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Sollen wir weitere Soldaten in den Krieg der USA schicken?

Gösta Hultén über eine "Hilfe", die die Regierung beenden sollte*

Am 7. Juni 2005 erschien in der schwedischen Tageszeitung "Aftonbladet" ein interessanter Artikel, der sich mit der Frage beschäftigt, wie weit sich das Land in den US-Krieg im Irak noch hineinziehen lassen darf. Die Antwort fällt eindeutig aus: Die Beendigung der militärischen Zusammenarbeit wäre besser. Renate Kirstein hat den Artikel für uns übersetzt.

Warum haben die USA eigentlich den Krieg begonnen, der jetzt seit vier Jahren in Afghanistan stattfindet? Oder was haben schwedische Soldaten in dem Krieg zu suchen?
Die Fragen tauchen auf, während ich das Buch von Steve Coll "Ghost Wars, The Secret history of the CIA, Afghanistan and Bin Laden, from the Soviet invasion to September 10" lese, das im April dieses Jahres den amerikanischen Pulitzer-Preis für „non-fiction“ erhielt.

Während der Jahre als Chefkorrespondent der Washington Post in Südostasien von 1989 bis 1992 begann Coll Material über die CIA und die Mujaheddin in Afghanistan zu sammeln. Im August 2004 verließ er seinen Leitungsposten als stellvertretender Chefredakteur der Prestigezeitung Washington Post, um als Vollzeitbeschäftigung Bücher zu schreiben. In dem Afghanistan von Ghost Wars gibt es, wie in allen Kriegen, wenige Helden, aber um so mehr Leute, die sich am Krieg bereichern.

Der in Schweden bekannteste Held des Afghanistan-Krieges, Assmed Massoud, bekam z.B. nach Coll 200 000 Dollar im Monat von der CIA, die sich gleichzeitig darum bemühte, Massouds gewinnbringenden Opiumhandel vor der europäischen Presse geheimzuhalten. Coll zitiert den „contraterorismexpert“ der CIA Cofer Black, der bei einem Treffen im Hauptquartier der CIA in Langley mehrere Jahre vor dem 11.9.2001 erklärte, dass die Anwesenheit der USA in Afghanistan eine Art ist, „das Schlachtfeld für den dritten Weltkrieg vorzubereiten“. Hier wird die klassische USA-Strategie illustriert, praktiziert in Afghanistan und dem Irak: beide Seiten eines Konfliktes militärisch und politisch zu unterstützen oder unterstützt zu haben.

Steve Coll zeigt, wie die USA den wirklich gefährlichen Teil des Terrorismus geschaffen, finanziert und bewaffnet haben, für dessen Bekämpfung heute die unbedingte Unterstützung der ganzen Welt gefordert wird, während man gleichzeitig neue militante Verrückte unterstützt, gegen die man schon bald einen neuen Krieg beginnen wird, um sie zu bekämpfen.

Ohne Öl und Gas hätten sich die USA nicht so massiv in die zentralasiatischen Affären eingemischt, wie es zur Zeit geschieht. Coll beschreibt die langfristige Unterstützung für das Diktaturregime von Karimov im ölreichen Usbekistan, das Regime, das im Mai Waffen gegen friedliche Demonstranten einsetzte und ungefähr 1 000 Menschen massakrierte. Gerade in diesen Tagen – wo tausende Afghanen gegen die Schändung des Korans in Guantánamo demonstrieren – ist es ein pikantes Detail, wenn Coll enthüllt, wie die CIA während des Krieges gegen die Sowjetunion 1979-1989 tausende von Exemplaren des Korans verbreitete, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Usbekistan.

Steve Colls Buch über den „Geisterkrieg“ in Afghanistan ist auch für uns in Schweden interessant. Das Buch zeigt nämlich in ausgezeichneter Weise das, was schwedische Politiker über das zentralasiatische Wespennest hätten wissen müssen, bevor schwedische Wehrpflichtige in diesen „dritten Weltkrieg“ geschickt wurden.

Die schwedische Regierung überlegt jetzt, eine neue und größere Militärtruppe nach Afghanistan zu schicken. Das geschieht nicht unter der Regie der UNO, sondern der der USA und der NATO. Die neuen schwedischen Truppen für Afghanistan sollen auf Wunsch des unter hartem Druck stehenden Verteidigungsminister der USA, Donald Rumsfeld geschickt werden, den Verteidigungsministerin Leni Björklund vor kurzem in Washington getroffen hat. Als Teil der von der NATO geführten „International Security Assistance Force“, ISAF, hat Schweden bereits ca. 100 Mann in Kabul. Diese Truppen sollen jetzt, wie der Sprecher der NATO de Hoop Scheffer sagt, verstärkt und „direkter mit den Truppen“ der USA von ungefähr 12 000 Mann verbunden werden.

In der außenpolitischen Debatte des Reichstages am 11. Februar teilte Leila Freivalds (die schwedische Außenministerin, Anm. der Übersetzerin) mit, dass die Regierung „...einen Einsatz zusammen mit den nordischen Ländern und sonstigen Truppenentsendern vorbereitet, um die Sicherheit in den Dörfern zu verbessern, den Drogenhandel und den Terrorismus zu bekämpfen und den Wiederaufbau zu erleichtern“.

Es ist sonderbar, dass niemand im Reichstag bereits damals Fragen nach diesem neuen Truppenkontingent gestellt hat, oder dagegen protestiert hat, dass Schweden tiefer in das hineingezogen wird, was tatsächlich der Krieg der USA in Afghanistan ist.

Die Region, in der Schweden nach dem Willen der USA helfen soll, ist eine Provinz im Norden, die von dem berüchtigten Kriegsherren Dostum beherrscht wird. Bereits während seiner Zeit als Alliierter der Sowjets in den 1980ger Jahren hat er sich des Übergriffes auf Zivilisten schuldig gemacht. Er wird als der Verantwortliche für das sogenannte Containermassaker im Herbst 2001 bezeichnet, als Tausende von Gefangenen dadurch ermordet wurden, dass sie lebendig in Container gesteckt wurden. General Dostum ist auch „Hauptlieferant“ von Afghanen für das Lager in Guantánamo, wo immer noch 500 „verdächtige Terroristen“ gegen internationales Recht gefoltert und festgehalten werden. Sowohl Dostum als auch der amerikanische Befehlshaber der Grünen Barette in Afghanistan wurden schwerer Verstöße gegen die Genfer Konvention während der Jahre von Krieg und Besatzung beschuldigt. Es gibt viele Zeugenaussagen über amerikanische Folter von afghanischen Gefangenen.

Weder die Übergriffe von Dostum noch die der US-Truppen in Afghanistan wurden unparteiisch untersucht und aufgeklärt, obwohl humanitäre Organisationen das gefordert haben. Stattdessen wurde Dostum vor kurzem auf einen Posten berufen, der dem Oberbefehlshaber in Afghanistan entspricht, auf Rumsfelds Initiative. Bei ihrem neuen Auftrag werden die schwedischen Truppen Waffenbrüder und Alliierte dieses berüchtigten Kriegsherren und Opiumhändlers.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der erste schwedische Soldat in Afghanistan fällt; in einem Land, das 6 000 Kilometer von den Grenzen entfernt liegt, die die schwedische Kriegsmacht immer noch, nach unserem Grundgesetz, zu verteidigen hat. Der Chef des schwedischen Contingents in Kabul, Olle Schylander, „hat ein ungutes Gefühl, was als nächstes passiert“. Das sollte auch die Regierung haben. Leben zu opfern für das von den USA eingesetzte Regime in Afghanistan ist nicht populär bei den schwedischen Wehrpflichtigen. Nicht einmal jeder zehnte ist überhaupt daran interessiert, sich an einem Auslandseinsatz zu beteiligen. Um die Truppe für Afghanistan zu rekrutieren, hat das Oberkommando deshalb regelrecht irreführende Informationen verbreitet, mit idyllischen Bildern von einem friedlichen Afghanistan. Man verspricht auch einen 4,6 mal höheren Risikozuschlag als für den UN-Auftrag im Libanon.

Die Vermischung von humanitärer Hilfe, politischer Propaganda und kämpfenden Truppen, eine Idee, die von einer amerikanischen Beraterfirma stammt, steht im Widerspruch zu allen bisherigen Prinzipien schwedischer Hilfsarbeit. Die Arbeitsaufgaben werden diffus als „der Interimsadministration assistieren bei der Entwicklung künftiger Sicherheitsstrukturen, der Rekonstruktion und Identifizierung sowie Durchführung von Training und anderen assistierenden Aufgaben für die künftigen afghanischen Sicherheitskräfte“.

Tatsächlich riskiert Schweden, zum ersten Mal in unserer modernen Geschichte, in einen völkerrechtswidrigen Krieg hineingezogen zu werden, ohne UNO-Mandat, ohne Unterstützung der Bevölkerung und ohne öffentliche Debatte.

Auf Wunsch der USA jetzt im nördlichen Afghanistan „aufzuräumen“ ist eine außerordentlich schlecht gewählte Gelegenheit, mit Schwedens 200-jähriger Neutralitätspolitik zu brechen. Steven Colls Buch Ghost Wars wäre eine ebenso nützliche Sommerlektüre für urlaubende Reichstagmitglieder wie für unwissende Fernsehjournalisten, die den Krieg der USA in Afghanistan als ein Demokratisierungsprojekt zu beschreiben pflegen.

Gösta Hultén

Übersetzung: Renate Kirstein

* Originalartikel: Ska vi skicka fler svenska soldater till USA:s krig?
Aftonbladet, 7. Juni 2005
http://www.aftonbladet.se/vss/kultur/story/0,2789,656315,00.html



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