Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rechtspopulisten reden Niederlage klein

Blochers Volkspartei verliert bei Wahlen in Schweiz

Von Steffen Klatt, St. Gallen *

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist die erfolgreichste rechtspopulistische Partei in Europa. Doch nach der jüngsten Wahl bröckelt ihr Einfluss.

Toni Brunner hat Humor. Doch in diesen Tagen ist dem erst 37-jährigen SVP-Präsidenten das Lachen vergangen. Er muss vor zahlreichen Kameras und Mikrofonen immer wieder erklären, warum seine Partei am Sonntag 3,6 Prozent der Wählerstimmen und 8 von 62 Sitzen im 200-köpfigen Nationalrat verloren hat – so viel wie keine andere. Die offiziellen Endergebnisse der Parlamentswahlen ließen am Montag wegen einer Computerpanne im Kanton Waadt länger auf sich warten als geplant.

Auch wenn die SVP mit rund 25,3 Prozent stärkste Partei bleibt, es ist ihre erste Niederlage, seit Ende der 80er Jahre der Aufstieg der kleinsten der vier Bundesratsparteien an die Spitze begann. Zweitstärkste politische Kraft bleiben die Sozialdemokraten (SP), aber auch sie verschlechterten sich, um 1,4 auf 18,1 Prozent. Erheblichen Stimmenzuwachs verzeichneten vor allem die rechts von den Grünen stehenden Grünliberalen mit 5,3 und überraschend die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) mit 5,2 Prozent.

Brunner versucht, die Niederlage kleinzureden: »Die SVP ist noch immer die stärkste Partei.« Gern verweist er auch auf die Kantone, in denen man hinzugewinnen konnte. Jetzt komme eben die Phase der Konsolidierung, um dann »wieder zuzulegen«. Brunner weiß, wovon er redet. Er hat die Partei in seinem eigenen Kanton St. Gallen in jahrelanger Kleinarbeit aufgebaut – wie schon sein Vorbild Christoph Blocher vor ihm im Kanton Zürich. Die Stärke der SVP geht zu einem guten Teil auf diese disziplinierte Basisarbeit zurück.

Ob es diesmal wieder gelingt, ist aber offen. Die Rechtspopulisten bestimmen seit zwei Jahrzehnten die Politik in der Schweiz und werden nicht mehr als glaubwürdige Opposition wahrgenommen, geschweige denn als frische Kraft. So verlieren sie ausgerechnet in ihren Stammkantonen am deutlichsten, etwa in Zürich an die BDP, vor drei Jahren von enttäuschten gemäßigteren SVP-Politikern gegründet.

Die SVP hat einst mit »Tabuthemen « gepunktet: Ein EU-Beitritt sei nicht sinnvoll; man habe zu viele Ausländer aufgenommen, die nicht mehr integriert werden konnten; die innere Sicherheit verschlechterte sich. Doch inzwischen sind das nicht mehr die zentralen Themen. Und auf die aktuellen, die Kernenergie und die Stärke des Franken, hatte die SVP keine überzeugenden Antworten. Viele Wähler setzen in Zeiten unruhiger Märkte lieber auf Konsens statt auf Konfrontation.

Die Niederlage hat bereits Folgen. Brunner bekennt sich nun ausdrücklich zur sogenannten Konkordanz. Damit sichert er der SP zu, dass sie in der siebenköpfigen Regierung ihren zweiten Sitz halten könne – und verlangt im Gegenzug einen zweiten für seine Partei. Doch SP-Präsident Christian Levrat ziert sich, nachdem »beide rechte Parteien SVP und Freisinnige zusammen 12 Sitze verloren haben«. Die Partei wolle erst im November entscheiden, wie man bei der Regierungsbildung Mitte Dezember abstimmen werde. Der aufsteigende Stern der neuen Mitte, der Grünliberale Martin Bäumle, rechnet mit langfristigen Folgen der SVP-Niederlage. »In Zukunft wird es leichter sein, im Parlament Lösungen zu finden.«

* Aus: neues deutschland, 25. Oktober 2011


Hauptsache Ö!

Martin Bäumle ist Vorsitzender der Schweizer GLP, der »grünliberalen« Partei, die bei den Wahlen an Stimmen hinzugewann

Thomas Blum **


Die Schweiz! Land der grünen Auen und schwarzen Konten! Da liegt es nahe, dass sich der Schweizer Wähler, wie am Sonntag geschehen, für eine Partei begeistert, in der man sich für ein gesundes Portemonnaie ebenso begeistern kann wie für eine gesunde Umwelt. Und die Partei heißt drolligerweise auch so: Die »Grünliberalen« sind eine Abspaltung der Schweizer Grünen.

Und tatsächlich: Begibt man sich auf die Webseite der Partei, erfährt man gleich zur Begrüßung alles Wesentliche, was man wissen muss. Man wolle »zukunftsgerichtete Lösungen voranbringen« und »keine ideologischen Grabenkämpfe führen«, heißt es dort. Man reiht sich also ein in die lange Liste der derzeit populären Pragmatikerparteien der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Allen will man es recht machen. Weder links noch rechts will man sein, sondern »realpolitisch«. Was der eine oder andere als »wirtschaftsfreundlich« übersetzen könnte.

Für die »Vereinbarkeit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Anliegen« will man sich einsetzen, für eine Art freundlich auftretenden, schmutzabweisenden, gebügelten Kapitalismus also, der die Umwelt so schont, dass mit ihr auch in hundert Jahren noch Profit gemacht werden kann. Die Wirtschaft muss ordentlich brummen, und der Rubel muss rollen, aber gegen das Pflanzen von Apfelbäumchen hat auch keiner was einzuwenden, so ungefähr etwa hat man sich das vorzustellen.

Martin Bäumle heißt passenderweise der Mann, der die Wohlstandsbürgerpartei anführt. Der 47-jährige Chemiker, Inhaber einer Firma für »atmosphärenchemische Messungen«, der früher bei den Schweizer Grünen war, hat 2004 die Grünliberalen mitbegründet, seit 2006 ist er deren »Präsident«, also Vorsitzender. Den Erfolg seiner Öko-FDP sieht er in der »Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie«. »Die Grünliberalen bedeuten eine klare Verstärkung des ökologischen Denkens unter Berücksichtigung der finanziellen Ressourcen und einer nachhaltigen Wirtschaft in der politischen Mitte.« Reden kann der Mann wie ein grüngewaschener Wirtschaftsliberaler. Und das ist er ja auch.

** Aus: neues deutschland, 25. Oktober 2011


Zurück zur Schweiz-Seite

Zurück zur Homepage