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Saudische "Waffe" wogegen?

Königshaus in Riad verweigert Drosselung seiner Ölfördermenge zwecks Preisstabilisierung. Negative Folgen für Russland – und die US-Frackingindustrie

Von Rainer Rupp *

Seit Ende Juni ist der Ölpreis um die Hälfte gefallen, zuletzt regelrecht abgestürzt. Warum? Ist dies das Resultat einer gigantischen Spekulation, oder setzt Saudi-Arabien wieder seine »Ölwaffe« ein? Tatsache ist, dass auf dem hochkomplexen globalen Energiemarkt langfristige Trends wirken, ohne die die derzeitige Entwicklung unmöglich wäre: Schon im Jahr 2005 hat die Weltproduktion von konventionellem Öl (ohne Erdgasflüssigkeiten, Ölsande, Tiefseeöl und das sogenannte »Tight Oil«, das durch Fracking gewonnen wird) aufgehört zu wachsen. Seither ist sie sogar leicht gesunken. Fast das gesamte globale Förderwachstum kommt daher aus teureren, in der Regel weitaus umweltschädlicheren Ressourcen wie Schieferöl- und Teersandvorkommen.

Zugleich haben die USA von Jahr zu Jahr immer weniger Erdöl importiert, weil die inländische Produktion als Resultat eines mit großer Hektik vorangetriebenen Frackingbooms in den Ölfeldern in North Dakota und Texas trotz weltweit sinkender Nachfrage gewaltig gestiegen ist. Kurz gesagt: Seit 2007 ist das globale Wirtschaftswachstum ins Stocken geraten, allen Nachrichten von der der »wirtschaftlichen Erholung« in den Konzernmedien zum Trotz. In China liegt es mit immerhin noch sieben Prozent um etwa ein Drittel unter dem Durchschnitt des vorangegangenen Jahrzehnts, in Japan und Europa gibt es seit Jahren kaum noch Wachstum, teilweise sogar Schrumpfung, und in den Schwellenländern sieht es nicht viel besser aus. Das Gesamtbild ist also geprägt von sinkender Nachfrage und einem »Überangebot«, das zu einem Teil aus teuer gefördertem US-Öl besteht.

Wenn sich in der Vergangenheit ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Weltrohölmarkt entwickelt hatte, war es in der Regel Saudi-Arabien, der weltweit größte Ölexporteur, der unter starkem US-Einfluss die Förderung nach oben oder unten anpasste, um die Preise zu stabilisieren. Aber dieses Mal haben sich die Saudis geweigert, die Produktion zu senken, wodurch der Preissturz eingeleitet wurde. Auch wiederholte Treffen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) mit dem Zweck, sich auf Förderkürzungen zu einigen, sind an den Saudis gescheitert. Offenbar will das Königshaus in Riad die Preise zumindest vorerst niedrighalten. Das hat natürlich die Spekulationen angeheizt, dass die Saudis Russland und Iran wegen deren Unterstützung der Regierung von Präsident Baschar Al-Assad in Syrien bestrafen wollen. Zugleich wolle das streng sunnitische saudische Königshaus den schiitischen Iran schädigen, seinen in der Region an Einfluss gewinnenden Hauptfeind. Tatsächlich sorgen die niedrigen Ölpreise in Teheran für erhebliche Probleme.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Saudi-Arabien die »Ölwaffe« benutzt, um seine außenpolitischen Ziele durchzusetzen. Im Jahr 1973 überzeugte der ägyptische Präsident Anwar Al-Sadat den saudischen König Faisal, seine Ölproduktion zu drosseln, um die USA für ihre Unterstützung der israelischen Aggressionen gegen die arabischen Staaten zu bestrafen. Es funktionierte, und zugleich vervierfachten sich die Preise durch den »Ölschock«. 1986 geschah es wieder, als die von Saudi-Arabien dominierte OPEC die Preise fallen ließ, um Russland aus den westlichen Märkten zu verdrängen. 1990 kam es zu einer ähnlichen Entwicklung. Zunehmend sahen die Saudis in Russland eine Bedrohung ihrer Vorherrschaft auf dem globalen Ölmarkt, und im Jahr 1998 gelang es ihnen, den Preis von 25 auf zwölf Dollar pro Fass zu halbieren und so Russland in die Staatspleite zu zwingen.

Angesichts der Weltlage ist also die derzeit in vielen Medien und im Internet kursierende Vermutung eines erneuten Einsatzes der saudischen »Ölwaffe« gegen Russland nicht ganz abwegig, zumal Russland dabei ist, in Asien erhebliche Marktanteile zu gewinnen. Allerdings erscheint die Vermutung von Finanzmarktkreisen, darunter das Wall Street Journal, es gebe eine saudische Kollusion (geheime Absprache) mit Washington, durch die Moskau erneut mit niedrigen Energiepreisen in die Knie gezwungen werden soll, doch etwas weit hergeholt. Denn die aktuelle saudische Politik ist auch für die Frackingindustrie in den USA enorm kostspielig.

Zugleich droht bei einer Massenpleite von Frackingunternehmen der US-Finanzbranche ein neues Desaster, denn dann müsste sie mit Schrottanleihen in Höhe von 550 Milliarden Dollar, die in der Schieferölproduktion stecken, zurechtkommen. Daher scheint die saudische Niedrigpreispolitik auch darauf zu zielen, die zu hohen Kosten produzierenden US-Anbieter aus dem Markt zu werfen und die mit Niedrigzinsen aufgeblähte »Frackingblase« zum Platzen zu bringen.

* Aus: junge Welt, 27. Dezember 2014


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