Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Machtwechsel in Reichweite

Linke Oppositionsparteien liegen Umfragen zufolge vorn / Rechte Schwedendemokraten gewinnen an Akzeptanz

Von Andreas Knudsen *

In einer Woche wird in Schweden ein neues Parlament gewählt. Lange schien ein Sieg der linken Opposition als sicher. Jetzt zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab.

Bisher glich der schwedische Parlaments-Wahlkampf eher einem skandinavischen Herbsttag – grau, langweilig und ohne große Überraschungen. Die vier linken Oppositionsparteien hatten monatelang eine solide Führung in allen Meinungsumfragen inne gehabt. Und die Regierungsallianz aus vier bürgerlichen Parteien schien sich nach acht Jahren Regierungsverantwortung schon mit der Niederlage bei den Wahlen am 14. September abgefunden zu haben. Doch als der Schlussspurt des Wahlkampfes mit einer Fernsehdebatte eingeläutet wurde, zeigte sich der konservative Ministerpräsident Frederik Reinfeldt überraschend angriffslustig. Dazu angespornt wurde er durch Umfragen, die seine Koalition bei nun rund 40 Prozent der Stimmen sehen, während die rot-grüne Opposition mit 46 Prozent der Stimmen rechnen kann. Hinzu kommt noch, dass sich bis dato rund ein Viertel der Wähler nicht haben festlegen können, wo sie ihr Kreuz am 14. September setzen werden.

Die Linksparteien – Sozialdemokraten, Linkspartei, Die Grünen sowie die Feministische Initiative (FI) – bekamen Aufwind, als der Gewerkschafter Stefan Löfven im Januar 2012 sozialdemokratischer Vorsitzender wurde. Löfven ist eine Verkörperung sozialdemokratischer Traditionen, und ihm gelang es, die schlechten Umfragewerter der Partei und den Missmut bei den Mitgliedern zu stoppen. Gleichzeitig legten Die Grünen sowie die Linkspartei zu, so dass der Wahlsieg fast sicher scheint. In der Politik sowie im praktischen Agieren als Regierungspartei bestehen allerdings große Unterschiede zwischen den Sozialdemokraten und der Linkspartei, die eine eventuelle Regierungsbildung erschweren können.

Die Oppositionsparteien fordern in ihren Wahlprogrammen Verbesserungen und Investitionen im Bildungs-, Gesundheits- und Fürsorgebereich sowie die Abkehr von der Politik der bürgerlichen Koalition. Insbesondere kritisieren sie die Steuererleichterungen und Privatisierungen der letzten Jahre. Ob die Feministische Initiative die Sperrgrenze von vier Prozent schaffen wird, ist noch nicht sicher. Für Löfven stellt sich die Frage, was schwieriger sein wird für ihn: eventuell verlorene Stimmen, falls die FI die Sperrgrenze nicht nimmt, oder mit ihren scharfen Reformforderungen umzugehen, die weit über sozialdemokratische Positionen hinausgehen.

Die Wahlkampagne der bürgerlichen Parteien setzt auf Ausgabenzurückhaltung, stabile Wirtschaftspolitik sowie die Schaffung weiterer Arbeitsplätze. Schweden hat die höchste Beschäftigungsquote in der EU. In den letzten Jahren sind zudem noch zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden. Nichts desto trotz ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere die bei Jugendlichen gestiegen.

Opposition wie Koalition sehen mit Unruhe auf die wachsende Akzeptanz der Partei Schwedendemokraten bei den Wählern. Die Partei entstand im neonazistischen Umfeld und hat sich in den letzten Jahren bemüht, ihr Image in Richtung eines national-konservativen zu ändern. Seit 2010 im Reichstag vertreten, sind sie hier bisher völlig isoliert gewesen. Den Schwedendemokraten werden über zehn Prozent der Stimmen prognostiziert – das würde vieles ändern. Die Partei würde sich zweifellos dem bürgerlichen Block anschließen und die notwendigen Mandate für eine erneute bürgerliche Regierungsbildung liefern. Doch es ist zweifelhaft, ob Reinfeldt den Machterhalt über die Moral stellen wird, um im Amt zu bleiben. Dies würde ein Bruch mit dem Konsens der schwedischen Politik bedeuten, nicht mit radikalen Kräften zusammenzuarbeiten. Die Wahlkampagne der Schwedendemokraten wird vielerorts von Gegendemonstrationen begleitet. Insbesondere gegen ihre einwandererfeindliche Politik wird dabei protestiert. Überschattet werden die Proteste indes durch gewaltsame Auseinandersetzungen. Am vergangenen Wochenende griff die Polizei in Malmö mit berittenen Kräften ein, um eine linke Gegendemonstration aufzulösen. Dabei gab es mehrere Verletzte. Die Vorfälle werden gegenwärtig untersucht, die Polizei aufgefordert, sich in größerer Zurückhaltung zu üben.

Für die letzten Tage vor der Wahl zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Gleichwohl: Ein Wahlsieg der linken und grünen Parteien ist gegenwärtig der wahrscheinlichste Ausgang. Der Wahlkampf ist noch einmal spannend geworden und die parlamentarischen Verhältnisse werden sich mit der Stärkung der Schwedendemokraten und dem möglichen Einzug der Feministinnen ändern. Der nächste schwedische Ministerpräsident, gleich ob sozialdemokratisch oder konservativ, wird Steh- und Verhandlungsvermögen benötigen, um seine Minderheitsregierung durch das stürmischer werdende parlamentarische Fahrwasser zu steuern.

* Aus: neues deutschland, Montag 8. September 2014


Zurück zur Schweden-Seite

Zur Schweden-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage