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Ablasshandel für zwei Milliarden?

Deutsch-schweizerisches Steuerabkommen legalisiert Schwarzgeld und wahrt die Anonymität

Von Hermannus Pfeiffer *

Unter dem Schutz des Schweizer Bankgeheimnisses haben wohlhabende Deutsche seit Jahrzehnten Milliarden gebunkert – und streichen Zins und Dividendeneinkünfte zulasten der deutschen Finanzämter steuerfrei ein. Damit soll nun Schluss sein. Mit einem Steuerabkommen könnte der jahrelange Konflikt zwischen beiden Ländern beendet werden.

Unversteuertes Vermögen von Deutschen, das in der Schweiz versteckt ist, soll nachträglich besteuert werden. Dies ist der Inhalt eines Doppelbesteuerungsabkommens, das von den Finanzstaatssekretären beider Länder am Mittwoch in Bern unterzeichnet wurde. Darin werden vor allem zwei Probleme geregelt: die Frage nachträglicher Versteuerung der seit Jahrzehnten in Zürich und Basel angehäuften Vermögen zugunsten des deutschen Fiskus sowie die Höhe der künftigen jährlichen Steuerzahlungen. Das Abkommen soll Anfang 2013 in Kraft treten.

Momentan liegen nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG) etwa 150 Milliarden Euro an deutschem Schwarzgeld in der Schweiz. Dafür sollen die dortigen Banken eine Einmalzahlung in Höhe von zwei Milliarden Schweizer Franken (aktuell gut 1,9 Milliarden Euro) leisten, womit die Steuerausfälle des deutschen Fiskus abgegolten wären. Konkret soll nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen das Schwarzgeld – je nach Einkommensart – zu Steuersätzen zwischen 19 und 34 Prozent nachversteuert werden. Die Garantiesumme der Schweizer Banken wird dann mit Einnahmen aus der Nachversteuerung verrechnet. Die Steuerflüchtlinge bleiben aber weiterhin anonym. Für künftige Kapitalerträge in der Schweiz müssen deutsche Anleger eine ebenfalls anonyme Quellensteuer entrichten, die mit 26,375 Prozent genauso hoch wie die in Deutschland fällige Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag wäre. Mit welchen Einnahmen die deutschen Finanzämter rechnen können, ist aber völlig unklar.

Die Deutsche Steuergewerkschaft, in der sich Finanzbeamte organisieren, spricht von einem schnöden »Ablasshandel«: Das Abkommen stelle faktisch eine Amnestie für langjährige Steuervergehen dar und sei zugleich ein Verzicht auf Hoheitsrechte, denn schließlich werde die Erhebung der Abgeltungsteuer nicht vom deutschen Fiskus, sondern von Schweizer Banken abgewickelt. Für den neuen DStG-Vorsitzenden Thomas Eigenthaler wirft der Steuerdeal daher sogar »verfassungsrechtliche Probleme« auf.

Schweizer Geldhäuser zeigen sich derweil zufrieden: Die deutschen Vermögen würden endlich legalisiert, Bankmitarbeiter in Frankfurt am Main, denen schon mal Beihilfe zur Steuerflucht vorgeworfen wird, entkriminalisiert. Vor allem wäre ein von der EU geforderter automatischer Informationsaustausch endgültig vom Tisch – ein Ende des Bankgeheimnisses fürchtet die eidgenössische Finanzwirtschaft wie der Teufel das Weihwasser, kommentiert die Zürcher »Sonntagszeitung«. Die Schweiz bliebe, was sie ist: ein attraktives Fluchtziel auch für Schwarzgeld, denn die Anonymität der Kunden bleibt bestehen. Ein ähnliches Abkommen steht mit Großbritannien vor dem Abschluss, mit Frankreich und Italien verhandelt Bern.

Obwohl die Schweizer Institute für die Legalisierung der Altvermögen weniger bezahlen müssen als befürchtet, streiten die Spitzen der Banken heftig darüber, wer wie viel zur Garantiezahlung beisteuern muss. Anders als bei UBS, Credit Suisse, Julius Bär, Vontobel, den Genfer Privatbanken sowie vielen Auslandsbanken ist der Anteil ausländischer Kunden bei den meisten Kantonal-, Regional- und Raiffeisenbanken sehr gering. Diese Institute sind daher nicht bereit, sich an den Garantiezahlungen zu beteiligen.

Aus der Opposition in Deutschland kommt Kritik am zu niedrigen Steuersatz. Da Bundestag und Bundesrat dem Abkommen zustimmen müssen, könnte die Länderkammer, in der die Opposition eine Mehrheit hat, den Ablasshandel von Schäuble nach der Sommerpause noch zu Fall bringen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2011

Im Wortlaut: Zwei Pressemitteilungen zum Thema

Steueramnestie-Abkommen mit der Schweiz: Bundesregierung will rechtsstaatliche Prinzipien opfern

Von Sven Giegold, Mitglied der Grünen Franktion im Europaparlament

09. Aug 2011

Am Mittwoch, den 10. August, soll ein Steueramnestie-Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland unterschrieben werden. Die Schweizer Banken sollen auf unversteuerte Altvermögen in der Schweiz eine Pauschalsteuer zwischen 19 und 34 % erheben (abhängig von Dauer der Anlage und Art des Kapitaleinkommens). Für die Zukunft sollen Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne deutscher Steuerbürger in der Schweiz mit einer anonymen Abgeltungssteuer von 35% bzw. 26,375% belastet werden. Schweizer Banken leisten darauf eine Vorauszahlung von 2 Mrd. CHF. Deutschland bietet seinen Steuerhinterziehern Straffreiheit, ebenso wie den Schweizer Geldhäusern und ihren Mitarbeitern, die regelmäßig Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet haben.

Das Steueramnestie-Abkommen verletzt gleich mehrfach rechtsstaatliche Standards. Der einmalige Steuersatz von lediglich zwischen 19 und 34 % ist nur ein Bruchteil der Steuerschuld samt Verzugszinsen und Strafen. Er ist ein Schlag ins Gesicht ehrlicher Steuerzahler. Die Bundesregierung beauftragt ausgerechnet die Schweizer Banken mit steuerlichen Hoheitsaufgaben ohne effektive Kontrollmöglichkeiten. Sie sind als Dienstleister für Steuerhinterziehung spezialisiert und helfen ihrer Klientel regelmäßig bei der Umgehung bestehender Steuerabkommen, z.B. durch Niederlassungen in Asiatischen Steueroasen. Hier drohen massive Interessenskonflikte. Der deutsche Staat verzichtet zudem auf die strafrechtliche Verfolgung von Mitarbeitern der Schweizer Banken wegen Beihilfe. Schließlich behindert das Abkommen die Ermittlungen bei den angekauften Steuer-CDs. Denn Deutschland akzeptiert in diesem Rahmen, dass die Schweizer Behörden keine Amtshilfe für Altfälle leisten werden. Die Bundesregierung behindert damit die laufenden Ermittlungen der Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften der Länder. Es handelt sich also um eine weitere faktische Amnestie durch die Hintertür.

Steuerpolitisch zementiert das Steueramnestie-Abkommen die Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen in Deutschland und Europa. Wird der Schweiz zugestanden, anonymes Kapital zu verwalten, wird es anderswo kaum abzuändern sein. Sollte demokratisch in Zukunft entschieden werden angesichts wachsender Ungleichheit wieder progressive Steuern auf Kapitaleinkommen (wie auf Arbeitseinkommen) zu erheben, so wird dies durch das Amnestieabkommen erschwert.

Schließlich verfolgt Deutschland mit dem Abkommen international einen Sonderweg. Innerhalb der EU und der OECD gab es wichtige Fortschritte gegen internationale Steuerhinterziehung. Die Abgeltungssteuer auf anonymes Kapital ist eine Lösung für ein Problem, das die Bundesregierung durch konsequente internationale Zusammenarbeit rechtsstaatlich und gerechter beseitigen könnte. Die USA bestehen im Gegensatz zu UK und Deutschland gegenüber der Schweiz auf Informationsaustausch und haben dies gegenüber der UBS bereits durchgesetzt. Weitere Verfahren gegen Schweizer Banken und ihre Mitarbeiter sind anhängig. Dagegen soll die Abgeltungsregelung in der Schweiz dem automatischen Informationsaustausch dauerhaft gleichkommen, was objektiv für die Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung nicht zutrifft. Statt die US-Administration bei ihrem Kampf gegen internationale Steueroasen zu unterstützen, macht die schwarz-gelbe Bundesregierung eine deutsch-britische Extrawurst und handelt in der multilateralen Zusammenarbeit unzuverlässig. Zudem erhält Deutschland von der Schweiz mit dem Abkommen schlechtere Konditionen als die USA.

Während die meisten EU-Länder sich im „Euro-Plus-Pakt“ zur Steuerkooperation verpflichtet haben, sorgt das Amnestieabkommen für eine fiskalpolitische Spaltung Europas. Die kurz vor dem Abschluss stehende Verschärfung der EU-Zinsrichtlinie und die Ausweitung des automatischen steuerlichen Informationsaustauschs auf alle EU-Länder inklusive Österreichs und Luxemburgs wird durch das Amnestieabkommen politisch hintertrieben.

Völlig unklar ist, wie glaubhaft verhindert werden soll, dass das Abkommen zum Reinwaschen und sicheren anonymen Verwaltung krimineller Gelder missbraucht wird, die derzeit in anderen Staaten liegen. Die Schweiz könnte so zum dauerhaften Einfallstor für kriminelle Gelder nach Europa dienen.

Bundestag und Bundesrat sollten diesem Amnestieabkommen die Zustimmung verweigern und nicht für ein paar Silberlinge die Prinzipien des Rechtsstaats opfern. Vielmehr sollten die Bundesländer die Daten aus den Steuer-CDs und aus dem automatischen Informationsaustausch der EU konsequent nutzen. Die Verjährungsfristen für Steuerhinterziehung sollten verlängert werden. Damit würden auch die Folgen des BGH-Urteils zum „Fortsetzungszusammenhang“ geheilt, die derzeit die Einnahmen aus den Steuer-CDs wie anderen Steuerverfahren mindern. Schließlich sollte Deutschland die Helfer bei der Steuerhinterziehung ähnlich konsequent verfolgen wie die USA. Dann wäre bald Schluss mit dem Spuk der Steueroasen.


Steuerabkommen mit der Schweiz belohnt deutsche Steuerkriminelle

Pressemitteilung von Wolfgang Nešković, Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

10.08.2011

„Das Steuerabkommen mit der Schweiz ist ein Belohnungspaket für deutsche Steuerkriminelle und ihre Schweizer Helfer. Der Bundesfinanzminister stellt das deutsche Gemeinwohlinteresse zugunsten falsch verstandener Beziehungspflege mit den Eidgenossen zurück. Deutsche Steuerkriminelle profitieren wieder einmal von einer unanständigen Großzügigkeit des deutschen Staates, den sie durch ihr Verhalten gezielt schädigen. Bundestag und Bundesrat stehen nun in der Pflicht, das endgültige Inkrafttreten des Steuerabkommens zu verhindern“, erklärt Wolfgang Neškovic, Justiziar der Fraktion Die LINKE und Bundesrichter a.D., zum Deutsch-Schweizerischen Steuerabkommen, das heute paraphiert werden soll. Neškovic weiter:

„Das Steuerabkommen ist in seiner jetzigen Form inakzeptabel. Deutsche Steuerkriminelle und ihre Schweizer Beihelfer kommen nicht nur straffrei davon. Außerdem bleibt die Höhe des tatsächlichen Geldflusses an den deutschen Fiskus völlig unklar. Die Schweiz zahlt lediglich zwei Milliarden Euro Vorauszahlung an den deutschen Fiskus, obwohl dieser ursprünglich deutlich mehr verlangt hatte. Hierdurch ist den Schweizer Banken Druck genommen, für alle Schwarzgeldkonten auf volle Nachzahlung zu drängen. Das Finanzamt gibt also seine Pflichten gerade an diejenigen ab, die deutsche Steuerkriminalität jahrzehntelang mit aller Kraft unterstützt haben.

Das Steuerabkommen bedeutet zudem einen wirren steuerstrafrechtlichen Zick-Zack-Kurs. Das erst am 2. Mai 2011 verkündete 'Schwarzgeldbekämpfungsgesetz' hatte die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht verschärft. Der Koalition ging es mit diesem Gesetz laut Gesetzesbegründung darum, dass das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht nicht länger als Gegenstand einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden kann. Das Steuerabkommen steht in Gegensatz zu diesem Ziel. Diejenigen, die am längsten in der Kriminalität ausgehalten haben, werden besonders belohnt."




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