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Rassistische Stereotype im multikulturellen Schweden?

Das Land nimmt zwar relativ viele Einwanderer auf, ist aber nicht frei von Diskriminierung *


Schweden gilt im EU-Vergleich als einwanderungsfreundlich. Tatsächlich aber erleben Eingewanderte auch nach langem Aufenthalt im Lande Diskriminierungen. Das Multikulturelle Zentrum (Mångkulturellt centrum) im Stockholmer Bezirk Botkyrka, wo im Mai 2013 Aufstände gegen Polizeigewalt und herrschende Migrationspolitik ausbrachen, widmet sich in einer Ausstellung »Varning för ras« (Vorsicht vor Rasse) dem Rassismus in Schweden. Dr. Tobias Hübinette, Dozent an der Södertörn Universität Stockholm, gehört zu den Gestaltern der Ausstellung. Regina Knoll befragte ihn für »nd«.


Das Multikulturelle Zentrum wurde 1987 gegründet. Mit welchem Ziel?

Die Gemeinde Botkyrka erlebte in den 80er Jahren eine rapide zunehmende Migration von Menschen aus nichtwestlichen Ländern, besonders des Mittleren Ostens, die sich im Norden der Gemeinde niederließen. Daraus folgte eine demografische Veränderung, wodurch die Idee für das Zentrum entstand. Anfangs sollte es ein Museum für Migration werden, doch schon bald wurde es zu einem Forschungsinstitut. Heute richtet sich der Fokus auf das Sammeln von Informationen rund um Migration und Rassismus in Schweden und auf die Veränderungen des Landes hinsichtlich der zunehmenden Multikulturalität.

Worum geht es in der gegenwärtigen Ausstellung und wie sind die Reaktionen?

Die Ausstellung zeichnet gegenwärtige Veränderungen in Schweden nach. An die 15 Prozent der hier lebenden Bevölkerung sind »of Color« (andersfarbig), aber entweder hier geboren oder seit Langem hier sesshaft. Wir versuchen deshalb, den Fokus weniger auf Begrifflichkeiten wie Migration und Kultur zu setzen, sondern uns anzuschauen, wie Rassismus das Leben nicht-weißer Menschen beeinflusst. Dazu präsentieren wir in der Ausstellung diverse Statistiken, um aufzuzeigen, wie Segregation in Schweden aussieht und welche rassistischen Stereotype gesellschaftlich vorherrschen. Ein weiterer Bestandteil ist die Auseinandersetzung mit Weißsein und Privilegien, die zu kritischem Denken im Bezug auf die nach wie vor herrschende weiße Norm einlädt. Die Reaktionen sind sehr geteilt. Viele sind von der Art der Darstellung schockiert, andere erkennen sich selbst darin wieder, sicherlich insbesondere schwedische Menschen »of Color«. Weißen Schwedinnen und Schweden dagegen fällt es schwer, über Rassismus und Diskriminierung in Schweden zu sprechen, weil sie noch immer an das Bild eines durch und durch antirassistischen und gleichberechtigten Landes glauben.

Sie setzen sich mit der Verknüpfung von Schwedischsein und Weißsein auseinander. Wer wird als schwedisch erachtet?

Heutzutage lässt sich Schwedischsein mit Weißsein gleichsetzen. Das heißt, dass es einer nicht-weißen Person nicht zugestanden wird, auch schwedisch zu sein. Auch scheinen andere Faktoren wichtig zu sein, wie das Beherrschen der schwedischen Sprache, der Besitz der Staatsbürgerschaft, das Bekenntnis zum christlichen Glauben und so weiter. Selbst adoptierten nicht-weißen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, wird nach wie vor das Schwedischsein aberkannt. Sie bekommen noch immer ausschließende Fragen wie »Wo kommst du her?« gestellt.

Schweden hat in beiden Weltkriegen eine »neutrale« Position eingenommen und dadurch keine ökonomischen Schäden davongetragen. Das und die Beschäftigung von Gastarbeitern trug zu einem enormen Wirtschaftsaufschwung bei, weshalb sogar Migranten gleiche Rechte wie der Mehrheitsbevölkerung zugestanden wurden. Wie steht es heute um die Migrationspolitik?

Zwischen 1950 und 1980 sind Migranten aus skandinavischen und anderen europäischen Ländern in ein extrem wohlhabendes Land eingereist. Diese Situation hat sich nach 1990 durch die ökonomische Krise verändert. Heute ist Schweden, durch die Einführung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells, nicht mehr der Wohlfahrtsstaat, der er einmal war. Hinzu kommt, dass 2001 das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde, was zu einer Verschärfung der Grenzkontrollen führte. Obwohl Schweden im Vergleich zu anderen EU-Ländern viele Flüchtlinge aufnimmt, gestaltet sich die Migrationspolitik derzeit restriktiv und weist einen militarisierten Charakter auf.

Doch auch Menschen, die vor langer Zeit eingewandert sind, erfahren in Schweden Diskriminierungen. Darum erscheint die Dekonstruktion bis hin zur Zerstörung der Gleichsetzung von Schwedischsein mit Weißsein erforderlich. Zudem muss die ungleiche Verteilung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt angegangen werden. Um das alles erreichen zu können, müssen wir unbedingt anfangen, öffentlich über Rassismus und Weißsein zu sprechen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 6. November 2013


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