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Terrorimport aus Kiew

Schweden: Neonazis attackieren Frauendemonstration in Malmö. Täter unterstützten vorher Faschisten in der Ukraine

Von Alfred Lang, Kopenhagen *

Nach den gewaltsamen Angriffen von Neofaschisten auf eine Demonstration zum Internationalen Frauentag in Malmö ist in Schweden eine Debatte um die Bedrohung durch Rechte entbrannt. Wie der schwedische Rundfunk Sveriges Radio am Mittwoch berichtete, hat Justizministerin Beatrice Ask eingeräumt, daß die Aufklärungsrate bei sogenannten Haßverbrechen in Schweden unbefriedigend sei. Polizei und Justiz hätten »noch zu geringe Kenntnisse« über ideologisch motivierte Verbrechen, die sich gegen Religion, sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft des Opfers richten, sagte sie.

Am 8. März hatten spätabends Hunderte junge Feministinnen und einige männliche Unterstützer im südschwedischen Malmö unter dem Slogan »Wir holen uns die Nacht zurück« demonstriert. Nach der Abschlußkundgebung tauchte eine Gruppe von sechs Neofaschisten auf, die versuchten, einige Demonstranten zu provozieren, die sich bereits auf dem Weg nach Hause befanden. Als diese die Neonazis aufforderten zu verschwinden, wurden sie von ihnen mit Messern angegriffen. Vier Menschen wurden verletzt, zwei von ihnen schwer. Ein Antifaschist, der von den Angreifern am Kopf getroffen wurde, liegt noch immer im Koma. Bei ihm handelt es sich um den 25jährigen Showan Shattak, einen engagierten Aktivisten gegen Homophobie. Sein Zustand ist den Ärzten zufolge inzwischen »stabil«. Als andere Demonstranten den Angegriffenen zu Hilfe eilten, ergriffen die Neofaschisten die Flucht. Später stellten sie sich gegenüber Journalisten selbst als Opfer dar. Sie seien attackiert worden, als sie ihre Stammkneipe »Sir Toby’s« verließen. Glaubwürdig ist das nicht, schon weil die als Neonazitreffpunkt bekannte Lokalität recht weit vom Tatort entfernt liegt.

Eine berittene Polizeieinheit verfolgte die flüchtenden Neonazis und nahm drei von ihnen fest. Am Mittwoch wurden sie dem Haftrichter vorgeführt. Zwei der Täter sollen wegen versuchten Totschlags angeklagt werden, sie sitzen jetzt in Untersuchungshaft. Der dritte Tatbeteiligte wurde freigelassen.

Wie die syndikalistische Wochenzeitung Arbetaren am Montag berichtete, war einer der Angreifer, ein führendes Mitglied der neonazistischen »Schwedenpartei«, erst kurz zuvor aus der Ukraine zurückgekehrt. Dort hatte er als »Freiwilliger« auf der Seite der faschistischen »Swoboda«-Partei, die inzwischen Regierungsmitglieder stellt, an den Kämpfen teilgenommen. Auf ihrer Homepage hatten sich zuvor schwedische Neonazis gebrüstet, in Kiew unter anderem an der Erstürmung der Zentrale der ukrainischen Kommunistischen Partei beteiligt gewesen zu sein. Nach Bekanntwerden der Verbindungen zwischen den schwedischen und ukrainischen Faschisten erklärten Sprecher des Inlandsgeheimdienstes SÄPO in Stockholm, dies werde »nicht automatisch« zu einer Verstärkung rechter Gewalt in Schweden führen.

Als Reaktion auf den Überfall vom vergangenen Wochenende fanden in zahlreichen schwedischen Städten Demonstrationen gegen den faschistischen Terror statt. In Malmö versammelten sich mehr als 2000 Menschen, in Stockholm rund 20000, in Göteborg etwa 1000. Auch in zahlreichen kleineren Städten des Landes fanden antifaschistische Kundgebungen statt. Für das Wochenende sind weitere Aktionen angekündigt. Dadurch soll verhindert werden, daß in Schweden wieder eine Situation wie in den 90er Jahren entstehen kann, als rassistische Gruppierungen wie »Weißer Arischer Widerstand« in großem Umfang Migranten und sexuelle Minderheiten angriffen und Linke systematisch terrorisierten. Unterstützt wurden die spontanen Proteste von großen Teilen der schwedischen Medien. So forderte die Tageszeitung Svenska Dagbladet in einem Kommentar die verschärfte Überwachung der »White-Power-Szene«. Der Vorfall vom vergangenen Wochenende sei »Ausdruck eines Erstarken der schwedischen Nazikreise«.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. März 2014


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