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Taumelnde Petrokraten

Mit Repression und Bestechungsgeld versucht Saudi-Arabiens Herrscherclan, aufkommende Kritik im Keim zu ersticken. Doch die Strukturprobleme löst das nicht

Von Raoul Rigault *

Manche Kommentatoren betrachten die Revolten und Revolutionen im Mittleren Osten als »arabisches 1848«. Sollte dieser Vergleich stimmen, dann spielt Saudi-Arabien heute dieselbe Rolle wie damals Rußland als wichtigste Bastion der Reaktion. Riad bildet nicht nur die sichere Zufluchtsstätte des mit internationalem Haftbefehl gesuchten ehemaligen tunesischen Diktator und Kleptokraten Ben Ali, sondern hatte durch die Entsendung von tausend Soldaten ins benachbarte Bahrein auch erheblichen Anteil an der Niederschlagung der dortigen Protestbewegung.

In seinem Heimatland versucht es der 86 Jahre alte König Abdullah mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Ende Februar verfügte er eine 15prozentige Gehaltserhöhung für alle Staatsangestellten. Dazu kamen elf Milliarden Dollar für zinsfreie Kredite an Saudis die Häuser bauen, heiraten oder Kleinunternehmen gründen wollen. Ferner wurden höhere Stipen­dien für saudische Studenten im Ausland sowie höhere Zahlungen an Klubs, Sportvereine und Wohlfahrtsverbände angekündigt. Motiv für die Großzügigkeit war offensichtlich die erste, von den Ereignissen auf Bahrain stimulierte, Protestdemonstration in der seit jeher unruhigen Ostprovinz rund um das mehrheitlich von der schiitischen Minderheit bewohnte Städtchen Awamiya.

Schwaches Wachstum

Das »königliche Bestechungsgeld«, wie es nicht nur die Neue Zürcher Zeitung nannte, konnte am 4. und 11. März lautstarke Straßenproteste in der wichtigten Hafenstadt Katif und der Oase Al-Ahsa allerdings nicht verhindern. Dabei wurden demokratische Reformen, die Einführung einer konstitutionellen statt der herrschenden absoluten Monarchie und die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Nachdem zunächst mehrere Inhaftierte freikamen, schoß die Polizei beim zweiten Mal in die Menge. Außerdem wurden 15000 zusätzliche Nationalgardisten in die Region entsandt, um das geltende Versammlungsverbot durchzusetzen. Schuld an der Nervosität des Monarchenclans sind auch die regimekritischen Petitionen und Appelle der Facebook-Gruppen »Koalition der Freien Jugend« und »Revolution der Sehnsucht« im Internet, die bislang von 30000 Einwohnern mit vollem Namen unterstützt werden.

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, daß es auch im scheinbar märchenhaft reichen Saudi-Arabien gute Gründe für dieses ungewohnt starke Rumoren gibt. Zwar ist der Wüstenstaat weltgrößter Erdölproduzent und die größte Volkswirtschaft im arabischen Raum, doch hinter diesen Superlativen verbergen sich erhebliche sozio-ökonomische und politische Strukturprobleme. So sank das Bruttoinlandsprodukt im Krisenjahr 2009, aufgrund der Talfahrt in den westlichen Metropolen und dem damit verbundenen Rückgang des Energieverbrauchs, von 476,9 auf 376,3 Milliarden Dollar. Mit einem mageren Plus von geschätzt 0,1 Prozent konnte eine Rezession 2009 auch in Riad nur knapp vermieden werden. Schon 2006 bis 2008 lag das Wachstum nur bei durchschnittlich drei Prozent. Zu wenig für ein Land mit einem Bevölkerungswachstum von 2,3 Prozent im Jahr. Pro Kopf der 25 Millionen Bewohner berechnet, rangiert das BIP, laut Weltbank, mit 17700 Dollar deutlich hinter Kuwait (43930 $), den Vereinigten Arabischen Emiraten (26400 $) und selbst dem Oman (17890 $).

Obendrein beläuft sich die offizielle Erwerbslosenquote für Einheimische auf 10,5 Prozent. Die gilt allerdings nur für männliche Saudis. Der Frauenanteil unter den inländischen Beschäftigten beträgt kaum fünf Prozent. Seriöse Schätzungen gehen bereits bei den Männern von 25 bis 30 Prozent Arbeitslosen aus. Unter den 15 bis 24jährigen sollen es laut BBC sogar 40 Prozent sein. Das im April 2006 in Kraft getretene neue Arbeitsmarktgesetz strebt zwar eine »Saudisierungsquote« von drei Viertel der jeweiligen Belegschaften an, doch fruchtet diese fragwürdige Maßnahme bislang nicht. Die Schmutzarbeit der knapp sieben Millionen Migranten aus Pakistan, Indien, Bangladesch und anderen asiatischen Armenhäusern will von den Angestammten kaum jemand machen, da der (inoffizielle) Mindestlohn bei umgerechnet 600 Euro im Monat liegt.

Keine Diversifizierung

Zugleich fehlt der eingeborenen Jugend häufig die notwendige Bildung für qualifiziertere Tätigkeiten. Angesichts eines Altersdurchschnitts, der mit 25 Jahren noch vier Jahre niedriger als der tunesische ist, besitzt eine derartige »No Future«-Perspektive enorme soziale Sprengkraft. Zumal den Betroffenen durchaus bekannt ist, daß es an Reichtum nicht mangelt. Mit Devisenreserven von 455,7 Milliarden Dollar verfügt die Zentralbank über einen der beachtlichsten Staatsschätze der Welt. Parallel dazu kommen allein die 500 reichsten Saudis auf ein Gesamtvermögen von 260 Milliarden US-Dollar, was ungefähr der gesamten Wirtschaftsleistung des Jahres 2009 entspricht.

Die Forderung nach einer Abschaffung der Selbstherrschaft der altersschwachen Monarchenfamilie und ihres Hofstaats zielt daher nicht nur auf die Verwirklichung weitreichender demokratischer Freiheiten, sondern auch auf grundlegende Umverteilung und eine andere Wirtschaftspolitik. Die Reformprojekte einer ökonomischen »Diversifizierung« haben sich, den dafür ausgegebenen Summen zum Trotz, immer wieder als Seifenblasen erwiesen. So plante man, mit einer »grünen Revolution« zum Agrarexporteur zu werden.

In Wahrheit trägt die Landwirtschaft nur klägliche drei Prozent zum BIP bei und zählen Nahrungsmittel mit 15 Prozent weiterhin zu den wichtigsten Importgütern. Wenig verwunderlich auch, daß die großspurige Idee einer umfangreichen eigenen Automobilproduktion angesichts der chinesischen, indonesischen und anderer Billigkonkurrenz sang- und klanglos im Wüstensand versickerte. Die Abhängigkeit vom Rohstoffexport ist nach wie vor allumfassend. 84,8 Prozent aller Ausfuhrgüter sind Erdöl und Erdgas, weitere 7,4 Prozent petrochemische Erzeugnisse. Diese Monostruktur aufzubrechen und umzuwälzen, wird ebenso wichtig sein wie der Sturz der rissig gewordenen Diktatur des Monarchen Abdullah und seines ebenfalls 80jährigen Halbbruders Prinz Sultan.

* Aus: junge Welt, 22. März 2011


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