der Mafia, die unverzollte Zigaretten aus dem Land in die EU schmuggelte. Nach Berechnungen der italienischen Staatsanwälte finanziert Montenegro 60 Prozent seines Haushaltes über diesen Schwarzhandel, weswegen der Zwergstaat bisweilen auch als »Philip-Morris-Republik« bezeichnet wird. Gegen Djukanovic wurde zeitweise in Italien strafrechtlich ermittelt, er wagte keine Auslandsreise. Als Premier eines souveränen Staates freilich genießt er diplomatische Immunität.

Der neue Staat wird instabil sein: Den Ausschlag beim Volksentscheid gaben die moslemische und die albanische Minderheit Montegros, die etwa ein Fünftel des Elektorats stellten und fast geschlossen für die Abspaltung von Serbien votierten. Die Albanerführer wollen die Randzonen Montenegros einem unabhängigen Kosovo oder Großalbanien angliedern. Die Moslemextremisten träumen davon, dem geschwächten Serbien weitere Regionen zu entreißen und mit ihren Siedlungsgebieten in Montenegro zur früheren osmanischen Provinz Sandschak zu vereinigen.

** Aus: junge Welt, 23. Mai 2006


Weitere Kommentare aus der Tagespresse vom 23. Mai 2006

Der Standard (Wien) (Adelheid Wölfl: Es war einmal Jugoslawien ...)

(...) Das Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro ist wohl für Belgrad langfristig die gewichtigere Zäsur. Denn in Montenegro, dem Land an den Schwarzen Bergen, wo am Sonntag 55,4 Prozent der Bürger dafür stimmten, sich aus dem Staatenbund mit Serbien zu lösen, haben sich viele schon vor längerer Zeit von der gemeinsamen Geschichte verabschiedet.
(...)
Die serbischen Nationalisten werden wahrscheinlich kurzfristig von den heftigen Emotionen, die die Unabhängigkeit bei vielen auslöst, profitieren. Doch die Drohung, einen Teil Montenegros, dessen Bewohner sich überwiegend als Serben bekennen, abspalten zu wollen, wird bleiben, was sie ist: ein patscherter Versuch, die Wirklichkeit zu verleugnen. (...)
Die schwierigste Loslösung steht Belgrad allerdings noch bevor: Neben den Verhandlungen über den Status des Kosovo nimmt sich das Referendum in Montenegro vom Sonntag wie ein Kinderspiel aus. Denn die Regierung in Belgrad hat sich im Fall Kosovo darauf festgelegt, eine Unabhängigkeit nie zu akzeptieren. Kosovo war zudem anders als Montenegro keine jugoslawische Teilrepublik. Die Unabhängigkeit Montenegros könnte die Bestrebungen der Kosovo-Albaner nun noch beflügeln. (...)
(...) Aber auch Montenegro und vielleicht bald dem Kosovo steht die Ernüchterung noch bevor. Der Wunsch nach Unabhängigkeit wird nicht mehr den Blick auf die tatsächlichen Probleme verstellen. Und die Bindung an Serbien kann dann nicht mehr als Vorwand für Reformstau und Entschuldigung für Korruption aller Art herhalten. Wenn das große Jubeln über die erlangte Souveränität ausgeklungen ist, werden die lokalen Politiker wohl auch für die schnöde Alltagspolitik in die Verantwortung genommen werden.
Genau hier ist Brüssel gefragt. Wichtig ist etwa, dass nach dem Zerfall Jugoslawiens auf einer pragmatischen Ebene eine verstärkte Annäherung zwischen den Nachfolgestaaten entsteht. Vor allem, um die Wirtschaft zu stärken. (...)


Frankfurter Rundschau (Norbert Mappes-Niediek: Jugoslawien, letzter Akt)

(...) Der Optimismus rührt daher, dass mit Montenegro ein Nationalstaat im westeuropäischen Sinne entstanden ist, der erste auf dem Balkan, seit vor 175 Jahren Griechenland unabhängig wurde. Das kleine Montenegro ist wirklich der Staat seiner Bürger, kein Stammesgebiet in Staatsform wie Serbien oder Kroatien, auch kein gemeinsames mehrerer Stämme wie Bosnien. Am Sonntag waren alle Wähler einfach Montenegriner, egal wie sie sprechen oder in welcher Kirche sie beten.
In Jugoslawien, diesem kunstvoll austarierten Gebilde aus mehrfach verschränkten "konstituierenden Völkern", blieb für Mehrheitsentscheidungen kein Platz. Jetzt, da es mit Jugoslawien vorbei ist, ist endlich Raum für Demokratie - übrigens auch in Serbien, das mit Montenegros Abtrennung einer praktikablen Staatsorganisation einen guten Schritt näher gekommen ist. (...)
"Besser leben", der Slogan, mit dem Milo Djukanovic vor bald zehn Jahren zum starken Mann wurde, ist nur für seinen persönlichen Bekanntenkreis Wahrheit geworden. Überhaupt wäre es ein Fehler, das dicke Lob, das Djukanovic und die internationalen Beobachter der "demokratischen Reife" der Montenegriner ausgesprochen haben, dem Premier, seiner Partei und seiner Regierung zuzurechnen. Die Gegner zeichneten sich viel eher durch Disziplin und Demut aus. Die Vorwürfe der Opposition an die Adresse Djukanovics, er übe im Lande totale Kontrolle aus und wolle seine Macht nun mit der Errichtung eines "Privatstaats" krönen, scheinen nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Aber selbst wenn es das Ziel des starken Mannes war, die Macht ganz zu genießen, so dürfte es sich kaum erreichen lassen. Seit Sonntag ist sich das Volk seiner Macht bewusst. Jetzt kann es sich auch für andere Anführer entscheiden.


Frankfurter Allgemeine Zeitung (Michael Martens: Der Restbalkan)

Serben und Montenegriner haben es in den vergangenen hundert Jahren mit vielen staatlichen Modellen versucht. Der meist serbisch geprägte Jugoslawismus wurde mal monarchistisch, mal stalinistisch, blockfrei-sozialistisch und arbeiterselbstverwaltend oder föderal eingefärbt. Fehlgeschlagen sind alle diese Versuche. (...)
(...) Fortan wird eine andere Frage im Vordergrund stehen: Wo liegt die Zukunft der Staaten im Südosten Europas, die noch nicht Mitglied der EU sind? Diesen Staaten, die unter der Bezeichnung "Westlicher Balkan" geführt werden, ist in Thessaloniki im Sommer 2003 versprochen worden, daß sie dereinst auf jeden Fall der EU angehören werden. (...)
Inzwischen ist jedoch immer seltener von der europäischen Perspektive dieser Staaten die Rede, statt dessen um so häufiger von der erschöpften Aufnahmefähigkeit der EU. In Belgrad und Sarajevo fürchten die proeuropäischen Eliten bereits, ihre Staaten sollten in einer Endloswarteschleife auf Abstand zur EU gehalten werden. Eine internationale Balkan-Kommission hat die EU jüngst davor gewarnt, immerwährende Assoziierungsgespräche als institutionelles Pendant zu einer "privilegierten Partnerschaft" einzuführen. Tatsächlich träfe eine solche Politik Schuldlose. (...)
Die Europäische Gemeinschaft und die frühe EU hatten weder die Mittel noch die Erfahrung im Krisenmanagement, um des entgleisten Geschehens in Südosteuropa Herr zu werden. Doch zeigt das Gegenbeispiel, die Krise in Mazedonien, was entschlossenes Handeln der EU und der Vereinigten Staaten bewirken kann. Mit dem Abkommen von Ohrid konnte der sich 2001 in Mazedonien abzeichnende Bürgerkrieg unterbunden werden. "Ohrid" ist trotz der ständigen Schwäche des mazedonischen Staates bis heute ein Erfolgsstück. Zuletzt geht es auf dem Balkan auch um den weltumspannenden Ehrgeiz der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, für die gelten muß: erst Kosovo, dann Kongo. Ohne den Restbalkan ist die Union der Europäer nicht komplett - und dieser ohne sie in Gefahr, in den Abgrund zu fallen.


Die Presse (Wien) (Wieland Schneider: Ende einer glücklosen Balkan-Ehe)

(...) Montenegros Unabhängigkeit ist logischer Schlusspunkt eines langen Scheidungsprozesses. Schon 1999 war Montenegros starker Mann Milo Djukanovic auf Distanz zu Serbien gegangen - unter Zutun des Westens, galt es doch die Macht Milosevics zu beschneiden. Über dubiose Import-Export-Geschäfte mit Zigaretten sah man großzügig hinweg.
Mit dem Referendum wurden nun klare Verhältnisse geschaffen. Und für Djukanovic ist die Stunde der Wahrheit angebrochen. Er kann sich nun nicht mehr auf den "Mühlstein" Serbien ausreden, der jegliche Entwicklung verhindere. Er muss beweisen, dass Montenegro kein "Schmugglerparadies" ist, wie Kritiker behaupten, sondern ein normaler, lebensfähiger Staat. Gelingt das, hat er gezeigt, dass die Trennung von einem ungeliebten Partner auch sinnvolle Voraussetzung sein kann für den Eintritt in eine größere, europäische Partnerschaft.


junge Welt (Berlin) (Werner Pirker: Balkanisierung

Nach der Zerstörung Jugoslawiens steht nun auch der Staatenbund Serbien-Montenegro vor seiner Auflösung. Knapp über 55 Prozent der Montenegriner entschieden sich in einem Referendum für einen eigenständigen Staat. Dessen Geburtsfehler ist offensichtlich. Um demokratisch legitimiert zu sein, hätte er einer wesentlich deutlicheren Willensentscheidung, das heißt einer Zweidrittelmehrheit, bedurft. Das unabhängige Montenegro ist ein konjunkturelles Gebilde – entstanden im Zeichen der imperialistischen Vorherrschaft über den Balkan und nicht in Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes seiner Bevölkerung.
Dreißig Prozent der Bewohner Montenegros sind deklarierte Serben. Knapp über 40 Prozent definieren sich als Montenegriner. Doch das ist keine nationale, ethnisch, kulturell oder religiös begründbare Unterscheidung. Das Bewußtsein einer spezifisch montenegrinischen Identität ergibt sich aus der besonderen Geschichte des Landes der Schwarzen Berge, das in der Zeit des osmanischen Fremdherrschaft mehr Autonomie für sich in Anspruch zu nehmen wußte als die anderen serbischen Gebiete. Der montenegrinische Nationalstolz beruht auf dem Selbstverständnis, immer der freiheitsliebendste und militanteste Teil des Serbentums gewesen zu sein.
Die Entscheidung bei dieser Volksabstimmung fiel nicht zwischen Serben und Montenegrinern. Den Ausschlag gegen den Weiterverbleib in einem gemeinsamen Staat mit Serbien gaben die serbophob gestimmten Minderheiten, die slawischen Muslime und Albaner, die an die 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Der neue Staat beruht auf keinem nationalen Konsens. Souveräne Nationalstaaten sehen anders aus. Das »unabhängige Montenegro« ist wie Bosnien-Herzegowina eine illegitime Enklave des Imperialismus.
Das entspricht genau den Vorstellungen seiner Eliten, die ihr Schicksal nicht weiter mit dem bedrängten und geächteten Serbien verbinden wollen. Sie haben Montenegro zu einer kriminellen Freihandelszone gestaltet und setzen nun auf ein Separatabkommen mit den westlichen Hegemonialmächten. Unterstützung finden sie in den opportunistisch gesinnten Bevölkerungsschichten, die ihrem Balkandasein entfliehen wollen und sich die Öffnung ihres Landes nach »Europa« erhoffen. Doch in der balkanischen Vielstaaterei liegt nicht die Voraussetzung für eine gleichberechtigten Teilhabe an der Wirtschaftsmacht Europa, sondern für eine weitere Peripherisierung (Balkanisierung) der Region.
Der Vielvölkerstaat Jugoslawien hat den Balkanvölkern ein beachtliches Gewicht in den internationalen Beziehungen verliehen. Mit der Auflösung von Serbien-Montenegro sind seine letzten Teilrepubliken auf sich selbst zurückgeworfen worden.


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