Zweifel an Assanges Schuld
Warum wurde der Wikileaks-Gründer nicht schon in Schweden verhört?
Von André Anwar, Stockholm *
Der schwedische Haftbefehl gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange beruht nicht auf einer Verurteilung wegen Vergewaltigung, sondern auf dem Wunsch der Staatsanwaltschaft, den Australier zu verhören. Assange soll sich im fraglichen Fall geweigert haben, ein Kondom zu benutzen.
Nachdem Wikileaks-Gründer Julian Assanges am Dienstag wegen eines schwedischen Haftbefehls von der britischen Polizei verhaftet wurde, geht es nun um seine eventuelle Auslieferung nach Schweden. Auch wenn sein Anwalt Einspruch dagegen angekündigt hat, gilt eine Auslieferung als möglich. Zu genau sprachen sich beide Staaten in den vergangenen Tagen ab.
Gleichzeitig werden in Schweden die Zweifel an der Schuld Assanges größer. Nicht eine internationale Verschwörung von Geheimdiensten gegen Wikileaks, sondern eine übereifrige feministische Staatsanwältin soll hinter dem Haftbefehl und dem Auslieferungsbegehren stecken.
Die Professionalität der schwedischen Staatsanwaltschaft und die Ernsthaftigkeit der Anschuldigungen werden sogar von der Vereinigung junger feministischer Frauen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei angezweifelt, aus deren Reihen eines der vermeintlichen Opfer Assanges stammt. Der Verband deutet jedoch an, dass sich der Konflikt vor allem darum drehte, dass Assange gegen den Willen einer Sexualpartnerin kein Kondom benutzt haben soll.
Diese Behauptungen sind zwar nicht offiziell bestätigt, sie würden allerdings den juristischen Eiertanz um den Vorwurf der Vergewaltigung erklären. Im August gingen die Anzeigen gegen Assange bei der schwedischen Polizei ein. Zunächst entschied sich die Staatsanwaltschaft jedoch, keine Anklage zu erheben. Bis es einen Personalwechsel in der Behörde gab. Eine neue Staatsanwältin, Marianne Ny, nahm sich des Falles an und erhob Anklage. Sie gilt als Frauenrechtlerin. In einem Fall von Frauenmisshandlung hatte sie sich 1999 dafür ausgesprochen, dass von Frauen beschuldigte Männer auch ohne Verurteilung vorsorglich eingesperrt werden müssten, um der Frau »Raum zum Nachdenken« zu verschaffen. Frau Ny argumentierte damals: »Erst wenn der Mann gefangen genommen worden ist und die Frau in aller Ruhe Zeit bekommt, mit etwas Abstand auf ihr Leben zu blicken, erhält sie die Chance zu entdecken, wie sie behandelt wurde.«
Assanges britischer Anwalt griff die Staatsanwältin denn auch persönlich an. Marianne Ny sei wie eine »ungesicherte Schusswaffe auf dem schwankenden Deck eines in stürmischer See befindlichen Schiffes«.
Die Staatsanwältin hätte jedenfalls durchaus Zeit gehabt, Assange zu verhören, denn der Wikileaks-Gründer hielt sich freiwillig drei Wochen in Schweden auf, um sich einem Verhör zu stellen. Die Staatsanwältin versäumte es jedoch, ihn verhören zu lassen. Angeblich soll sie Assange in einem Telefongespräch sogar die Ausreise erlaubt haben.
Erst nach dieser Ausreise erließ das Amtsgericht den Haftbefehl. Als Begründung wurde ein »ernster Verdacht« auf Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Nötigung angegeben. Assange weigerte sich daraufhin, nach Schweden zurückzukehren. Die zweithöchste Instanz in Schweden, das Hofgericht, bestätigte inzwischen den Haftbefehl. Allerdings schwächte es die Anklagevorwürfe deutlich ab. Der Vorwurf sexueller Belästigung wird ganz fallen gelassen. Aus dem Verdacht auf Vergewaltigung wurde ein Verdacht auf eine »weniger grobe Vergewaltigung«.
* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2010
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