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Machtwechsel in Schweden

Rot-rot-grünes Bündnis nach Wahlsieg vor schwieriger Regierungsbildung / Rechtspopulisten drittstärkste Kraft

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Nach der verlorenen Parlamentswahl hat Schwedens konservativer Regierungschef Fredrik Reinfeldt am Montag sein Rücktrittsgesuch eingereicht.

Der Schweißer und Sozialdemokrat Stefan Löfven feierte am Sonntagabend seinen bisher größten politischen Erfolg. Nach acht Jahren bürgerlicher Regierung will die Arbeiterpartei nun zusammen mit den Grünen und der Linkspartei die Macht zurückerobern. Löfvens Wahlsieg resultiert aus einem Programm, das »Sozialdemokratie klassisch« genannt werden könnte. Beschäftigungspolitik, Bekämpfung der massiven Jugendarbeitslosigkeit und Investitionen in Bildungs- und Gesundheitspolitik waren seine Trumpfkarten. Allerdings reichten sie nicht, um die angepeilten 35 Prozent der Stimmen zu erreichen. Mit etwas über 31 Prozent kamen die Sozialdemokraten nur knapp über ihr Ergebnis von 2010, ihr schlechtestes der vergangenen 80 Jahre.

Neben diesem leichten Zuwachs gewannen die Grünen einige Stimmen mehr (6,8 Prozent), während die Linkspartei (5,7 Prozent) knapp ihr Resultat des letzten Urnengangs verfehlte. Dieses rot-rot-grüne Wahlergebnis ist streng genommen nur eine Zementierung bestehender Verhältnisse im linken Parteienspektrum. Für die Feministische Initiative wiederum war das Votum Erfolg wie Niederlage zugleich. Die ersten Auszählungen sahen sie noch jenseits der Sperrgrenze, aber letztlich blieb die Partei doch darunter und ihre erzielten Stimmen (3,1 Prozent) fehlen damit auf der linken Waagschale.

Der angestrebte Regierungswechsel kommt also nur aufgrund der Stimmenverluste der bürgerlichen Kräfte zustande. Die Konservative Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt verlor stark und auch die Koalitionspartner mussten Verluste hinnehmen. Insgesamt stürzte die konservativ-liberale Vier-Parteien-Koalition auf 39,3 Prozent ab (2010: 49,3). Reinfeldt hat die Konsequenzen aus dem Wahlfiasko gezogen und noch in der Wahlnacht seinen Abgang als Ministerpräsident und Chef der Konservativen angekündigt.

Eine endgültige Analyse der Wählerwanderungen liegt noch nicht vor, aber es muss vermutet werden, dass viele der verlorenen Stimmen an die Schwedendemokraten (SD) gingen. Sie gewannen 12,9 Prozent der Stimmen und konnte damit ihre Mandatszahl mehr als verdoppeln. »Obwohl Schweden einen neuen Ministerpräsidenten bekommt, was erfreulich ist, ist es beunruhigend, dass die Schwedendemokraten so erstarkt sind«, betonte Jonas Sjöstedt, Chef der Linken, am Montag. Die Wähler setzten dabei ihr Kreuz wohl wissend, dass keine der anderen Parteien mit den Rechtspopulisten zusammenarbeiten will. Grund dafür ist ihre Herkunft aus dem neonazistischen Umfeld und ihr erklärtes Ziel, die Einwanderung begrenzen zu wollen.

Die übrigen sieben Parteien des Reichstags sind sich darin einig, Europas großzügigste Asylpolitik fortzusetzen. Ihre Politik der Ausgrenzung in den vergangenen zehn Jahren hat allerdings keine Früchte getragen. Bei den meisten Wählern der Schwedendemokraten gab die Sorge den Ausschlag, ob die Integration von bis zu 350 000 Flüchtlingen in den nächsten vier Jahren überhaupt möglich und finanzierbar sei. In den letzten Wahlkampftagen hatte dann auch Reinfeldt erklärt, dass vor diesem Hintergrund weitere Steuererleichterungen oder soziale Verbesserungen nicht möglich seien. Kein Wunder, dass sich der erst 35-jährige SD-Chef Jimmie Akesson schon als künftiger »Königsmacher« sieht.

Wahlsieger Stefan Löfven sieht sich mit einer schwierigen parlamentarischen Situation konfrontiert. Zwar ging sein Mehrparteienbündnis mit insgesamt 43,7 Prozent der Stimmen als Sieger aus der Wahl hervor; er will mit den Grünen koalieren und muss für ein einigermaßen stabiles Hinterland Kompromisse mit der Linkspartei eingehen. Für eine absolute Mehrheit ist das aber nicht genug. Zumal sich mögliche Koalitionsverhandlungen insbesondere bei den Themen Verteidigung, Atomenergie und Soziales kompliziert gestalten dürften.

Ein Regierungsbündnis aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken (158 von 349 Sitzen) wäre stets auf Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager (insgesamt 142 Sitze) oder der Schwedendemokraten (49 Sitze) angewiesen. Deshalb reichte Löfven den bürgerlichen Parteien schon in der Wahlnacht die Hand. »Jetzt beginnt die ernste Arbeit«, bekräftigte er am Montag. »Wir brauchen Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg.«

Seine Feuertaufe wird er erleben, wenn es um die Annahme des Staatshaushaltes geht. Die Konservativen haben angekündigt, ihren eigenen Vorschlag zur Abstimmung stellen zu wollen. Falls es gelingt, das bürgerliche Lager zusammenzuhalten, könnten sogar schon sehr bald Neuwahlen anstehen, denn die Schwedendemokraten stimmen in diesen Fragen üblicherweise mit ihnen. Löfven, der zum ersten Mal einen Parlamentsplatz einnimmt, wird all sein politisches Geschick brauchen, um sein Regierungsschiff unbeschadet an den zahlreichen Klippen dieser schwedischen Parteienwelt vorbei zu lenken.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 16. September 2014

Arbeiterkind

Von Bengt Arvidsson, Stockholm

Stefan Löfven wirkte in der Wahlnacht wie ein Fels in der Brandung. Der ruhige 57-jährige mit der robusten Nase und dem stets verschmitzten Gesichtsausdruck hatte am Sonntag zuvor mit seinem Bündnis einen Sieg über die seit acht Jahren in Schweden regierende konservativ-liberale Koalition von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt errungen. Allerdings muss der Sozialdemokrat im Schatten des historischen Wahlerfolgs der Rechtspopulisten eine Minderheitsregierung führen.

Löfven war bis vor zwei Jahren Chef der IF-Metall, einer der größten Gewerkschaften im Land. Deshalb saß er bisher nicht einmal im Reichstag. Im Wahlkampf versprach er eine teilweise Rückkehr zum sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat. Die in zwei konservativen Legislaturperioden vorgenommen Privatisierungen und Steuersenkungen will er korrigieren. Wahlverlierer Reinfeldt sprach von »DDR-haften« Plänen.

Löfven präsentiert sich gern als »richtiger Arbeiter« mit Kontakt zur Basis. Er hat Schweißer gelernt und kommt im Gegensatz zu anderen Spitzengenossen, die schon als Töchter und Söhne von hohen Parteifunktionären geboren wurden, aus einer einfachen Familie. »Ich habe eine gute Ausbildung erhalten, obwohl das nicht selbstverständlich war für einen Arbeiterjungen«, sagt er über seine Kindheit. Aufgewachsen ist er wegen des Todes seines Vaters in einer Pflegefamilie, der Pflegevater war Wald- und Fabrikarbeiter.

»Als meine Mutter sich nicht mehr um mich kümmern konnte und den vielleicht schwersten Beschluss für eine Frau traf, ihr Kind wegzugeben, da funktionierte unsere Gesellschaft noch«, so Löfven. So soll es nun wieder in Schweden werden, verspricht er und kündigt unter anderem mehr Staat, höhere Steuern und Sozialausgaben an. Allerdings hat der kinderlose, aber verheiratete Löfven kaum Erfahrungen in der politischen Arena. Zwar sind die schwedischen Gewerkschaften traditionell eng mit den Sozialdemokraten verbunden, doch war Löfven 2012 der erste »reine« Gewerkschafter, der Parteichef wurde.

(nd, 16.09.2014)



Reinfeldt nimmt den Hut

Schwedens Sozialdemokraten auf Koalitionssuche. Fremdenfeinde drittstärkste Kraft

Von Peter Steiniger **


Die Wahlen am Sonntag in Schweden haben einen politischen Wechsel herbeigeführt. Nach acht Jahren wurde die bürgerliche Vier-Parteien-Koalition des Konservativen Fredrik Reinfeldt abgewählt. Dieser erklärte noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt als Ministerpräsident und Chef der Moderaten Sammlungspartei. Mit nur noch 23 Prozent erzielte diese ihr schlechtestes Ergebnis seit mehr als einem Jahrzehnt. Gegenüber der Wahl vor vier Jahren büßte sie 6,7 Prozent ein. Der Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung wird an den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Stefan Löfven gehen.

Mehr als sieben Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über die Zusammensetzung des 349 Sitze zählenden schwedischen Reichstags zu entscheiden. Gleichzeitig wurden die Regional- und Kommunalparlamente neu gewählt.

Mit 31,2 Prozent für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens wurde diese mit leichten Zugewinnen erneut stärkste Kraft, verfehlte aber ihr Wahlziel von 35 Prozent. Die Umweltpartei (MP) und die Linkspartei (Vänsterpartiet) stagnieren bei 6,8 bzw. 5,7 Prozent. Aufgrund der Verluste bei allen vier konservativen Parteien konnte das rot-rot-grüne Lager Reinfeldts »Allianz« jedoch klar überholen. Die größten Zugewinne fuhren die fremdenfeindlichen Schwedendemokraten (SD) ein. Mit 12,9 Prozent konnten diese die Zahl ihrer Sitze mehr als verdoppeln und stellen künftig mit 49 Abgeordneten die drittgrößte Fraktion im Parlament in Stockholm. Dort nicht vertreten sein wird die Feministische Initiative (FI) mit der früheren Linkspartei-Vorsitzenden Gudrun Schyman an der Spitze. Mit 3,1 Prozent gewann diese allerdings erheblich hinzu und kam bei ihrer zweiten Wahlteilnahme erstmals in die Nähe der Vierprozenthürde für den Reichstag. Die FI konnte insbesondere in den Städten punkten und Stimmen aus dem Lager der Linken und der Grünen zu sich herüberziehen.

Wahlsieger Löfvens erklärtes Ziel ist es, gemeinsam mit den Grünen zu regieren. Als Stützpartei und noch lieber Koalitionär in einer Minderheitsregierung – eine politische Tradition Schwedens – bietet sich Vänster an. Auf der Suche nach einer haltbaren Konstruktion hat der gelernte Schweißer Löfven bereits am Montag Sondierungsgespräche mit der Spitze der Umweltpartei aufgenommen. Eine Koalition über Blockgrenzen hinweg sei »nicht aktuell«, doch bleibe die Tür für eine Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen offen. Mit der Einbeziehung von Liberalen und Zentrumspartei hätte Löfven auch die Option auf ein Regieren mit Mehrheit. Erst seit zwei Jahren steht der voraussichtliche künftige Kabinettschef an der Spitze der Sozialdemokraten. Davor leitete Löfven die große Fachgewerkschaft IF Metall.

Das starke Abschneiden der neofaschistischen Schwedendemokraten wird von den anderen Parteien mit Bestürzung aufgenommen. Die Rechtspopulisten sehen sich nun als »Königsmacher« von Stockholm. Besonders in Südschweden legten sie stark zu. Sie profitieren nicht zuletzt von Protestwählern, die von den zuletzt farblosen Moderaten zu den Rassisten in Nadelstreifen von Jimmie Åkesson wechselten. Bislang wurde der Partei weitgehend mit Ausgrenzung begegnet.

Trotz guter Wirtschaftsdaten hat sich unter den Regierungen von Fred­rik Reinfeldt die soziale Schere weiter geöffnet und die Demontage des Wohlfahrtstaates fortgesetzt. Wahlentscheidende Themen waren Bildung, Infrastruktur und der Ausstieg aus der Atomenergie. Die Pisa-Bildungsstudie brachte Schweden schlechte Werte, die Lage am Arbeitsmarkt, vor allem der Jugend, ist prekär. Das Abschneiden der Linkspartei blieb hinter den Prognosen zurück, obwohl sie mit ihrer Forderung nach einem Verbot profitorientierter sozialer Wirtschaft die politische Agenda stark mitbestimmte. Zulegen konnte Vänster in vielen städtischen Kommunen. Der Parteivorsitzende Jonas Sjöstedt begrüßte die Abwahl der Reinfeldt-Regierung. Seine Partei werde stets eine »Stimme des Antirassismus und des Feminismus sein« und das soziale Gefälle in der Gesellschaft bekämpfen.

Stockholm wird auch im Rathaus einen Wechsel erleben. Acht Jahre »Allianz« reichten auch hier. In Schwedens Hauptstadt erhielten Sozialdemokraten, Grüne und Linke eine Ratsmehrheit und können zudem auf die Unterstützung der Feministischen Initiative rechnen.

** Aus: junge Welt, Dienstag 16. September 2014


Die Schweden ticken anders

Olaf Standke über die schwierige Regierungsbildung in Stockholm ***

Eine dritte Amtszeit in Folge hatten Schwedens Bürger bisher noch keinem konservativen Regierungschef erlaubt. Dabei bleibt es. Ministerpräsident Reinfeldt reichte am Montag sein Rücktrittsgesuch ein. Nach dem Wahldesaster seiner Mitte-Rechts-Koalition vom Vortag ein logischer Schritt. Die Wähler hinterließen aber auch eine vertrackte Gemengelage im neuen Parlament: zwar ein sozialdemokratischer Sieger und eine rot-rot-grüne Mehrheit, aber keine absolute, und dazu auch noch erstarkte Rechtspopulisten.

Hierzulande wäre die logische Konsequenz eine Große Koalition. Die Schweden ticken anders. Dort sind Minderheitsregierungen fast der Normalfall, und die Sozialdemokraten ließen sich auch schon durch links von ihnen stehende Linke dulden. Allerdings dürfte eine derartige Kabinettskonstruktion für den regierungsunerfahrenen Ex-Gewerkschafter Stefan Löfven, der Schweden nach den neoliberalen Verwerfungen wieder deutlich sozialer gestalten will, schwieriger werden als bisher. Denn er braucht angesichts der Sitzverteilung dieses Mal noch mehr Koalitionspartner oder -unterstützer. Und selbst in der Parteienmitte wird es wohl schwer, Unterstützung für Steurerhöhungen zugunsten der Einkommensschwachen zu finden. Eines hat Löfven jedoch definitiv ausgeschlossen: Mit ihm werden die rechtspopulistischen Schwedendemokraten keine »Königsmacher«.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag 16. September 2014 (Kommentar)


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