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Saudi-Arabien: Der Terror kehrt heim

Zu den Bombenanschlägen in der saudischen Hauptstadt Riad

In der Schweizer Wochenzeitung WoZ erschien ein Artikel, den Laurenz Moor nach den Bombenanschlägen vom 13. Mai in Riad (Hauptstadt von Saudi-Arabien) schrieb. Wir dokumentieren den Beitrag.


Von Laurenz Moor, Riad

Die Bombenanschläge in der saudischen Hauptstadt lassen manche Saudis erstaunlich gleichgültig.

Die meisten WestlerInnen in Riad haben davon geträumt, ein Häuschen in der Al-Hamra-Wohnanlage zu beziehen; amerikanischen Luxus und Vorstadtidylle mitten im ansonsten öden Wüstenkonglomerat konnten sich allerdings nur die betuchten AusländerInnen leisten. Doch am Montagabend hat eine von insgesamt vier gigantischen Sprengladungen die Idylle zerfetzt. Die Selbstmordattentäter haben mit ihren fahrbaren Bomben drei Residenzviertel und die Niederlassung einer US-saudischen Firma weitgehend verwüstet.

Fast ebenso schockierend wie die Nachrichten selbst sind am Tag nach den Anschlägen die Reaktionen in saudischen Amtsstuben: Teils trifft man auf erstaunliche Gleichgültigkeit (man widmet, wie in saudischen Behörden üblich, den Grossteil der Aufmerksamkeit dem endlosen Aktensortieren, Computerspielen oder belanglosen Gesprächen bei Kaffee und Tee), teils hört man Beteuerungen, die Amerikaner seien die wirklichen Hassobjekte hier im Lande, und Deutsche beispielsweise seien durchaus willkommen. Vor lauter Verachtung für den ungewollten grossen Bruder USA scheinen manche Saudis mögliche politische Auswirkungen der Attacken schlicht zu ignorieren. Westliche AusländerInnen sind umso sprachloser, während die Opferzahlen steigen und man von den Botschaften per E-Mail nur spärliche Informationen erhält. Gleichzeitig nerven in westlichen Büros Fernsehsender mit ständigen Anrufen.

Riad selbst ist für saudische Verhältnisse am Morgen nach dem Terror relativ ruhig; trotz der deutlicheren Polizeipräsenz ist der Dienstag doch irgendwie ein Tag wie jeder andere. Nur abends taucht die Stadtbeleuchtung zusammen mit einem leichten Sandsturm Riad in ein rötliches Glimmern, und in den ausgestorbenen Strassen stellt sich eine seltsam beklommene Endzeitstimmung ein.

Die Terroranschläge galten den Amerikanern vor Ort, noch mehr aber der amerikanischen Aussenpolitik und der US-Kultur an sich, dem scheinbaren Würgegriff Amerikas um das Land der heiligen Stätten. Dabei ist Saudi-Arabien ein Land, in dem es pro Kopf mehr McDonald’s und US-Pickups geben dürfte als in den USA, und das in Wirtschaft und Verwaltung immer noch schwer von Know-how und Technologie aus den USA abhängt.

Obwohl der islamistische Terror erst mehr als eineinhalb Jahre nach dem 11. September ins Königreich zurückkehrt, ist er nicht ohne Vorgeschichte: 1996 starben bei einem Anschlag auf einen US-Militärkomplex in al-Chobar neunzehn US-Bürger. Seitdem verübten Unbekannte einzelne Attacken auf WestlerInnen. Am 6. Mai fand die saudische Polizei eine grosse Sprengstoff- und Waffensammlung – in offiziöser Manier in der gelenkten saudischen Presse als Erfolg gefeiert, obwohl sämtliche siebzehn Verdächtigen nach einer Schiesserei mit der Polizei entkommen waren. Das US-Aussenministerium hatte Anschläge erwartet und US-BürgerInnen zur Ausreise angehalten.

Als die Verteidigungsminister Prinz Sultan bin Abdalasis und Donald Rumsfeld Ende April den weitgehenden Abzug des US-Militärs verkündeten, war die verheerende Aktion wahrscheinlich schon längst geplant. Fraglich auch, ob die überraschend schnelle militärische Entflechtung viel hätte verhindern können, denn die strategische und technologische Abhängigkeit von der verhassten amerikanischen Schutzmacht ist damit nicht aus der Welt geschafft. Nach wie vor halten zehntausende von US-Ingenieuren, Businessleuten und Beratern im Mittelbau das saudische System am Laufen, und 400 US-Militärausbildner bleiben im Land.

Eine Verbindung der Attentäter zum Al-Kaida-Netzwerk darf vermutet werden, auch jenseits des Pauschalverdachts, mit dem US-Aussenminister Colin Powell schnell zur Stelle war. Al-Kaidas zentrale Forderung ist seit langem, die ungläubigen Besatzer aus dem Land der heiligen Stätten zu vertreiben. Dem alternden Prinzenregime fällt es schwer, den islamistischen Sumpf im eigenen Land auszutrocknen, ist die Herrschaftsideologie doch ein vorgeblich puritanischer Islam mit oft fremdenfeindlichen Auswüchsen. Von den wenigen öffentlichen Versammlungsstätten im Königreich, die das Regime zulässt, lassen sich die Moscheen am wenigsten leicht kontrollieren.

Aus: WoZ, 15. Mai 2003


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