Vorstädte in Aufruhr
Schweden: Ausschreitungen Jugendlicher an sozialen Brennpunkten in Stockholm
Von Peter Steiniger *
Den dritten Tag in Folge erlebte die 12000-Einwohner-Gemeinde Husby an der nördlichen Peripherie der schwedischen Hauptstadt Stockholm eine Art Ausnahmezustand. In der Nacht zum Mittwoch kam es dort erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hunderten von Jugendlichen und der Polizei. Steine flogen, Schaufenster wurden eingeschlagen. Konfrontationen wurden auch aus anderen Vororten gemeldet, in Jakobsberg wurde eine Polizeistation beschädigt. An mehreren öffentlichen Gebäuden wurden Brände gelegt, etwa 30 Pkw gingen in Flammen auf. Die Arbeit von Rettungskräften und Feuerwehr war erschwert. Die Polizei konnte zehn Jugendliche wegen Krawalldelikten festnehmen, Personen kamen in der dritten Nacht mit Ausschreitungen nicht zu Schaden.
Auslöser des Aufruhrs war der Tod eines 69jährigen Mannes in Husby durch eine Polizeikugel in der vergangenen Woche. Nach offiziellen Angaben war dieser mit einer Machete bewaffnet, und die Beamten handelten in Notwehr. Vertreter der Einwohner fordern eine unabhängige Untersuchung. Husby zählt zu den besonders benachteiligten Vororten Stockholms. Zwei Drittel seiner Bewohner sind nicht in Schweden geboren, landesweit liegt der Einwandereranteil bei 15 Prozent. Hohe Arbeitslosigkeit, steigende Mieten, niedrige Löhne und schlechte Bildungschancen sind für soziale Brennpunkte wie diesen prägend. Das schlechte Image dieser Orte stigmatisiert deren Bewohner. Schweden, das einst als ein Musterland der Integration gelten durfte, hat seit den 1990er Jahren Sozialleistungen massiv abgebaut. Besonders Einwanderer sind von Jugendarbeitslosigkeit betroffen, Husby liegt hier landesweit an der Spitze. In den großen Städten schreitet die soziale Entmischung voran, in deren ärmeren Vororten schrumpft die öffentliche Infrastruktur. Von Stockholms Ressourcen für Kultur entfällt pro Kopf vier mal mehr auf einen City-Bewohner.
Die Initiative Megafonen, die Jugendliche aus Stockholms Satellitenstädten für soziale Anliegen und ihre Rechte organisiert, möchte einem »schiefen Medienbild« im Zusammenhang mit den Vorortrevolten entgegenwirken. Die Zündeleien seien keine geeignete Methode um langfristige Veränderungen zu bewirken, aber eine Reaktion auf gesellschaftliche Defizite und strukturellen Rassismus. Berichtet wird von wiederkehrenden polizeilichen Übergriffen und ausländerfeindliche Beschimpfungen durch Beamte. Megafonen-Aktivistin Quena Soruco weist gegenüber der Zeitschrift Expo auf »die ständigen Erniedrigungen der Husby-Bewohner« hin. »Wir gaben Polizei und Politikern Gelegenheit zum Dialog. Doch sie ignorierten uns total.« Megafonen sammelt nun Geld für geschädigte Autobesitzer.
Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt von der liberal-konservativen Moderaten Sammlungspartei rief zu Ruhe und Ordnung auf. Es zeige sich, daß ernst zu nehmen sei, daß Spannungen entstehen, »in einem Land wie Schweden, wohin Menschen aus verschiedenen Kulturen aus aller Welt kommen«.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Mai 2013
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