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Gesteinigt wird nicht mehr

Bei Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien schaut der Westen weg

Von Gerrit Hoekman *

In der patriarchalen Diktatur in Saudi-Arabien ist die Männerwelt noch in Ordnung. Keine Frau wird jemals beim Einparken einen Kratzer in den Lack der teuren Luxuskarossen machen, denn das Autofahren ist dem weiblichen Geschlecht bis heute schlichtweg verboten. Wenn eine Frau hinter dem Lenkrad erwischt wird, muß sie mit zehn Peitschenhieben rechnen. Trotzdem mißachten immer mehr Frauen im Wüstenstaat dieses Verbot und kämpfen für ihr Recht auf den Führerschein. Für den vergangenen Sonntag hatte die Bewegung »Women2Drive« wieder alle Frauen des Königreichs, die eine ausländische Fahrerlaubnis besitzen, aufgerufen, unerlaubt eine Runde um den Block zu drehen. Gleichzeitig reichten sie eine Petition bei König Abdallah ein, in der sie den Monarchen höflichst bitten, er möge ihnen das Autofahren gestatten und Fahrschulen für Frauen einrichten. Schon im letzten Jahr hatten sich laut Amnesty International viele Frauen an der Aktion beteiligt. Einige wurden verhaftet und mußten auf der Wache schriftlich versprechen, nie wieder Auto zu fahren.

Doch es geht nicht nur um das Recht, Gas zu geben. Die Situation der Frauen in Saudi-Arabien ist grundsätzlich erbärmlich. Für so gut wie jede Entscheidung im Leben, ob sie arbeiten gehen, ins Ausland reisen oder studieren wollen, brauchen Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormundes. Das ist in der Regel bis zur Heirat der Vater, danach der Ehemann. Wenn der Vater tot ist, springt oft der älteste Bruder ein. Immerhin: 2015 sollen Frauen zum ersten Mal bei der Kommunalwahl, der einzigen Abstimmung in Saudi-Arabien, teilnehmen dürfen.

Unterdessen spielt sich Riad in der Arabischen Liga als eifrigster Verfechter von Freiheit und Demokratie in Syrien auf und unterstützt großzügig zumindest mit Geld und Medienmacht die Aufständischen gegen Präsident Baschar Al-Assad. Der große, international ausstrahlende Fernsehsender Al-Arabiya hat seinen Sitz in der saudischen Hauptstadt. Es gibt auch Hinweise darauf, daß das Herrscherhaus die syrischen Freischärler mit Waffen versorgt.

Während Europa und die USA Damaskus an den Pranger stellen, rühren sie keinen Finger gegen die Unterdrückung in Saudi-Arabien. Dabei stellt auch der jüngste Länderbericht von Amnesty International für das Jahr 2011 dem Land ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: »Geplante Demonstrationen, die von den Protestbewegungen in anderen arabischen Ländern inspiriert waren, wurden rücksichtslos unterdrückt. Hunderte Menschen, die sich an Protestaktionen beteiligten oder es wagten, sich für Reformen auszusprechen, wurden festgenommen.« Insgesamt sollen Tausende Andersdenkende in den Gefängnissen schmoren, manche schon seit Jahren, teilweise ohne Urteil. »Folter und grob unfaire Gerichtsverfahren waren noch immer an der Tagesordnung«, stellt die Menschenrechtsorganisation fest.

Viele der Verfolgten gehören der religiösen Minderheit der Schiiten an, andere sind einfach nur Reformer. Wenn es mal zu einer Gerichtsverhandlung kommt, sind die Vorwürfe oft bizarr. Sieben Männer, die im vergangenen Jahr die erste Partei des Landes gründen wollten, wurden unter anderem wegen »Ungehorsam gegen den Herrscher« zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch die Mitglieder von Menschenrechtsgruppen geraten regelmäßig in das Visier der Justiz. Ihnen wird der Besitz verbotener Bücher zur Last gelegt oder vorgeworfen, dem Ansehen des Landes zu schaden.

Berüchtigt ist Saudi-Arabien wegen seiner grausamen Strafen, zum Beispiel dem öffentlichen Auspeitschen und der Amputation von Händen und Füßen. Mindestens 82 Menschen wurden im letzten Jahr hingerichtet, darunter fünf Frauen und 28 Ausländer. »Das bedeutet einen drastischen Anstieg der Hinrichtungen gegenüber den beiden vorangegangenen Jahren«, so Amnesty. Mindestens 250 Menschen warten in den Gefängnissen noch auf ihre Exekution. Grund für die Todesstrafe können nicht nur Mord oder Drogenbesitz sein, sondern auch der »Abfall vom Glauben«. Ein Sudanese wurde im letzten September enthauptet, weil er eine andere Person mit einem Fluch belegt haben soll, berichtete Amnesty. Da kann schon als Fortschritt gelten, daß in Saudi-Arabien inzwischen zumindest keine Menschen mehr gesteinigt werden.

Das Königshaus unterdrückt nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern half vor einem Jahr auch dem Nachbarland Bahrain, eine friedliche Demokratiebewegung niederzuschlagen. Im März 2011 überquerten 1200 saudische Soldaten mit Panzern den König-Fahd-Damm, der den Inselstaat Bahrain mit dem Festland verbindet. Es gab Tote und Verletzte. Nun versucht Saudi-Arabien, seine Vorstellungen von »Demokratie« mittels islamistischer Rebellen auch ins westlich orientierte Syrien zu exportieren. Damit dort demnächst Männer ebenfalls nicht mehr Angst vor dem Verfall von Sitte und Moral haben müssen, weil Frauen Auto fahren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Juni 2012


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