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Wade allein zu Haus

Neun Oppositionspolitiker fordern Rückzug des senegalesischen Präsidenten von den Wahlen

Von Louisa Prause, Dakar *

Die Proteste gegen eine mögliche dritte Amtszeit des senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade gehen weiter: Neun Oppositionspolitiker kündigten an, erst in den Wahlkampf einzutreten, wenn der 85-Jährige seine Kandidatur für die Abstimmung am 26. Februar zurückzieht.

»Wade hat kein Recht, an der Präsidentenwahl teilzunehmen.« Mit dieser Auffassung steht der frühere Ministerpräsident Idrissa Seck nicht allein. Seck und acht weitere Präsidentschaftskandidaten haben ihre Kampagnen für die Wahlen am 26. Februar auf Eis gelegt, um Wade zum Rückzug zu bewegen.

In den vergangenen Tagen kam es in dem westafrikanischen Land mehrmals zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der Opposition und Sicherheitskräften. Fünf Menschen kamen bei Unruhen in Dakar und der nördlichen Stadt Podor ums Leben, darunter ein 32- jähriger Student, der von einem Polizeifahrzeug überrollt wurde. Die Polizei setzte auch Tränengas gegen Demonstranten ein.

Wade, einst Held des friedlichen Übergangs im Jahre 2000, als er durch seinen Wahlsieg die 40- jährige Herrschaft der Sozialistischen Partei beendete, ist heute die Zielscheibe des Protests. Obwohl er selbst die Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Legislaturperioden begrenzt hatte, stellt er sich am 26. Februar zum dritten Mal zur Wahl. Das Verfassungsgericht ließ seine Kandidatur am 27. Januar zu, schloss aber zugleich den bekannten Musiker Youssou N’Dour von der Wahl aus.

Am Tag des Urteils hatten sich am Place de l’Obelisque erwartungsvoll Anhänger der Bewegung M23 versammelt. Nach der Bekanntgabe der Kandidatenliste machten sich Enttäuschung und Wut breit, es kam zu Scharmützeln mit den Sicherheitskräften.

Das Bündnis M23 entstand 2011 aus den erfolgreichen Protesten gegen eine von Wade eingebrachte Verfassungsänderung. Der Entwurf hätte einen Sieg bei der Präsidentenwahl mit nur 25 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang ermöglicht. Zudem versuchte Wade den Posten eines Vizepräsidenten einzuführen, der, so glauben viele, seinem Sohn Karim Wade zugedacht war.

Die Bewegung M23 vereint die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten der Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft. Gemeinsam mit M23 hat die Gruppe »Y'en a marre« (Uns reicht's), der vor allem Jugendliche angehören, zu Protesten gegen Wades dritte Kandidatur aufgerufen. Neue landesweite Aktionen folgten am 31. Januar nach einem weiteren M23-Aufruf, und wieder gingen Zehntausende auf die Straße.

Viele Senegalesen erhoffen sich von einem Regierungswechsel ein Ende der ökonomischen und sozialen Krise. Unter der Herrschaft Wades ist die Arbeitslosigkeit, vor allem unter der Jugend, stark gestiegen, Stromausfälle von mehreren Stunden gehören mittlerweile zum Alltag, der Bildungssektor wird von ständigen Streiks erschüttert. Die Landwirtschaft ist in der Krise und die Verelendung sowohl auf dem Land als auch in der Stadt nimmt zu. Insbesondere in den dicht besiedelten Vorstädten Dakars hat sich die Lebenssituation für viele durch die neoliberale Politik der letzten Jahre verschlechtert. Abdoulaye Wade ist zur Personifizierung dieser Entwicklung geworden.

In Senegal geht es jedoch vor allem um die Verteidigung der Verfassung und nicht um einen Sturz des Regimes – anders als in den Ländern der Arabellion. Der Glaube an demokratische Wahlen und die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation durch einen demokratischen Regimewechsel sind stark. Der Protestslogan der Oppositionsbewegungen M23 und »Y'en a marre« ist »Nein zu einer dritten Kandidatur Wades«, nicht etwa »Wade, hau ab!« Vergleiche mit dem Kairoer Tahrir-Platz werden kaum angestellt. Die privaten Medien vergleichen Wade eher mit dem Ivorer Laurent Gbagbo als mit Mubarak oder Ben Ali. Die Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen wie in Côte d'Ivoire nach den Wahlen 2010 ist groß.

Für die Präsidentschaftskandidaten, die sich im Bündnis M23 zusammengeschlossen haben, ist klar: Vorbedingung für freie und faire Wahlen ist Wades Rückzug. Die linke Partei PIT bemüht sich unterdessen um eine Radikalisierung der Forderungen und will durch weitere Protestaktionen den sofortigen Rücktritt Wades erzwingen. Andere Stimmen in der Opposition fordern einen Boykott der Wahlen. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass die Opposition Wade noch vor dem ersten Wahlgang Ende Februar zum Rücktritt zu zwingen vermag. Zum Showdown wird es nach dem 26. Februar kommen. Dann sind beide Szenarien möglich: Eine umfassende öffentliche Mobilisierung, die Wade doch noch in der Art der Arabellion aus dem Amt jagt, oder ein ähnlich brutaler Gewaltausbruch wie in Côte d'Ivoire. Sicher ist, eine dritte Amtszeit des Präsidenten werden die Senegalesen nicht tolerieren.

* Aus: neues deutschland, 9. Februar 2012


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