Sonnenstrom ins Dorf
Der südsenegalesische Ort Baïla ist Vorreiter für Verbesserung der Lebensbedingungen durch Solarenergie
Von Dierk Jensen *
Das westafrikanische Senegal hat
ehrgeizige Ziele. Es will im nächsten
Jahrzehnt den ländlichen Raum vollständig
elektrifizieren. Dabei werden
Sonne, Wind und Biomasse eine
wichtige Rolle spielen – wie im südsenegalesischen
Dorf Baïla schon
heute zu beobachten ist.
Die Gezeiten spielen in der tropischen
Casamance eine große Rolle.
Ebbe und Flut reichen über ein
verzweigtes Flusssystem bis weit
ins Landesinnere der südsenegalesischen
Region hinein. Auch der
Fluss Marigot de Baïla, der am
gleichnamigen Ort vorbeifließt,
liegt rund fünfzig Kilometer landeinwärts
von der Atlantikküste bei
Ebbe trocken. Scharen von Pelikanen
waten dann durch das
Flussbett.
Ähnlich wie die Gezeiten verhält
es sich mit dem Strom aus der
Steckdose im 2000 Einwohner
zählenden Baïla: Er kommt und
geht. »Wir haben hier ständig
Stromausfälle«, klagt Bauer Abasse
Goudiaby, »manchmal gibt es
tagelang keinen Strom.« Dann gibt
es kein Licht mehr, kein Mobiltelefon
lässt sich aufladen, keine
Nähmaschine rattert, Wasserpumpen
versiegen, Radios und
Fernseher senden nicht und auch
die Lautsprecher des Muezzin
bleiben stumm.
Überall im westafrikanischen
Senegal ist das Stromnetz überlastet,
es bricht regelmäßig zusammen.
Kein Wunder, der Bedarf
der heute rund 12 Millionen Senegalesen
wächst jedes Jahr um
durchschnittlich acht Prozent. Dabei
gelingt es dem staatlichen
Stromversorger Société nationale
d'Electricité (Senelec) nur mühsam,
dieser steigenden Nachfrage
mit neuen Kraftwerken zu entsprechen.
Der teilweise veraltete
Kraftwerkspark umfasst weniger
als 500 Megawatt. Ausgerechnet
ein Kohlekraftwerk, das, schenkt
man den Gerüchten Glauben, Chinesen
bauen wollen, soll Abhilfe
schaffen.
Bei Stromausfall springt Fotovoltaik ein
Ganz abgesehen von den Stromausfällen
ist es aber so, dass zu
vielen ländlichen Gebieten, ganz
anders als in Baïla, das an der
Hauptstraße Nummer 5 in Richtung
Provinzhauptstadt Ziguinchor
liegt, noch keine Stromleitungen
führen. So gehen Experten
davon aus, dass überhaupt erst ein
Drittel der ländlichen Bevölkerung
ans öffentliche Stromnetz angeschlossen
ist.
Baïla verfügt über eine Krankenstation,
zu der die Menschen
im Umkreis von vielen Kilometer
kommen, um sich behandeln zu
lassen. Für die dort arbeitenden
Mediziner und Pfleger war es in
der Vergangenheit besonders heikel,
wenn wegen längeren Stromausfalls
die Kühlaggregate ausfielen.
Wichtige Medikamente und
lebensrettende Blutkonserven
konnten nicht mehr ausreichend
gekühlt werden und verdarben.
Ein plötzlicher, nächtlicher
Stromausfall war dramatisch,
wenn in der Entbindungsstation
eine schwierige Geburt zu bewältigen
war.
Solche Situationen gehören seit
Mai letzten Jahres der Vergangenheit
an: Eine Fotovoltaik-Anlage
mit einer Leistung von fünf
Kilowatt auf dem Dach der Krankenstation
speist Batterien, die bei
Netzausfällen den nötigen Strom
ersetzt. So dient die gespeicherte
Solarenergie als Notstromaggregat
und liefert bei funktionierendem
Netz zusätzlich Strom.
Initiiert hat dieses Projekt die
deutsche Kaïto Energie AG mit Sitz
in München, die in moderne Infrastruktur
für ländliche Elektrifizierung
investiert. Kaïto, das für
ihre Aktivitäten im Jahr 2009 den
deutschen Solarpreis erhielt,
spornt dabei vor allem lokale Akteure
in verschiedenen afrikanischen
Ländern an, Dorfstromanlagen
auf der Basis erneuerbarer
Energien zu entwickeln. Kaïto will
damit nicht nur kurzatmige Wohltaten
bewirken, sondern langfristige
Entwicklungen anschieben,
die sich ökonomisch tragen.
»Strom ist kein Selbstzweck, sondern
ermöglicht die Gründung von
Handwerks- und Produktionsbetrieben.
So entsteht Schritt für
Schritt ein Wirtschaftskreislauf,
der die Menschen unabhängig von
fremder Hilfe macht«, unterstreicht
Kaïto-Geschäftsführerin
Heidi Schiller.
Verknüpft mit Wasser und Landwirtschaft
Drei Meter hoch ragt die Hirse von
Abasse Goudiaby in den Himmel.
Der Mann, der in Kooperation mit
Kaïto die Solaranlage federführend
vor Ort betreut, bewirtschaftet
einen Bauernhof mit 1,5 Hektar
Ackerland und insgesamt zehn
Rindern, davon sieben Kühen.
Goudiaby kommt ursprünglich aus
der Gegend, emigrierte als junger
Mann nach Frankreich, weil er in
der Casamance keine Perspektive
sah. Erst vor einigen Jahren kehrte
er in seine Heimat zurück.
Für ihn ist die Fotovoltaik-Anlage
nur ein Baustein im geplanten
Umbau seines Dorfes. Denn Goudiaby
begreift Landwirtschaft,
Wasser und Energie als Bereiche,
die eng miteinander verwoben
sind. So will der 55-Jährige das
dörfliche Beweidungssystem, bei
dem Kühe und Ziegen bisher unkontrolliert
querbeet durch die
Landschaft ziehen und jegliches
Grün abknabbern, beenden. »Ich
beabsichtige in Zukunft, meine
Kühe einzuzäunen«, sagt Goudiaby.
Hinter seinem Haus zeigt der
Senegalese, wie er das anpacken
will. Goudiaby pflanzt Hecken aus
Jatropha, die mittelfristig das
Pflanzenöl für ein dörfliches
Blockheizkraftwerk oder für einen
Traktor bereitstellen könnten.
»Allerdings ist es bis dahin noch
ein langer Weg. Erst einmal müssen
wir uns um geeignetes Pflanzmaterial
kümmern, dann um einen
gemeinschaftlichen Anbau, für
den wir auch Wasser brauchen,
das wir momentan aber noch gar
nicht in ausreichender Menge haben.«
Die Krankenstation von Baïla
liegt ungefähr 200 Meter vom Hof
Goudiabys entfernt. Ein Sandweg
führt dorthin, vorbei am Dorfplatz,
vorbei an großen Kapok- und
Mangobäumen. Obwohl die Regenzeit
erst in Monaten beginnt,
ist es schwül-warm. Frischer Reis,
der in den Niederungen des Flusses
angebaut und per Hand geerntet
wird, liegt auf vielen Innenhöfen
ausgebreitet auf dem Boden
zum Trocknen aus.
Vor der Krankenstation steht
ein Krankenwagen, der unter anderem
bei Infarkten, schweren
Unfallverletzungen, heftigen Malaria-
Erkrankungen oder auch bei
schwierigen Geburten Patienten
und schwangere Frauen ins Krankenhaus
der Provinzhauptstadt
Ziguinchor fährt. »Das passiert
sehr selten«, sagt Pape Assane Coly
in den Räumen der Station, die
er als medizinisch ausgebildeter
Pfleger leitet. »Seitdem wir die Solaranlage
haben, habe ich die Sicherheit,
dass zu jeder Zeit alle
wichtigen Medikamente gekühlt
sind. Gerade die Malariamittel
brauche ich ständig.«
Wichtiges Ziel: Baldige Elektrifizierung
Ländliche Elektrifizierung ist eines
der großen entwicklungspolitischen
Ziele, die die derzeitige senegalesische
Regierung schon im
nächsten Jahrzehnt vollendet haben
will. So hat Staatspräsident
Abdoulaye Wade in seiner Neujahrsansprache
das Thema zu einem
der wichtigsten nationalen
Herausforderungen erkoren. »Bei
uns leben etwa sieben Millionen in
den ländlichen Regionen. Der
Hälfte von ihnen wollen wir bis
Ende 2012 eine Stromversorgung
bieten«, erklärt Modibo Diop, Chef
der Agence Sénégalaise d'Electrification
Rurale (ASER) in der
Hauptstadt Dakar. Wenn es nach
Diop geht, dann gibt es spätestens
2017 in jedem noch so weit entfernten
senegalesischen Dorf
elektrisches Licht.
Nicht jedes Dorf will so lange
warten, investiert schon jetzt in
Inselnetze, die wahlweise mit Dieselgeneratoren
und Solarenergie
angetrieben werden. Dagegen ist
dezentraler Strom aus Biogas noch
gar kein Thema, während über
kleine Windpropeller inzwischen
vielerorts laut nachgedacht wird.
»Der Preis für Solarstrom hierzulande
ist heute schon günstiger als
ölbasierter Strom«, sagt ASERChef
Diop und verweist auf inzwischen
Hunderte von Fotovoltaik-
Anlagen mit mehr als einem Kilowatt
Leistung und weitere 10 000
Solar-Home-Systeme, die zumeist
mit Hilfe von europäischer Entwicklungshilfe
in Senegal installiert
wurden. Zusammen verfügt
das Land so über eine solare Leistung
von rund 2,5 Megawatt.
Die Mini-Solaranlagen stellen
mit ein paar hundert Watt Leistung
den Strom für Radio und
Fernsehen oder auch für Ladestationen
von Mobilfunktelefonen bereit.
Gerade Handys sind nicht nur
im Senegal, sondern überall in Afrika
stark im Kommen. Überall im
Land werden von den prosperierenden
Telefongesellschaften
Funkmasten errichtet. So erlebt
man die kuriose Situation, dass in
vielen Landesteilen nicht genug
Wasser für die Landwirtschaft
vorhanden ist, es in vielen Dörfern
gar keinen Stromanschluss gibt,
dafür aber im fernsten Busch der
Ziegenhirte plötzlich sein Handy
selbstverständlich aus der Tasche
zieht.
Eine afrikanische Revolution,
die auch in Baïla nicht haltmacht.
Denn wenn es mal technische
Probleme mit der Solaranlage gibt,
dann greift Bauer Goudiaby zum
Mobiltelefon, ruft einen Kundenbetreuer
vom Modulhersteller
Schott Solar in Deutschland an und
versucht on air das Problem zu lösen.
Manchmal klappt das sogar.
Solar sei Dank.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 31. März 2012
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