Die Schweiz vor der Volksabstimmung
Am 3. März geht es um den Beitritt zur UNO - Pro-Argumente
Am 3. März stimmen die Schweizer Bürger über den UNO-Beitritt ihres Landes ab. Dazu brachte die kritische Schweizer Wochenzeitung WoZ ein paar Stellungnahmen, die wir an dieser Stelle gern dokumentieren.
Warum ist es wichtig, dass die Schweiz Mitglied der Uno wird?
Die Schweiz arbeitet operativ in vielen Uno-Unterorganisationen sehr gut
mit, aber bei der Millenniumserklärung, in der die
Uno-Generalversammlung die strategischen Ziele im jetzigen Jahrhundert
definiert, hat sie nicht mitgeredet. Das ärgert mich total, denn die Schweiz
zahlt unter allen Ländern den zwölftgrössten Beitrag an die Uno. Unsere
Regierung nimmt in diesem Punkt bis jetzt eine absolut unhaltbare
Position ein, zumal nach aussen immer wieder betont wird, wie sehr wir
uns in entwicklungs- und friedenspolitischen Fragen engagieren wollen.
Aber wenn es dann darum geht, an WTO-Verhandlungen teilzunehmen,
dann vertritt etwa Bundesrat Pascal Couchepin ganz andere Dinge. Unsere
Regierung redet über das wichtige Engagement, das sie bereits heute
zeigt, sehr wenig, ist aber auf der ebenso wichtigen strategischen Ebene
bis jetzt völlig ausgeschlossen.
Ruth Genner, Kopräsidentin der Grünen Partei der Schweiz
Kann die Schweiz mehr Einfluss nehmen, wenn sie Vollmitglied
der Uno wird?
Ja, zumindest besteht die Chance. Wenn die GegnerInnen um Christoph
Blocher in ihrer Argumentation logisch wären, müssten sie fordern, dass
die Schweiz aus all den Uno-Sonderorganisationen und -Programmen, in
denen sie bereits Mitglied ist und aktiv mitmacht, austritt. Blocher müsste
konsequenterweise sagen: Wenn wir da schon mitmachen und
Ressourcen reinstecken, dann möchten wir auch etwas zu sagen haben.
Im besseren Falle wäre die Schweiz nach dem Beitritt ein kritisches
Mitglied. Man kann natürlich, wenn man etwa über die WTO-Erfahrung
redet, eher skeptisch sein. Aber es gibt auch eine Reihe von Punkten, bei
denen es innenpolitisch ein kritisches Potenzial gibt - bei NGOs, zum Teil
auch bei den Grünen und bei der SP -, und wenn das die künftige Politik
der Schweiz in der Uno mitbestimmen würde, könnte die Schweiz die
reformbereiten Kräfte unterstützen und das Gegengewicht gegen die
Dominanz der USA verstärken.
Andreas Zumach, Journalist und Uno-Experte
Kann die Schweiz nach einem Uno-Beitritt wirklich eine kritische
Haltung einbringen?
Wenn ich das Gefühl hätte, es wäre nicht möglich, dann müsste ich jetzt
in Pension gehen. Viele Leute sagen, wie kann die Schweiz, so ein
kleines Land, überhaupt etwas beeinflussen, wenn sie nur eines von 190
Uno-Mitgliedern sein wird? Ich sehe, wie unsere Delegation bei der WTO
arbeitet, dort machen 140 Staaten mit. Sie arbeitet ausserordentlich gut -
leider nicht in unserem Sinn, sondern im Sinne der Economiesuisse und
unserer grossen Unternehmen. Man kann nur den Hut ziehen vor der
Professionalität, wie die Delegation versucht, etwas für unsere Wirtschaft
rauszuholen. - Deshalb kann die Schweiz etwas tun, wenn sie will. Auch
in der Uno. Dort stehen andere Themen wie Gesundheits-, Entwicklungs-,
Sozial- und Umweltpolitik im Vordergrund, bei denen die innenpolitischen
Kräfteverhältnisse eher zu unseren Gunsten stehen.
Peter Niggli, Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke
Was bedeutet der Uno-Beitritt im friedenspolitischen Bereich?
Friedensförderung ist ein Hauptziel der Schweizer Aussenpolitik. Als
Nichtmitglied der Uno trägt die Schweiz im Moment auf der politischen
Ebene viele Beschlüsse der Uno - wie beispielsweise
Sanktionsbeschlüsse - mit. Dabei besteht eine Tendenz, sich nicht
kritisch mit der Uno auseinander zu setzen. Dieses kritische Potenzial ist
aber sehr wichtig und kann nur innerhalb der Uno wirksam werden. Als
Mitglied könnte die Schweiz im Uno-Rahmen friedenspolitisch aktiv sein,
wie das zum Beispiel Norwegen als neutraler Staat, der Uno- und sogar
Nato-Mitglied ist, perfekt macht. Und gleichzeitig könnte die Schweiz ihre
Kritik konstruktiv in die friedenspolitische Arbeit der Uno einbringen. Die
Schweiz hat damit die Möglichkeit, ihr friedenspolitisches Engagement
sowohl bilateral als auch multilateral mit der Uno auszubauen.
Thania Paffenholz, Leiterin des Kompetenzzentrums Friedensförderung
KOFF
(Die vier Argumente wurden anlässlich einer Podiumsveranstaltung des
Komitees «Ziviles Ja zur Uno», die von der WoZ mitorganisiert wurde,
formuliert.)
Die Schweiz und die Vereinten Nationen
Eine Art Liebeserklärung
Gordon Martin*
Vor fünfzig Jahren begleitete ich einen der schlausten Politiker der
Sowjetunion auf einer Skandinavienreise: den Aussenhandelsminister
Anastas Mikoyan, einen gerissenen und sehr fähigen Armenier, vor dem
sogar Stalin einigen Respekt hatte. Nach einem Rundgang durch eine
beeindruckende neue Radiofabrik in Norwegen wurde er von einem
Journalisten gefragt, was er davon halte. «Ich glaube nicht an Gott», sagte
er, «aber ich hoffe, dass er noch viele solche Fabriken erschaffen wird.»
Meine Haltung zu den Vereinten Nationen ist von einem ähnlichen
Zwiespalt geprägt. Ich bin weit davon entfernt, ein uneingeschränkter
Enthusiast bezüglich der Uno zu sein, mit ihren sperrigen und teuren
Bürokratien, mit ihrem schrillen Beharren auf Menschenrechten, das im
Gegensatz steht zu ihrer Unfähigkeit oder Unwilligkeit, irgendetwas gegen
afrikanische und andere Diktatoren zu tun, welche sich über ebendiese
Rechte hinwegsetzen; und schliesslich mit ihren Myriaden von Beamten,
die schamlos ihre Privilegien missbrauchen - sogar die Gartenwalze im
Genfer Palais des Nations hat diplomatische Kennzeichen!
The only show in town
Aber: Spezialorganisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
oder die Büros des Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR)
beschäftigen engagierte und mutige Fachleute. Ihre Erfolge zur
Friedenssicherung sind einzigartig. Und die Uno ist der einzige effektive
Kommunikationskanal zwischen möglichen oder tatsächlichen Gegnern.
Sie bleibt, bei aller Unvollkommenheit und trotz dem oft lähmenden Zwang
zum Konsens, «the only show in town», wie die Amerikaner sagen
würden. Sie ist ein Klub, dem nicht beizutreten sich keine Nation leisten
kann. Was der ehemalige IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga kürzlich in
einer öffentlichen Diskussion mit Christoph Blocher als Arroganz und
falsches Überlegenheitsgefühl bezeichnete, sollte die Schweiz ablegen.
Sie sollte der Uno oder, anders gesagt, der Welt beitreten.
Bevor ich mich weiter aufs Glatteis begebe, muss ich gestehen, dass ich
den Argwohn vieler Schweizer gegenüber selbstgerechten Ausländern sehr
wohl kenne. Meine Bemerkungen sind die eines Beobachters, der in den
letzten dreizehn Jahren sein Bestes getan hat, um dieses in vielen
Belangen komplizierteste Land der Welt zu verstehen.
Besser, als man denkt
Eines meiner Lieblingsbücher über die Schweiz wurde im Jahr 1714 vom
britischen Botschafter in Bern, Abraham Stanyan, veröffentlicht. Es bietet
die vielleicht beste Analyse der Komplexität des Landes und seines
Volkes, die je unternommen wurde. «Ich habe mich öfters gewundert»,
schreibt Stanyan, «dass ein Land, das praktisch im Zentrum von Europa
liegt, so wenig bekannt sein soll, dass nicht nur die grosse Öffentlichkeit
kaum eine Idee davon hat, sondern dass sogar etliche für die Aussenpolitik
ausgebildete Männer kaum die Namen einiger Kantone oder deren Religion
kennen.»
Stanyan führt diese Unkenntnis auf das schweizerische Unvermögen
zurück, sich zu erklären. Darum beobachtete er das Land während acht
Jahren, «um es besser kennen zu lernen und um gewisse Vorurteile
auszuräumen». Er verteidigt die Schweizer gegen ein beeindruckendes
Spektrum von Vorwürfen, von ihrer angeblichen Trunksucht bis zur
Bereitschaft, sich dem Meistbietenden zu verkaufen. Die Franzosen
würden sich über die Schwerfälligkeit der Schweizer mokieren, schreibt
Stanyan, genau wie die Engländer sich über die Iren lustig machen. Es hat
sich nichts geändert!
In letzter Zeit zeigten die Schweizer allerdings eine bemerkenwerte
Fähigkeit, sich selber in den Fuss zu schiessen. Wir hörten einen
führenden Bankenvertreter, der die jüdischen Ansprüche als «peanuts»
bezeichnete, und wir erinnern uns an einen Bundesrat, der die jüdischen
Kläger als Erpresser titulierte. Noch näher liegt der Kollaps der Swissair,
der bewies, dass auch die beste Fluggesellschaft der Welt die Konkurrenz
nicht ignorieren darf.
Echte Anerkennung statt PR
Vielleicht ein bisschen spät kamen die Schweizer selber zur Einsicht,
dass ihr Image aufpoliert werden muss. Unterdessen gibt es die staatliche
Imagekampagne «Präsenz Schweiz». Bei allem Respekt für die Ehrlichkeit
und guten Absichten aller Beteiligten muss ich zugeben, dass ich einige
Zweifel hege. Solche Propaganda muss sehr vorsichtig gemacht werden,
wenn sie nicht kontraproduktiv wirken soll.
Meiner Ansicht nach liegt die Lösung für die meisten dieser Probleme der
Schweiz im Beitritt zur Uno. Die Schweiz sollte der Uno also aus
Eigennutz und Berechnung beitreten, nicht aus abstrakten Überlegungen
zu internationaler Moral oder dergleichen. Der Beitritt würde bedeuten,
dass die Schweiz - ein erfolgreiches, wohlhabendes, demokratisches
Land voller guter Absichten im Herz von Europa - endlich die gebührende
Anerkennung für die guten Dienste einstreichen könnte, die sie bereits
leistet.
Der Hauptgrund für einen Uno-Beitritt ist also, dass er das Land aus dem
isolationistischen Schneckenhaus herausholen würde, in das es sich aus
guten historischen Gründen so lange einsperren liess. «Das Land ist wohl
beschlossen in / dan Gott ist selbst der Murer gsin ...», hiess es im
Mittelalter. So verwurzelt dieser Geist in der langen Schweizer Geschichte
sein mag, er passt nicht mehr ins Jahr 2002.
Ich glaube zudem, dass die Uno-Mitgliedschaft eine gesunde Wirkung
haben könnte auf das politische Leben der Schweiz, das von vielen
ausländischen Beobachtern als quälend dumpf empfunden wird. Einer der
Gründe, weshalb die Schweizer auf Kritik oft mit verletztem Stolz
reagieren, liegt möglicherweise im Fehlen einer harten innenpolitischen
Debatte - von der Art, wie wir Briten sie zu Hause gewohnt sind.
Selbstkritik jener Art, wie sie in Daniel Schmids grimmiger Filmsatire
«Beresina» von 1999 zu sehen ist, ist selten. Die
Parlamentsverhandlungen sind langweilig und wurden vom französischen
Akademiker André Siegfried schon vor fünfzig Jahren mit einem
Verwaltungsratstreffen verglichen. Die so genannte «Zauberformel» mag
eine heimelige Kontinuität begründet haben. Hat sie aber nicht auch eine
ungesunde Stagnation verursacht? Eine aktive Beteiligung an
internationalen Angelegenheiten könnte anregend wirken und die Vitalität
der politischen Debatte steigern.
Ein bisschen Rampenlicht
Vor einem Jahrhundert hat der englische Satiriker Max Beerbohm einen
unbarmherzig humorvollen Bericht über die Schweiz geschrieben, worin er
behauptete, der Präsident dieses Landes sei nicht nur im Ausland,
sondern auch zu Hause völlig unbekannt. Ich würde gerne sehen, wie der
Schweizer Bundespräsident dank der Uno eine bedeutende Rolle auf der
Weltbühne spielt. Es ist mir aber auch klar, dass nicht jedeR SchweizerIn
das internationale Rampenlicht schätzen könnte. «Da die Menschen hier
von Natur her zum Phlegmatismus neigen, wird jede führende
Persönlichkeit, die mehr Feuer und Geist entwickelt, als ihr zusteht, rasch
von der Grobheit und der Mässigung der anderen gebremst», schrieb
Joseph Addison, ein anderer britischer Schweizreisender, im Jahr 1701.
Christoph Blocher mag in vielem begriffsstutzig und verbohrt sein.
Immerhin hat er die Uno-Debatte verschärft. Kürzlich fragte ich ihn, ob er
nicht denke, dass seine Hardliner-Neutralität ein wenig überholt sei. Er
antwortete wie üblich schnell und mit bissigem Humor: Er sei erstaunt,
dass ein Engländer, ein Angehöriger einer für ihren konservativen
Traditionalismus berühmten Nation, ein System in Frage stelle, das so
lange so gut funktioniert habe. Und er erinnerte daran, dass Winston
Churchill sogar im Zweiten Weltkrieg nie versucht habe, die Schweiz zur
Aufgabe ihrer neutralen Haltung zu bewegen.
Der Bundesrat sagt, dass Neutralität und Uno-Mitgliedschaft miteinander
vereinbar sind. Ich kann dem nur zustimmen. In den letzten paar
Jahrzehnten haben andere kleine Länder wie Irland, Finnland und
Österreich Wege gefunden, ihre Neutralität zu bewahren. Warum soll dies
der Schweiz nicht gelingen?
Darum, liebe Schweizer Leserinnen, liebe Leser, fasst Mut. Wie die
Swissair-Nachfolgegesellschaft kann auch die Schweiz in der Uno sehr
«Swiss» bleiben. Werdet nicht zum Sonderling, der sich versteckt hält,
während die Zürcher Gnome hinter der Mauer des Bankgeheimnisses
schuften. Kommt hinaus. Beide, ihr und die Welt, werden daraus Nutzen
ziehen.
* Gordon Martin war jahrelang
als «diplomatic correspondent»
des BBC World Service beim
britischen Aussenministerium
akkreditiert. Seit 1988 lebt und
arbeitet er als Korrespondent
der konservativen britischen
Tageszeitung «Daily
Telegraph» in Genf. Er ist
Doyen der Auslandjournalisten
im Palais des Nations.
Aus: WoZ-Online, 21. Februar 2002
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