Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Senegals Zukunft steht auf dem Spiel

Mit dem Landraub wird den Kleinbauern auch das Wasser abgegraben

Von Thierno Sall und Martin Zint *

Internationale Agrarinvestoren haben längst ein Auge auf das fruchtbare Land in Senegal geworfen. Aber der Widerstand gegen Land- und Wasserraub nimmt in dem westafrikanischen Land zu.

»Ich wurde hier geboren und will auch hier alt werden. Deshalb setze ich mich zusammen mit der senegalesischen Bauernorganisation ENDA/ProNat gegen Land- und Wasserraub ein.« Das sagt der Bauer Ardo Sow. Er lebt in Ngnith, einer ländlichen Gemeinde am Senegalfluss. Dort hat ein ausländischer Investor 26 000 Hektar Land für den Anbau von Sonnenblumen langfristig gepachtet. Mit der Hilfe von ENDA/ ProNat und seinen weltweiten Partnern unterstützt Herr Sow die Bewohner seines Dorfes im Kampf gegen das Projekt »Sen huile – Sen éthanol«. Außerdem klärt er darüber auf, wie wichtig der Schutz der Wasserressourcen ist.

Wenn weiter Wasser für die Plantagen des Projekts »Sen huile – Sen éthanol« und die anderen Projekte entzogen wird, wird es auf lange Sicht nicht genügend für die Bauern und Viehzüchter der Gegend und Senegal im Allgemeinen geben.

Ein großes Problem stellen die Bewässerungssysteme dar, die von den am Landraub beteiligten Firmen angelegt werden. Für das Projekt »Sen huile – Sen éthanol« wurden zum Beispiel offene Wassergräben angelegt. Das bedeutet, dass viel von dem knappen Wasser verdunstet oder versickert. Außerdem wird es in gigantischen Beregnungsanlagen eingesetzt, die eine Menge Wasser verschwenden. Millionen Kubikmeter werden so verschleudert.

Wichtig ist auch der Schutz von Flora und Fauna. Ein ganzer Wald wurde bereits zerstört und zur Großplantage gemacht. Damit sind viele Tier- und Pflanzenarten verschwunden. Dabei müssen wir eigentlich alles dafür tun, die Artenvielfalt zu erhalten!

ENDA/ProNat versucht mit seinen Partnern, der betroffenen Bevölkerung zu helfen. Beispielsweise indem angestrebt wird, an den Universitäten in Senegal auf den Konflikt aufmerksam zu machen und dort Kampagnen zur Mobilisierung und Sensibilisierung junger Menschen durchzuführen. Dieses zweifache Problem – Land- und Wasserraub – gehört in den Blick der Öffentlichkeit. Den Nachwuchsakademikern muss die Dringlichkeit vermittelt werden: »Seht her, das passiert gerade in eurem Land. Wenn ihr nichts dagegen unternehmt, sind in zehn Jahren alle natürlichen Ressourcen eures Landes erschöpft, den Profit haben andere.« Ardo Sow macht sich Sorgen um die Zukunft, dabei ist die Gegenwart schon schwer genug. Die Solidarität vieler Menschen im In- und Ausland macht ihm Mut. Er erfährt sie über Enda/ProNat und deren internationale Partner, darunter der Berliner Weltfriedensdienst.

Einer der Mutmacher ist Alpha Ba, von Beruf Soziologe. Seit fast sechs Jahren arbeitet er mit ENDA/ProNat zusammen. In dieser Zeit ist er Spezialist für Landrecht geworden. Seine theoretischen Kenntnisse als Soziologe ergänzten sich gut mit der praktischen Arbeit von Enda/Pronat und seinen Partnern vor Ort. Das verschaffte ihm einen guten Überblick über die entwicklungspolitischen Fragen in Senegal. Und unvermeidlich rückt die Problematik des »Land Grabbing« in den Vordergrund. Bodenrechtliche Fragen sind in Senegal generell eine sehr heikle Angelegenheit. Traditionelles Landrecht, das nur zeitlich begrenzte und mündlich tradierte Ansprüche auf Land anerkennt, und modernes Bodenrecht mit eingetragenen Landtiteln prallen unvereinbar aufeinander. Die Lage wird durch die staatliche Vergabe von Land an Investoren noch verschärft. »Uns allen und den Behörden muss klar sein, dass ein Land ohne Landflächen nicht souverän ist. Ohne sie hat Senegal keine Zukunft. Wir müssen sie schützen und nachhaltig und produktiv bewirtschaften – mit Familienbetrieben, die Gemüse anbauen und Vieh züchten. Das wird Senegal und die Kleinbauern voranbringen«, sagt Alpha Ba. Die Hoffnung wird genährt durch die Erfahrung der Bewohner von Fanaye. Dort wollte ein senegalesisch-italienisches Unternehmen 20 000 Hektar Land an sich reißen. Das ist ein Drittel des dortigen anbaufähigen Bodens. Aus Sonnenblumenkernen sollte Ethanol gewonnen werden. Das Unternehmen versprach Arbeitsplätze und Infrastruktur. Trotzdem hat sich ein Großteil der Bevölkerung dem Projekt widersetzt. Was für Löhne? Was für Arbeitsplätze? Für wie lange? Haben die Menschen gefragt und erkannt, dass nichts ihr Land ersetzen kann, das sie seit Generation ernährt.

Um gegen die Enteignung zu kämpfen, haben sich die »Landraubgegner« im Kollektiv zur Verteidigung des Bodens von Fanaye zusammengeschlossen. Die Anregung dazu kam von ENDA/ProNat, einem lokalen Bauernverband und Partner des Berliner Weltfriedensdienstes. Das Kollektiv organisierte den Widerstand und führte Protestaktionen durch. Unterstützt werden sie von dem senegalesischen Aktions- und Reflektionsnetzwerk zum Bodenrecht CRAFS. Darin arbeitet eine breite Palette von Organisationen zusammen, die in Senegal aktiv sind (Nichtregierungsorganisationen, Bauernorganisationen, Forschungseinrichtungen, Verbraucherverbände, Wissenschaftler …). Das CRAFS ordnet den Kampf in einen größeren Rahmen ein, da die Versuche und Fälle von Landraub in Senegal immer häufiger werden.

Nachdem der Vorsitzende des Landrats von Fanaye in den Medien die Vorzüge des Projekts und seiner Annahme durch die Bevölkerung herausgestrichen hatte, begann das Kollektiv zur Verteidigung des Bodens von Fanaye, den Ernst der Situation und das in ihrem Ort herrschende Klima der nationalen und internationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dieses Projekt, in dessen Planung die Bevölkerung nicht einbezogen ist, hätte gravierende Folgen. Mehr als 60 Dörfer müssten umgesiedelt werden. Der große Bestand an Rindern, Schafen, Ziegen und Pferden wäre nicht zu halten, mehrere tausend Hektar Wald würden zerstört, Friedhöfe und Moscheen entweiht, Tausende Bauern und Viehzüchter würden ihr Einkommen verlieren.

Trotz der Kundgebungen der Bevölkerung und den friedlichen Protesten haben die Behörden an dem Vorhaben festgehalten. Die Situation im Dorf eskalierte, der Ton zwischen den wenigen Befürwortern des Projektes und seinen im Kollektiv zur Verteidigung des Bodens zusammengeschlossenen Gegnern wurde schärfer. Schließlich kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Drei Tote wurden offiziell gemeldet, das Gemeindehaus ging in Flammen auf.

Die Medien haben sich auf das Thema gestürzt, auch die Politiker. Die Situation drohte das ganze Land in Aufruhr zu versetzen. Nun erst hat sich der damalige Präsident der Republik, Abdoulaye Wade, (im März 2012 wurde ein neuer Präsident gewählt) mit dieser Frage beschäftigt. Er empfing in seinem Palast die Vertreter des Kollektivs zur Verteidigung des Bodens von Fanaye. Nach dem Gespräch ordnete er die Einstellung des Projekts und die Eröffnung einer Untersuchung an, um die Verantwortung zu klären.

Der Bevölkerung ist es gelungen, den Prozess um den Preis von Menschenleben rückgängig zu machen, aber für wie lange? Offiziell ist das Projekt in Fanaye inzwischen eingestellt. Eine gerichtliche Untersuchung ist im Gang. Aber der Raub von Land und Wasser geht an anderer Stelle weiter. Der Widerstand auch.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 13. Dezember 2013


Nicht nur die Fische werden knapp

Senegal hat wirtschaftlich schwer zu kämpfen

Von Martin Zint **


Pays de Teranga, Land der Gastfreundschaft – so nennt sich Senegal oft selber. Aus der Tradition der Gastfreundschaft hat das Land eine wichtige Deviseneinnahmequelle entwickelt. Die touristische Infrastruktur ist vorwiegend für Individualtouristen ausgelegt. Zu weit sollte man sich allerdings nicht von den besonders geschützten Touristenorten entfernen. Die Kriminalitätsrate ist hoch, da die sozialen Unterschiede sehr groß sind und die wirtschaftliche Lage allgemein schlecht ist.

Bedeutender Wirtschaftszweig ist die Fischerei. Wegen Überfischung der Küstengewässer wird sie aber immer unrentabler. Verantwortlich sind hochmoderne Fangflotten aus Ländern der Europäischen Union und aus Japan, die vor der Küste Senegals fischen. Industrielle Fangschiffe können täglich rund 300 Tonnen Fisch fangen und verarbeiten. Soviel fangen 40 traditionelle afrikanische Fischer kaum zusammen im Jahr. Aus Verzweiflung stechen viele Fischer mit ihren Booten ein letztes Mal in See, völlig überladen mit ebenfalls verzweifelten Menschen, auf dem Weg in eine vermeintlich bessere Zukunft.

Im Frühjahr 2012 gab es einen demokratisch legitimierten Wechsel in der Präsidentschaft, allerdings nicht ohne Probleme. Abdoulaye Wade, der im Jahr 2000 zum Präsidenten gewählt worden war, hatte eine verfassungswidrige dritte Amtszeit angestrebt. Letztlich akzeptierte er aber die Niederlage in der Stichwahl und sein Rivale Macky Sall übernahm das Amt – mit dem Versprechen, die Korruption zu bekämpfen und sich den großen Problemen des Landes zu widmen. Allem voran der wirtschaftlichen Entwicklung. Senegal belegt im Human Development Index der Vereinten Nationen auf Platz 154 von 186.

Senegal ist der Schauplatz des am längsten dauernden Bürgerkriegs in Afrika. Das hemmt die wirtschaftliche Entwicklung. Seit 1982 kämpfen mehrere bewaffnete Gruppen für die Unabhängigkeit der Region Casamance. Teile des Gebietes sind vermint und deshalb landwirtschaftlich nicht zu nutzen. Versuche, die Minen zu räumen, werden von den Aufständischen behindert. Die Situation ist völlig verfahren. Wenn eine Gruppe zu Verhandlungen bereit ist, torpedieren die anderen die Gespräche. Das hat die Frauen in der Casamance bewogen, sich zusammenzuschließen und in den Friedensprozess einzugreifen. Sie erarbeiteten ein »Memorandum für den Frieden in der Casamance und ließen es von Künstlern, Politikern, religiösen Führern und anderen Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft unterschreiben. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft legten sie es allen Kandidaten zur Unterschrift vor. Auch der neue Präsident unterschrieb und ist seitdem im Wort. Taten sind allerdings noch nicht gefolgt.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 13. Dezember 2013


Zurück zur Senegal-Seite

Zur Wasser-Seite

Zurück zur Homepage