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Terror und Schweigen

Åsa Linderborg und Erik Wijk über das erste schwedische Terrorurteil*

Schweden gilt weithin als ein Musterbeispiel für eine soziale Demokratie, deren Außenpolitik einen strikten Neutralitätskurs einhalte. Mit der Wirklichkeit hat dieses positive Vorurteil immer weniger zu tun. Der folgende Artikel belegt, dass die schwedische Gesetzgebung und Justiz auch bei der Abwehr terroristischer Gefahren zunehmend von der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und Gepflogenheiten abweichen.



Die Problematik des Terroristengesetzes von 2003 kann man nicht zuletzt damit illustrieren, dass sich die Regierung selbst strafbar macht.

In Europa findet ein Wettlauf um härtere Maßnahmen gegen vermutete Terroristen statt. Human Rights Watch reagiert heftig auf diese Aushöhlung der Menscherechte, nicht zuletzt gegen den letzten Vorschlag der Regierung Blair, der vorsieht, dass verdächtigte Terroristen in geheimen Gerichtsverhandlungen abgeurteilt werden und auch keine Einsicht in die Beweise erhalten sollen. Schwedens Justizminister Thomas Bodström liegt auch gut im Rennen mit seinem Vorschlag über die obligatorische Speicherung sämtlicher Internet- und Mobilfunkkommunikation aller Einwohner. Seine angekündigten Gesetze zur Beteiligung des Militärs bei der Terroristenbekämpfung werden von der Opposition nur mit einem Seufzer des Bedauerns aufgenommen, weil der Vorschlag nicht von ihnen stammt. Noch weniger Diskussion gab es über die Terroristengesetze, die unser flinker Justizminister bereits eingeführt oder angepasst hat.

Früh am Morgen des 19. April 2004 nahm die Nationale Einsatztruppe vier mutmaßliche Terroristen in ihren Wohnungen in Schweden fest. In eine der Wohnungen stürmten die Polizisten durch die Fenster in die Küche und das Schlafzimmer der Kinder, ein Drei- und ein Zehnjähriger wachten zwischen Glassplittern und Mündungen von Maschinenpistolen auf. Die Vier kamen in Isolationshaft mit Medien- und Besuchsverbot. Die Anschuldigungen waren für die Allgemeinheit geheim. Verhöre wurden nach unseren Informationen auch vom amerikanischen, britischen und deutschen Geheimdienst durchgeführt, auch wenn Säpo (schwedische Sicherheitspolizei, Anm. Übers.) nur die Anwesenheit des deutschen zugibt.

Nach einem halben Jahr erkannte das Oberlandesgericht bei einem Haftprüfungstermin die Beweisführung gegen einen der Vier nicht an. Daraufhin lieferte Säpo „Überschussinformationen“ von einer Telefonüberwachung – nur erlaubt bei Verdacht auf sehr schwere Verbrechen – an die Krankenkasse, sodass der Mann wenigstens wegen Schwarzarbeit angeklagt werden konnte.

Als das Oberlandesgericht einen weiteren Verdächtigen wegen Mangel an Beweisen freiließ, wurde er statt dessen, auf direkte Anweisung von Bodström, von Säpo festgenommen und in den Irak ausgewiesen, auch wenn die Umsetzung der Ausweisung auf sich warten lässt, weil ihm dort die Todesstrafe droht. Ein Zusatz zum Gesetz von 2003 über eine besondere Ausländerkontrolle ermöglicht es der Regierung nämlich, eine Person auszuweisen, von der Terrortaten zu befürchten sind. Die Verhandlung findet vor dem Amtsgericht statt, aber Säpo braucht keine Beweise vorzulegen, und das Gericht sagt nicht seine Meinung und fast auch keinen Beschluss, das macht die Regierung. Das Amtsgericht wird zum Protokollführer reduziert. Diese schwedische Praxis erinnert sehr an den oben genannten kontroversen britischen Vorschlag – der bisher nur ein hart kritisierter Vorschlag ist.

Nach einem Jahr fand die Verhandlung für die zwei Verbliebenen vor dem Stockholmer Amtsgericht statt. Sie wurden nach dem Gesetz über die Strafe für Terrortaten angeklagt, das am 1. Juli 2003 in Kraft trat. Mit diesem Gesetz führt Schweden einen Rahmenbeschluss der EU durch und definiert Terrortaten wie Mord, Kidnapping, Sabotage, Verbreitung von Gift oder Krankheitserregern, verschiedene Arten von Waffenverbrechen, Bedrohung und sonstiges, was „einen Staat oder eine zwischenstaatliche Organisation ernsthaft gefährden kann“ und absichtlich Schrecken zu verbreiten oder die Behörden zu Beschlüssen zu nötige oder politische, ökonomische oder soziale Strukturen zu schädigen.

Die zwei Verdächtigten sind irakische Kurden, 25 und 29 Jahre alt, wohnhaft in Schweden und laut Ankläger der Vorbereitung von Terrortaten schuldig, indem sie Geld für das kurdisch-irakische Netzwerk Ansar al-Islam gesammelt oder vermittelt haben.

Das Urteil besteht zum großen Teil aus einem Referat der Schilderung des Anklägers über militanten Islamismus in den letzten Jahrzehnten. Hier wird mit breitem dämonisierendem Pinselstrich ein ebenso verwickeltes wie halsstarrig konspiratives Bild eines „weltumspannenden islamistisch motivierten Terrorismus“ gemalt. Alle bekannten Kräfte wie Usama bin Ladin, al-Qaida, Abu Musab al-Zarqawi, die Talibans, die Moslembruderschaft, Ansar al-Islam usw. werden als eine einheitliche und fest zusammengeschweißte Bewegung beschrieben. Trotzdem fällt es dem Amtsgericht schwer, die Zielsetzung dieser Bewegung zu präzisieren. Einerseits heißt es, dass sie „einen bewaffneten Kampf gegen die Ungläubigen generell anstreben“, dann wieder, sie wollten in den betroffenen Gebieten „einen islamistischen Staat“ errichten. Dass die USA den Irak besetzt haben, wird in dem Urteil überhaupt nicht erwähnt, deshalb wird der Kampf gegen „die Koalitionstruppen und ihre Alliierten“ damit erklärt, dass diese „als Feinde des richtigen islamischen Weges angesehen werden“.

Diese Beschreibung der Situation im Irak und des historischen Hintergrundes sieht das Stockholmer Amtsgericht als „korrekt“ an, weil sie auf „offenen Quellen“ basiert, was als Beiträge in der Sendung „Aktuell“ des Schwedischen Fernsehens und bei CNN präzisiert wird.

Die Beweisführung stützt sich hauptsächlich auf abgehörte Telefongespräche. Der Neunundzwanzigjährige ist Imam in einer schwedischen Moschee und der Fünfundzwanzigjährige arbeitet unter anderem mit Hawala, einer Art internationalen Geldtransfers, der in großen Teilen Asiens und Afrikas üblich ist. Beide haben ein ausgedehntes Kontaktnetz mit vielen auf unterschiedliche Art sensiblen Verbindungen. In ihren Gesprächen benutzen sie häufig Spitznamen für Personen und manchmal, wenn es erforderlich ist, Codeworte für verschiedene Dinge.

Ein wichtiger Teil der Beurteilung durch das Gericht besteht aus den geheimen Verhören eines geheimen Säpo-Agenten, Agent „RPS2103“, durch das Gericht, dessen Aussagen geheim sind, außer einem Diagramm mit einer Menge Köpfe, die als Mitglieder von Ansar al-Islam bezeichnet werden, mit verbindenden Linien zu dem jeweiligen Angeklagten. Das Schema kann jeden überzeugen – bis man in dem Urteil ließt, dass durchgezogene Linien „bestätigte“ Kontakte bedeuten, „bei denen aber die Möglichkeit nicht vollständig auszuschließen ist, dass die Angaben falsch sein können“, und dass gestrichelte Linien „unbestätigte“ Kontakte darstellen, „was aber nicht bedeutet, dass sie nicht stattgefunden haben können“.

Der Fünfundzwanzigjährige hat gestanden, dass er einen Teil des Geldes an Ansar al-Islam geschickt hat, dass es aber für soziale und humanitäre Zwecke bestimmt war. Der Neunundzwanzigjährige bestreitet eine Beteiligung. Die endgültige Beurteilung des Gerichtes beruht vor allem auf den behaupteten Kontakten und vagen Kommentaren über das Attentat in Arbil am 1. Februar 2004. Bei zwei Attentaten gegen Parteibüros der PUK und der KDP wurden über 100 Menschen getötet. Eine Organisation mit Namen Ansar al-Sunna, die vom Amtsgericht als identisch mit Ansar al-Islam angesehen wird, hat sich zu der Tat bekannt, was damit erklärt werden könnte, dass islamistische Kurden meinen, dass sich die PUK und die KDP an die USA-geführte Besatzungsmacht verkauft haben. Das Amtsgericht gibt zwar zu, dass man den Angeklagten diese Tat nicht zuschreiben kann, meint aber dennoch, dass die Umstände „bestechend“ seien.

Das Amtsgericht stützt sich auch auf die Tatsache, dass Ansar al-Islam auf den Terrorlisten von UNO und EU steht. Der Sicherheitsrat der UNO berief sich auf amerikanische Sicherheitsinteressen, als er 1999 in der Resolution 1267 beschloss, eine Liste über islamistische Einzelpersonen und Organisationen anzulegen, deren Vermögen eingefroren werden sollte und die niemand unterstützen darf. Die EU hat diese Liste automatisch übernommen, und sie wird ständig mit Ergänzungen oder Streichungen aktualisiert. Den einen Tag ist es in Ordnung, eine bestimmte Organisation zu unterstützen, den nächsten Tag ist es eine Terrortat. Auf diese Art wurden den drei Somaliaschweden ihre Konten gesperrt und ihre Zukunftschancen zerstört – ohne gerichtliche Überprüfung. Die grundgesetzlich geschützte Vereinigungsfreiheit steht – wie viele andere Freiheiten in dieser Zeit – auf der Kippe.

Der Fünfundzwanzigjährige wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und der Neunundzwanzigjährige zu sieben Jahren. Beide werden anschließend für immer in den Irak ausgewiesen. Der Neunundzwanzigjährige hat eine schwedische Frau und zwei Kinder in Schweden, was normalerweise eine Ausweisung ausschließt, aber das Verbrechen ist so schwer, meint das Amtsgericht – und außerdem hat er nicht Schwedisch gelernt und „scheint sich auch sonst nicht an die schwedische Gesellschaft angepasst zu haben“.

Wir halten es nicht für unwahrscheinlich, dass der Angeklagte Geld an Ansar al-Islam überwiesen hat, das für militante Aktionen benutzt werden sollte – aber das ist nicht ohne jeden Zweifel bewiesen, wie es Gesetz und Rechtssicherheit fordern.

Ein weiteres Problem ist, dass ein schwedisches Amtsgericht seine Schlussfolgerungen auf Annahmen über außenpolitische Verhältnisse aufbaut, die selbst für die erfahrendsten Experten und Journalisten wegen der schlechten Nachrichtenlage völlig unklar sind, oder einfach auf dem Weltbild der USA beruhen.

Auch die Verantwortung für das einzelne Attentat, bei dem es sich nach dem Urteil um das in Arbil handelt, ist umstritten. Es gibt eine Kultur, sich für ein Attentat verantwortlich zu erklären, das man nicht begangen hat, vor kurzem haben wir gesehen, wie verschiedene Organisationen die Verantwortung für die Sprengungn in Sharm El-Sheik übernahmen. Dass Ansar al-Islam die Verantwortung für Arbil übernommen hat, hat z.B. den Völkerrechtsprofessor und langjährigen Experten im Außenministerium überhaupt nicht beeindruckt, der der festen Überzeugung ist, dass „andere Kräfte hinter dem Attentat stehen“ und der auf türkische Interessen hinweist. (Amnesty Press, 2/04).

Das wirklich Besorgniserregende ist jedoch, dass das schwedische Justizwesen, mit Unterstützung eines eifrigen Justizministers, die grundlegenden Konflikte völlig außer Acht lässt. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Irak und die anschließende Besatzung existieren in dem Urteil nicht. Die Angeklagten versuchten immer wieder die Natur des Konfliktes zu erklären. In dem Urteil steht, dass der Fünfundzwanzigjährige berichtet, dass „er froh sei, dass Saddam beseitigt wurde. Die Soldaten der USA betreiben jedoch ein terroristisches Regime, gegen das das Volk das Recht hat, sich zu verteidigen.“ Er hat Verwandte, die durch amerikanische Flugzeugangriffe getötet wurden. Er spricht von Geld, das in Moscheen gesammelt wird und das nach Tschetschenien, Palästina, Irak und Kurdistan geht – alles Gebiete, in denen die muslimische Bevölkerung von fremden Mächten terrorisiert wird. Er sagt, dass das Geld gewöhnlich „an Kinder und sonstige Bedürftige geht, dass ihm aber auch gesagt wurde, dass es auch für den Kampf gegen die USA war. Dagegen hat er nichts. Wenn das der Grund ist, dass er seiner Freiheit beraubt wurde, sei er darüber erfreut.“

Der Neunundzwanzigjährige seinerseits sagt, nach dem Urteil, dass „die Kurden ein Recht auf Selbstverwaltung haben und dass die USA den Irak verlassen sollen. Den USA ist es nicht gelungen, die anderen Staaten davon zu überzeugen, dass man in der Irak-Frage das Richtige getan hat. Deshalb ist der Terrorismus entstanden.“

Aber das Gericht weigert sich, diese Perspektive bei seiner Beurteilung zu berücksichtigen. Man macht keinerlei Unterschied zwischen Terrorismus, Krieg und Widerstand gegen eine Besatzungsmacht. Das Gericht macht Anmerkungen des Typs „die USA-geführte Invasion und die Jagd auf verdächtige Terroristen, die eine Folgen davon ist,“ stellt aber keine Überlegungen über einen Zusammenhang der Ursachen an.

Alle, die sich einbilden, der Konflikt im Irak sei ein einfacher Konflikt zwischen Demokratie und Terror, zwischen Bush und Saddam, zwischen dem Westen und dem Islam oder ähnliches, sollte dieses Urteil über zwei Männer lesen, die zu gleicher Zeit kurdische Nationalisten, bekennende Moslems, irakische Patrioten, Saddam-Hasser, Widerstandskämpfer gegen eine Besatzungsmacht sind und möglicherweise mit einem Netzwerk sympathisieren, das als Iran-freundlich, aber auch als panislamisch angesehen wird.

Was das schwedische Amtsgericht tatsächlich macht, ist, dass es zu der Frage Stellung nimmt, ob ein Volk, das von einer fremden Macht besetzt, geplündert und ermordet wird, das Recht hat, Widerstand zu leisten. Wir meinen, dass es ein selbstverständliches prinzipielles Recht ist, Widerstand gegen einen Aggressor zu leisten, auch wenn man bei jedem einzelnen konkreten Ereignis fragen muss, ob gerade dieses als legitimer Widerstand anzusehen ist. Meistens bleiben wir die Antwort aus Mangel an Informationen schuldig. Vieles spricht dafür, dass das Attentat in Arbil kein Beispiel für legitimen Widerstand war, was aber eine Frage von untergeordneter Bedeutung ist, solange das Gericht weder einem der beiden Angeklagten noch Ansar al-Islam eine Beteiligung nachweisen kann. Das Gericht gibt zu, dass es ersteres nicht kann, um das zweite frisch zu behaupten.

Die schwedische Regierung war die ganze Zeit gegen das Recht auf Widerstand. Außer in der Rhetorik in der aller ersten Kriegsperiode, aber man hat nie gegen den Krieg agiert und später das amerikanische Handeln hundertprozentig unterstützt. Durch Gesetzgebung und direktes Eingreifen hat man außerdem das schwedische Rechtssystem ermuntert, im Interesse der Großmächte zu arbeiten. Wenn schwedische Gerichte jetzt gezwungen werden, zu einzelnen Attentaten Stellung zu nehmen, ist es nur ein Beispiel dafür, wie die Rechtssicherheit außer Kraft gesetzt wird.

Das Problematische an den Terroristengesetzen von 2003 kann, wenn nicht anders, damit illustriert werden, dass sie die Regierung selbst anklagbar machen können. Schweden exportiert (auch im Widerspruch zu den Waffenexportgesetzen) Waffen an Großbritannien und die USA. Außerdem haben wir durch die Ausbildung von Polizisten im Dienst der Besatzungsmächte geholfen und das ganze diplomatisch legitimiert. Schweden hat damit im Prinzip die Kriterien für die Beihilfe zu Terrortaten erfüllt, da der USA-geführte Angriff durch Mord, Sabotage, Zerstörungen usw. einem Staat schwer schadet, indem er darauf abzielt, die grundlegenden Strukturen zu zerstören. Was man eventuell eigentlich hatte aufbauen wollen, ist egal – das wird in den Terrorgesetzen nicht berücksichtigt.

Das Urteil – das erste nach der neuen Terrorgesetzgebung – wurde angefochten und wird am 22. August vor dem Svea hovrätt (Oberlandesgericht für Mittelschweden, Anm. Übers.) verhandelt. Wieder muss ein schwedisches Gericht Stellung zu dem beziehen, was im Irak geschieht, und vermutlich wird es wieder die Frage ignorieren, was Terrorismus ist und was Widerstand in einem Land, dass besetzt ist und sich im Chaos befindet – wo doch das schwarzweiße Weltbild der USA die ganze Anklage prägt.

In ganz Europa wird weiter über die neuen harten Vorhaben diskutiert, die gegen die Menschenrechte verstoßen, hier aber zum großen Teil bereits praktiziert werden. Im Schweden der Einvernehmlichkeit und des Thomas Bodström jedoch herrscht eisiges Schweigen.

Åsa Linderborg, Erik Wijk

Übersetzung ins Deutsche: Renate Kirstein

* Aus: Aftonbladet, Stockholm, 15. August 2005

(Übersetzung aus dem Schwedischen: Renate Kirstein)




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