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Schwedens Elite steht loyaler zur NATO, den USA und der EU als zum eigenen Volk

Von Jan Oberg *

Im Verlauf der letzten 25 bis 30 Jahre hat Schwedens Elite im Militär, den Sicherheitsorganen und der Außenpolitik die schwedische Politik um 180 Grad gedreht. Diese fundamentalen Änderungen wurde initiiert von der sozial-demokratisch geführten Regierung unter Goran Persson und der Außenministerin Anna Lindh und sie wurden praktisch ohne öffentliche Debatte durchgeführt.

Die Annäherung an Interventionismus, Militarismus und die USA/NATO in allen Feldern erfolgte geplant, stufenweise, heimlich und verlogen, kurz gesagt, in der einer Demokratie unwürdigen Art und Weise. Diese Elite steht loyaler zu Brüssel und Washington als zu den Schweden selbst.

Wenn man die Vorstellung von Schweden hat, dass es sich um ein progressives, innovatives und friedensförderndes Land mit weltoffener Ausrichtung und ein Befürworter des internationalen Rechts handelt, so ist diese – traurig zu sagen – veraltet.

Wie sich Schweden geändert hat

Schweden ist nicht länger neutral und es ist nur formal blockfrei; es gibt keinen engeren Verbündeten für die USA/NATO. Das Land hat aufgehört, eine eigenständige Politik zu entwickeln und positioniert sich selbst im Rahmensystem der EU und der NATO. Es produziert nicht länger wichtige neue Denkansätze – das letzte dieser Art war Olof Palmes Kommission zur Gemeinsamen Sicherheit (1982).

Das Land verfügt über keinen Botschafter für Abrüstung und schätzt die UNO als unwichtig ein; es gibt keinen einzigen Schweden unter den UN-Blauhelmen. Keiner seiner Spitzenpolitiker stellt sich als Vermittler in internationalen Konflikten zur Verfügung. Nukleare Abrüstung steht weit unten auf der Agenda, für ein die NATO-Mitgliedschaft anstrebendes Land wäre das ja auch problematisch. Aber eine Sache hat sich nicht geändert: Schweden bleibt der pro-Kopf weltgrößte Waffen-Exporteur.

Schweden trägt nichts mehr zum Schutz kleiner Staaten durch eine Verpflichtung auf internationales Recht bei. Seine Eliten unterstützten voll und ganz die Bombardierung von Serbien/Kosovo. Es hielt - auch unter sozial-demokratischer Führung – die massenhaften Toten als Folge der Irak-Sanktionen und die Besetzung des Landes für angemessen.

Da Schweden legal nicht Waffen in ein kriegsführendes Land exportieren kann, aber eine enge militär-technologische Zusammenarbeit mit den USA aufrechterhält, beschloss sein Parlament, bei den USA eine Ausnahme zu machen.

Schweden unterstützte die Zerstörung Libyens – mit der Beteiligung seiner Flugzeuge, die allerdings nur Aufklärungseinsätze und keine Bombardierungen durchführten.

Schweden unterstützte zwar den geplanten Krieg gegen Syrien nicht, äußerte aber auch keinerlei hörbare Kritik an der Unterstützung von lediglich der militanten Opposition, einschließlich ihrer al-Kaida Verbindungen, durch den Westen.

Carl Bildt

Schwedens Außenminister Carl Bildt operiert hauptsächlich als herausragend gut-informierter Reisender bei internationalen Angelegenheiten und als Blogger, der nicht zu viel seiner kostbaren Zeit für sein Ministeramt verschwenden möchte. Und wenn er dies doch tut, ist er nicht bekannt dafür, viele Leute seiner Umgebung zu konsultieren.

Das könnte ein Grund dafür sein, dass seine Kommentare zu verschieden Ereignissen wiederholt das Gelächter der Medien hervorriefen. Wenn man, wie er es tat, den früheren ukrainischen Präsidenten Janukowitsch mit Norwegens Quisling vergleicht und damit Putin Hitler gleichsetzt und Russland dem Nazi-Deutschland, operiert man nicht länger als Staatsmann, sondern eher als emotionaler Hitzkopf oder als Marketing Berater. (Dazu passt, dass Bildt sich kürzlich im „Samstag Interview“ des Schwedischen Rundfunks weigerte, sich von den neo-Nazi Elementen in Kiew zu distanzieren.)

Bildts vereinfachte und verdrehte Interpretation von Georgien 2008 verrät seine heutige voreingenommene Emotionalität, wo er in früheren Zeiten – z.B. als Hoher Vertreter in Bosnien – doch Respekt verdiente für sein Operieren auf eine intellektuell nüchterne Art. Wenn man über keine eigenen Vorstellungen und Politik verfügt, dann genügen einem russo-phobe Platitüden. Und es qualifiziert einen für CNNs Christiane Amanpour.

Schweden steuert die NATO-Mitgliedschaft an

Hier seien einige neuerliche Ereignisse/Nachrichten aufgeführt, die zusätzlich den beklagenswerten Pfad, den Schweden beschlossen hat einzuschlagen, demonstrieren - d.h. seine Eliten und eher nicht seine Bevölkerung.

1. Schwedens gegenwärtige sicherheits-politische Elite „erwägt erweiterte Allianzen mit der NATO und der EU“ , wie uns „Defence News“ kürzlich informierte.

Das ist schon rätselhaft! Nach seiner Neutralität und Blockfreiheit während der harten Konfrontationen und der Spannungen in den Jahren des Kalten Krieges braucht Schweden jetzt die Mitgliedschaft in der NATO, wo es doch keine einzige Untersuchung irgendwo gibt, die es als wahrscheinlich ansieht, dass Schweden in der vorhersehbaren Zukunft mit einer Bedrohung konfrontiert sein wird.

Während der intelligente sicherheits- und verteidigungspolitische Diskurs derzeit befasst ist Sicherheit für Menschen, die Umwelt und die High-Tech-Herausforderungen, reden Schwedens Eliten bei Sicherheitsfragen nur über Waffen. Das ist ein gefährliches „Gruppendenken“, gesteuert von daran interessierten Bürokraten und bezahlt von den Steuerzahlern, die in der Tat mehr von diesen Interessen bedroht sind als von Putin. Ein Realitäts-Check würde zu einem Realitäts-Schock führen.

Cruise Missiles zur „Abschreckung“

2. Schwedische Kampfflugzeuge sollen jetzt, im Lichte einer passenden hysterischen Interpretation der Krise in der Ukraine, mit Cruise Missiles ausgerüstet werden (Defence News).

Es ist unglaublich, aber Entscheidungen wie diese werden getroffen mit dem intellektuell schlampigen Mantra, dass dies zur Abschreckungskapazität des Landes beitragen würde.

Die Kaste der Sicherheitsexperten des Landes besteht aus einigen Forschern für militärische Angelegenheiten, angestellt in gewaltigen, gut-finanzierten staatlichen Instituten in engem Kontakt mit Politikern und Militärs, zu denen militär-loyale Journalisten enge Beziehungen unterhalten. Jeder folge gefälligst der Parteilinie! Bleib im eigenen Lager! Erschüttere nicht unsere Hauptannahmen!

Schweden springt jetzt auf ein sinkendes Schiff

Das Land, das einstmals etwas für eine bessere Welt tat, hat sich der militaristischen Welt angeschlossen. Zu einer Zeit, als beide, NATO und die USA, schwächer werden, plant Schwedens Elite, alles auf diese eine Karte zu setzen.

Das Land verfügt über keine Politik gegenüber, sagen wir, den BRICS-Staaten oder irgendeine Vision der Welt in 20 Jahren, die man ansteuern könnte. Es hat keine Ideale, Werte oder Verpflichtungen, nur eine „Folge der USA/NATO und EU“ -Herdenmentalität.

Der US-Botschafter wird zur Erpressung eingeladen

3. Der US-Botschafter in Schweden, Mark Brzezinski, riet Schweden kürzlich der NATO beizutreten, andernfalls würde es keinerlei Hilfe im Falle eines Angriffs erhalten – kurz gesagt, eine mafiöse Erpressung im Gewand von aufrichtiger Sorge und einem generösen Angebot (allerdings an Bedingungen geknüpft) von Hilfsleistungen. Dies wurde von der konservativen schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet enthüllt.

Wie viele – und welche – Botschafter erhalten die Gelegenheit, sich direkt an alle Parteien im schwedischen Parlament zu wenden? Diese Botschaft ist glatte Erpressung – und basiert dazu auf einer „Furchtologie“ – weil jedermann weiß, dass, sollte Russland irgendjemanden angreifen, Schweden nicht das erste Ziel wäre, und es im Interesse der NATO läge, das schwedische Territorium zu kontrollieren, bevor russische Kräfte von irgendwo her in Nordeuropa vordringen. Kurz gesagt, das Interesse der NATO an Schweden ist viel größer als das Schwedens an der NATO. Was man auch immer von derartigen Fantasien halten soll, das ist letztlich was sie sind: Niemand hat ein glaubhaftes Scenario dargestellt darüber, wie Russland in Schweden einmarschieren und Schweden ohne jegliche Verteidigung bleiben würde.

Wenn eines der pro-Kopf weltweit größten Militärsysteme seine eigene Bevölkerung nicht verteidigen kann, dann stimmt damit etwas nicht. Aber das ist die militär-fundamentalistische Propaganda, der die Schweden jahrelang ausgesetzt waren: Wir müssen uns der NATO anschließen, weil wir nur so schwache Vereidigungskräfte haben und uns nicht selbst verteidigen können!

Der Verteidigungspolitische Sprecher der Liberalen, Allan Widmann, äußerte sich kürzlich in diesem die niedrige Ebene der Verteidigungspolitischen Debatte hierzulande erhellenden Sinne: “Ich kann nur die Tatsache feststellen, dass Russland über eine Bevölkerung von etwa 140 Millionen verfügt und Schweden über 9 Millionen. Wir werden es nicht schaffen, nur auf uns gestellt ernsthaften auswärtigen Herausforderungen zu begegnen ...“

Nun, wenn das schwedische Militär keinen Schutz der 9 Millionen Schweden mit einem Budget von 8 Milliarden Dollar (weltweit unter den 10 Prozent höchsten pro-Kopf Ausgaben der Welt) zu seiner Verfügung leisten kann, dann ist es Zeit zu fragen, wie ineffizient und kosten-maximierend das Land sein kann, ohne dass seine Führung gefeuert wird.

4. Gerade in dieser Woche wurde beschlossen, dass AWACS-Flugzeuge den schwedischen Luftraum passieren dürfen im Zusammenhang mit deren Einsätzen zur Krise in der Ukraine.

5. Schweden (und Finnland) diskutieren gerade, wie sie militärische Hilfe, einschließlich Truppenkontingente, von der NATO erhalten können. Dies geht darüber hinaus, was NATO-Mitglieder Dänemark, Norwegen und Island jemals akzeptiert haben. Und Schweden ist noch nicht einmal NATO-Mitglied.


Es ist Zeit, mit dem Nachdenken anzufangen

Nehmt das Geld, das Prestige, die Privilegien und Fonds der Militär-Industriell-Medien-Akademischen- Komplexe – MIMAC- der ganzen Welt und auch Schwedens – und zwingt sie zum Nachdenken:
  • Zum Nachdenken über das Gemeinwohl und nicht über ihre eigene Interessen.
  • Zum Nachdenken für die Welt und nicht ihren kleinkarierten psycho-politischen Nationalismus
  • Zum Nachdenken über die Sicherheit der individuellen Menschen und dem Einsetzen von Gewalt-Prävention als obersten Ziel
  • Zum Nachdenken über gewaltlose Politik zuerst und zum Einsatz von Militär als letztem Mittel
  • Zum Nachdenken wie es sich für eine Demokratie gehört, mit den Menschen, für die Menschen und durch die Menschen.
Solange alles, was man im Arsenal hat, Kampfflugzeuge sind, solange werden die Probleme der Welt als Bombardierungs-Einsätze gesehen. Und dann werden Frieden, Kooperation und gegenseitiges Verständnis verworfen und kalte – und sogar warme – Kriege werden „realistisch“.

Das darf nicht Schwedens Zukunft sein.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Jan Oberg ist leiter des Frriedensforrschungsinstituts TFF-Transnational Foundation for Peace and Future Research, Lund (Schweden)


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