Rechtspopulisten reden Niederlage klein
Blochers Volkspartei verliert bei Wahlen in Schweiz
Von Steffen Klatt, St. Gallen *
Die Schweizerische Volkspartei (SVP)
ist die erfolgreichste rechtspopulistische
Partei in Europa. Doch nach der
jüngsten Wahl bröckelt ihr Einfluss.
Toni Brunner hat Humor. Doch in
diesen Tagen ist dem erst 37-jährigen
SVP-Präsidenten das Lachen
vergangen. Er muss vor zahlreichen
Kameras und Mikrofonen
immer wieder erklären, warum
seine Partei am Sonntag 3,6 Prozent
der Wählerstimmen und 8 von
62 Sitzen im 200-köpfigen Nationalrat
verloren hat – so viel wie
keine andere. Die offiziellen Endergebnisse
der Parlamentswahlen
ließen am Montag wegen einer
Computerpanne im Kanton Waadt
länger auf sich warten als geplant.
Auch wenn die SVP mit rund
25,3 Prozent stärkste Partei bleibt,
es ist ihre erste Niederlage, seit
Ende der 80er Jahre der Aufstieg
der kleinsten der vier Bundesratsparteien
an die Spitze begann.
Zweitstärkste politische Kraft bleiben
die Sozialdemokraten (SP),
aber auch sie verschlechterten
sich, um 1,4 auf 18,1 Prozent. Erheblichen
Stimmenzuwachs verzeichneten
vor allem die rechts von
den Grünen stehenden Grünliberalen
mit 5,3 und überraschend
die Bürgerlich-Demokratische
Partei (BDP) mit 5,2 Prozent.
Brunner versucht, die Niederlage
kleinzureden: »Die SVP ist
noch immer die stärkste Partei.«
Gern verweist er auch auf die Kantone,
in denen man hinzugewinnen
konnte. Jetzt komme eben die
Phase der Konsolidierung, um
dann »wieder zuzulegen«. Brunner
weiß, wovon er redet. Er hat
die Partei in seinem eigenen Kanton
St. Gallen in jahrelanger Kleinarbeit
aufgebaut – wie schon sein
Vorbild Christoph Blocher vor ihm
im Kanton Zürich. Die Stärke der
SVP geht zu einem guten Teil auf
diese disziplinierte Basisarbeit zurück.
Ob es diesmal wieder gelingt,
ist aber offen. Die Rechtspopulisten
bestimmen seit zwei Jahrzehnten
die Politik in der Schweiz
und werden nicht mehr als glaubwürdige
Opposition wahrgenommen,
geschweige denn als frische
Kraft. So verlieren sie ausgerechnet
in ihren Stammkantonen am
deutlichsten, etwa in Zürich an die
BDP, vor drei Jahren von enttäuschten
gemäßigteren SVP-Politikern
gegründet.
Die SVP hat einst mit »Tabuthemen
« gepunktet: Ein EU-Beitritt
sei nicht sinnvoll; man habe
zu viele Ausländer aufgenommen,
die nicht mehr integriert werden
konnten; die innere Sicherheit
verschlechterte sich. Doch inzwischen
sind das nicht mehr die
zentralen Themen. Und auf die
aktuellen, die Kernenergie und die
Stärke des Franken, hatte die SVP
keine überzeugenden Antworten.
Viele Wähler setzen in Zeiten unruhiger
Märkte lieber auf Konsens
statt auf Konfrontation.
Die Niederlage hat bereits Folgen.
Brunner bekennt sich nun
ausdrücklich zur sogenannten
Konkordanz. Damit sichert er der
SP zu, dass sie in der siebenköpfigen
Regierung ihren zweiten Sitz
halten könne – und verlangt im
Gegenzug einen zweiten für seine
Partei. Doch SP-Präsident Christian
Levrat ziert sich, nachdem
»beide rechte Parteien SVP und
Freisinnige zusammen 12 Sitze
verloren haben«. Die Partei wolle
erst im November entscheiden, wie
man bei der Regierungsbildung
Mitte Dezember abstimmen werde.
Der aufsteigende Stern der
neuen Mitte, der Grünliberale
Martin Bäumle, rechnet mit langfristigen
Folgen der SVP-Niederlage.
»In Zukunft wird es leichter
sein, im Parlament Lösungen zu
finden.«
* Aus: neues deutschland, 25. Oktober 2011
Hauptsache Ö!
Martin Bäumle ist Vorsitzender der Schweizer GLP, der »grünliberalen« Partei, die bei den Wahlen an Stimmen hinzugewann
Thomas Blum **
Die Schweiz! Land der grünen Auen und schwarzen Konten! Da liegt es nahe, dass sich der Schweizer Wähler, wie am Sonntag geschehen, für eine Partei begeistert, in der man sich für ein gesundes Portemonnaie ebenso begeistern kann wie für eine gesunde Umwelt. Und die Partei heißt drolligerweise auch so: Die »Grünliberalen« sind eine Abspaltung der Schweizer Grünen.
Und tatsächlich: Begibt man sich auf die Webseite der Partei, erfährt man gleich zur Begrüßung alles Wesentliche, was man wissen muss. Man wolle »zukunftsgerichtete Lösungen voranbringen« und »keine ideologischen Grabenkämpfe führen«, heißt es dort. Man reiht sich also ein in die lange Liste der derzeit populären Pragmatikerparteien der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Allen will man es recht machen. Weder links noch rechts will man sein, sondern »realpolitisch«. Was der eine oder andere als »wirtschaftsfreundlich« übersetzen könnte.
Für die »Vereinbarkeit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Anliegen« will man sich einsetzen, für eine Art freundlich auftretenden, schmutzabweisenden, gebügelten Kapitalismus also, der die Umwelt so schont, dass mit ihr auch in hundert Jahren noch Profit gemacht werden kann. Die Wirtschaft muss ordentlich brummen, und der Rubel muss rollen, aber gegen das Pflanzen von Apfelbäumchen hat auch keiner was einzuwenden, so ungefähr etwa hat man sich das vorzustellen.
Martin Bäumle heißt passenderweise der Mann, der die Wohlstandsbürgerpartei anführt. Der 47-jährige Chemiker, Inhaber einer Firma für »atmosphärenchemische Messungen«, der früher bei den Schweizer Grünen war, hat 2004 die Grünliberalen mitbegründet, seit 2006 ist er deren »Präsident«, also Vorsitzender. Den Erfolg seiner Öko-FDP sieht er in der »Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie«. »Die Grünliberalen bedeuten eine klare Verstärkung des ökologischen Denkens unter Berücksichtigung der finanziellen Ressourcen und einer nachhaltigen Wirtschaft in der politischen Mitte.« Reden kann der Mann wie ein grüngewaschener Wirtschaftsliberaler. Und das ist er ja auch.
** Aus: neues deutschland, 25. Oktober 2011
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