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Was Carl Bildt für den Krieg getan hat

Der Beitrag des neuen schwedischen Außenministers zum Blutbad im Irak

Von Mikael Nyberg *

Leiche wird neben Leiche gelegt in einer Reihe ohne Ende. Verschanzt in ihrer grünen Zone verbreiten die Befreier Bagdads Hellfire-Raketen, Phosphorbomben und Todespatrouillen über das Land. Der Verbrauch an Munition ist von solchem Umfang, dass die Produktionskapazität kaum ausreicht. Aber die schwedische Regierungserklärung dieses Herbstes enthält nicht ein Wort zu dieser zur Zeit stattfindenden praktischen Massenvernichtung. Ein Ausdruck für mangelndes Interesse? Kaum. Der Krieg im Irak ist für Außenminister Carl Bildt eine persönliche Angelegenheit. Er ist einer der dafür Verantwortlichen. In den ersten Monaten des Jahres 2003 half er den Kriegsaktivisten in den Staatsorganen und privaten Thinktanks der USA bei der Mobilisierung für den lange geplanten Marsch auf Bagdad.

Im Herbst hatte es schlecht ausgesehen für das Kriegsunternehmen. Trotz der verordneten Hysterie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zeigten Meinungsumfragen in den USA eine schwindende Unterstützung für einen militärischen Angriff. Das Weiße Haus installierte deshalb eine Institution, die die Entwicklung umkehren sollte, das Committee for the Liberation of Iraq, das Komitee für die Befreiung des Irak. Zu der Gesellschaft gehörten drei Befehlshaber aus dem Golfkrieg von 1991, unter ihnen Buster Glosson, der Stratege hinter der erfolgreichen Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Irak, mit Tausenden von kranken und toten Kindern als Kollateralschaden in den folgenden Jahren. Hier fanden sich auch bedeutende Politiker wie der Demokrat Joseph Lieberman und die Republikaner John McCain und Newt Gingrich, der Orientalist Bernard Lewis, der Gewerkschaftsboss James Hoffa, der frühere CIA-Chef James Woolsey und eine Anzahl neokonservativer Ideologen. Mehrere in der Gruppe hatten Verbindungen zum Nachrichtendienst und der Rüstungsindustrie. Einer der Manager, Bruce Jackson, kam von Lockheed Martin. Ein anderer, der frühere Außenminister George Shultz, gehörte der Leitung von Bechtel an.

Der Irak bedeutete eine „offensichtliche und nahe bevorstehende Gefahr für seine Nachbarn, für die Vereinigten Staaten und für alle freien Menschen auf der Welt“, hieß es in der programmatischen Erklärung. Deshalb mussten die USA und ihre Alliierten das Regime in Bagdad auswechseln. Das Komitee versprach, nach vollbrachter Tat den Wiederaufbau des Landes zu fördern, eine Aufgabe, die der Bauriese Bechtel und die privaten Unternehmen in der Gesellschaft sicher dringlich fanden.

Formell war die Organisation unabhängig, aber die Zusammenarbeit mit der Regierung war eng. Dabei ging es darum, die Öffentlichkeit zu bearbeiten, die Meinungsbildner und Journalisten für die Sache zu gewinnen, und später, wenn es an der Zeit war, den Krieg massiv zu propagieren. Ahmed Chalabi und andere Exiliraker mit Wurzeln in der Monarchie, die in der irakischen Revolution 1958 gestürzt wurde, versorgten die Kampagne ständig mit neuen und immer phantasievolleren Informationen über Saddam Husseins Arsenale mit Massenvernichtungsmitteln und seine Konspiration mit den Terroristen von al-Qaida.

In Europa gab es gewaltige Demonstrationen gegen die Pläne des Weißen Hauses, und die Führer in Paris und Berlin widersetzten sich. Im Kosovo-Krieg hatten sie sich ohne weiteres über UN-Beschlüsse hinweggesetzt, aber jetzt bestanden sie auf einem Beschluss des Sicherheitsrates. Dort waren die Aussichten, einen Krieg sanktioniert zu bekommen, ausgesprochen unsicher. Die Kriegsaktivisten in den USA hatten keine Bedenken, die UNO außen vor zu lassen, aber das Bild eines Vorkämpfers für Frieden, der im Namen der Weltgesellschaft Terroristen und Massenvernichtungsmittel an den Stränden des Euphrat und Tigris jagte, ließe sich schlecht aufrecht erhalten, wenn man keine „Weltgesellschaft“ vorzeigen könnte.

Hier kam ein früherer schwedischer Ministerpräsident zu Hilfe.

Randy Scheuneman,Direktor des Committe for the Liberation of Iraq und früherer Ratgeber von Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, fragte Carl Bildt, ob er bei der Kriegskampagne helfen wolle. Carl Bildt wollte. Im Januar 2003 etablierte sich das Komitee mit einem internationalen beratenden Ausschuss in Europa. Unter jenen, die sich anwerben ließen, fanden sich zwei frühere Präsidenten und drei frühere Außenminister aus dem Baltikum und Zentraleuropa, ein früherer Chef der deutschen Bundeswehr und der englische Journalist Christopher Hitchens und Misha Glenny, ein palästinensischer Geschäftsmann mit Wohnsitz in New York sowie einige weitere Politiker und Schreiberlinge. Bildt teilte den Vorsitz mit dem früheren polnischen Dissidenten Adam Michnik.

Gary Schmitt, der Sekretär des Komitees im Hauptsitz in den USA, erklärte: „Eines unserer Ziele ist es, den Menschen hier und in Europa zu zeigen, dass es eine Menge herausragender Europäer gibt, die die Bedrohung durch Saddam Hussein und die Notwendigkeit sehen, etwas zu unternehmen, gleichgültig, ob die Vereinten Nationen etwas tun oder nicht.“ Wenn die UNO und das Völkerrecht den USA nicht erlaubten, zum Angriff überzugehen, dann gab es andere, die sich auf ihre Seite schlugen.

„Was wir in dem Komitee gemacht haben, war entscheidend für den Aufbau einer Koalition gegen Saddam Hussein,“ sagt Randy Scheunemann. „Eine Person von Carls Format, mit seinem Hintergrund, und außerdem aus Schweden, war natürlich sehr bedeutungsvoll. Durch sein Kontaktnetz und dadurch, dass er unterschrieben hatte, bekamen wir mehrere andere mit in den Rat hinein.“Die Ratgeber hatten keine offiziellen Zusammenkünfte und waren nicht für irgendeine Art organisierter Arbeit verantwortlich wie sie sonst bei Think-tanks in den USA üblich sind.

„Was sie vor allem taten,“ setzt Scheuneman fort, „war, uns mehr Stimmen zu verleihen, in mehr Sprachen, in mehr Hauptstädten in Europa. Wir haben nicht nachgezählt, wie viele Interviews jedes unserer Mitglieder des Internationalen Rates gegeben hat, aber es waren unzählige. Unsere Aufgabe war es, ein öffentliches Sprachrohr und eine Art Verbindungszentrale für die Medien zu sein, an die sich Reporter wenden konnten, wenn sie die Entwicklung im Irak schildern wollten. Carl war stark involviert, und er hatte auch selbst eine bedeutende Stimme in der Debatte.“

Bruce Jackson, der Vorsitzende des Komitees, war früher Offizier beim Militärischen Nachrichtendienst gewesen und hatte während seiner Zeit bei Lockheed die Lobbyarbeit für eine Erweiterung der NATO um Polen, Tschechien und Ungarn geleitet. Weitere zehn Länder Osteuropas hatten um Natomitgliedschaft nachgesucht. Jackson machte ihnen klar, dass sich ihre Aussichten verbessern würden, wenn sie Präsident Busch bei seinem Marsch auf Bagdad unterstützen würden. Er half ihnen auch beim Aufsetzen eines Briefes zur Unterstützung des Krieges. Das Weiße Haus verteilte das Dokument an die Massenmedien der Welt über das Committee for the Liberation of Iraq am gleichen Tag, als Colin Powell im Sicherheitsrat, wie es damals hieß, die unbestreitbaren Belege dafür aufzählte, dass Saddam Hussein im Besitz von Massenvernichtungsmitteln sei.

Die Aussage über das „neue Europa“ war ein diplomatischer Erfolg für das Weiße Haus, aber mit Unterstützung aus den betreffenden Ländern war es nicht weit her. Sloveniens Prämieminister erklärte sofort, dass es ein Fehler war, den offenen Brief zu unterzeichnen.

Carl Bildt zweifelte nicht. In einem Artikel zum ersten Jahrestag der Terroranschläge des 11. September 2001 warnte er vor einer schnell wachsenden, immer marginalisierteren und desperateren Bevölkerung in Nordafrika und im Nahen Osten. Die „Explosionen“ bedrohen das Öl, von dem die „Welt“ abhängig ist. Deshalb musste Schweden, meine Bildt, die letzten Reste seiner Neutralitätspolitik aufgeben, sich „an all die internationalen Beratungstische“ setzen und „unserer Verantwortung gerecht werden, auch in Situationen, wo es keinen einfachen Weg gibt“. Es waren der Irak, die NATO und eine militärisch gerüstete EU, an die er dachte.

Carl Bild war beteiligt, als Strategen von beiden Seiten des Atlantiks die Entwicklung berieten. Er wusste, dass die Staatsorgane und Denkfabriken in den USA mit einer zunehmenden Abhängigkeit von den Ölreserven in Saudi-Arabien und Irak kalkulieren. Er wusste, dass man vor dem 11. September über einen politischen Rückzug nachgedacht hatte, eine Erleichterung bei den ökonomischen Sanktionen gegenüber dem Irak, um die Ölinvestitionen im Land in gang zu bringen. Aber jetzt war die Lage anders. Jetzt lancierten die neokonservativen Kriegsaktivisten groß angelegte Pläne für die Region.

Bildt war kein „Schönredner“, der, berauscht von eingebildeter Gerechtigkeit die billigste Rhetorik der eigenen Seite wieder und wieder vorkaut. Er war beunruhigt über das grenzenlose Vertrauen seiner amerikanischen Freunde in die eigene Macht und ihre Verbindungen zur Likud-Regierung in Israel, er hielt Distanz zu den hysterischsten Berichten über Massenvernichtungs-mittel, und er warnte vor den Komplikationen, die zu erwarten waren. Aber als es um den Marsch auf Bagdad ging, hatte er keine Zweifel.

Die Staatssouveränität müsse unberücksichtigt bleiben, erklärte er gegenüber Expressen (schwedisches Boulevard-Blatt. Anm. d. Übers.) im November 2002: „... wir (können) einfach nicht gleichgültig zusehen, wenn Regime entgegen ihren Verpflichtungen und den internationalen Forderungen Massenvernichtungsmittel entwickeln.“ Ganz gewiss war Saddam Hussein keine unmittelbare Gefahr, gab Carl Bildt in der International Herald Tribun im Januar 2003 zu. Aber eine Konfrontation war die einzige Möglichkeit, den schwierigen Zustand zu beenden, indem sich der Irak befand. Die ökönomischen Sanktionen, die die UN beschlossen hatte, meinte er, waren sowohl ineffektiv als auch moralisch zweifelhaft. Und die Aussicht, sie zu beenden, bestand nicht, solange Saddam Hussein an der Macht war. Das hatte das Weiße Haus nämlich beschlossen. Folglich gab es „keine Umkehr“.

Carl Bildt berührte hier die wirkliche Trennlinie in dem diplomatischen Spiel. Der Irak hatte vor langer Zeit seine Massenvernichtungsmittel vernichtet, das ist allgemein bekannt. Aber die USA hatten mit Unterstützung durch Groß-Britannien klargemacht, dass der Ausnahmezustand, in den man das Land versetzt hatte, so lange fortdauern sollte, solange Saddam Hussein an der Macht war, was auch immer die Waffeninspekteure oder andere zu berichten hatten. Mit ihrem Vetorecht im Sicherheitsrat blockierten sie jeden Versuch, das Embargo aufzuheben. Den Verantwortlichen in Bagdad blieb nichts anderes übrig, als durch Schmuggel und politische Manöver zu versuchen, das Sanktionsregime zu umgehen. Worauf hin das Weiße Haus zu einem neuen Krieg rüstete.

Irak befand sich schon in einem kriegsähnlichen Zustand, meinte Carl Bildt. Da war es genauso gut, die amerikanischen Jungs den Job in Bagdad fertig machen zu lassen: „Das Regime von Saddam Hussein zu stürzen, ist der einzige Weg zum Frieden. Die nächsten Wochen müssen der Anfang zum Ende von Jahrzehnten von Krieg sein für das Volk im Irak und für die Region.“

Dreieinhalb Jahre später sitzen die Befreier in ihren Bunkern in Bagdad und schicken Tod und Verderben an die Strände von Euphrat und Tigris. Der Korrespondent Robert Fisk fragt einen irakischen Freund, ob er dennoch froh sei, dass die USA und ihre Alliierten Saddam Hussein gestürzt haben. „Ihr habt ihn gestützt,“ antwortet der Freund. „Ihr habt ihn gestützt, als er in den Iran einmarschierte und wir zu Tausenden starben. Später, nach der Invasion in Kuwait, habt ihr Sanktionen angeordnet, die Tausenden unserer Kinder das Leben gekostet haben. Und jetzt stürzt ihr den Irak in Anarchie. Und jetzt wollt ihr, dass wir dankbar sind?“

Der neu ins Amt gekommene schwedische Außenminister ist, wie die ganze Clique hinter dem Kriegsunternehmen, bestürzt über die Entwicklung. Im Sommer 2005 zitiert er in einem Beitrag in seinem blog einen Freund mit Erfahrung, Henry Kissinger: „Ein Sieg über den Aufruhr ist die einzig sinnvolle Strategie für den Rückzug.“ Carl Bildt stimmt dem zu. Was tut die Regierung?

* Quelle: Homepage des Autors: www.mikaelnyberg.nu

Der Artikel ("VAD CARL BILDT GJORT FÖR KRIGET") erschien auch in der schwedischen Tageszeitung "Aftonbladet", 27. Oktober 2006.

Übersetzung aus dem Schwedischen: Renate Kirstein



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