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Unruhen auf den Salomonen

Nach heftigem Streit um einen neuen Premier greift Australien ein

Von Volker Boege, Brisbane*

Schwere Unruhen erschüttern Honiara, die Hauptstadt des südpazifischen Inselstaats Salomonen. Am Mittwoch setzte sich australisches Militär in Marsch, um für Ordnung zu sorgen.

Auslöser der Unruhen war am Dienstag die Wahl eines neuen Premiers. Im Parlament setzte sich Vizeregierungschef Snyder Rini gegen zwei Konkurrenten durch, worauf unmittelbar danach Anhänger eines der Gegenkandidaten vor dem Parlamentsgebäude gegen das Votum protestierten, von Stimmenkauf sprachen und Rinis sofortigen Rücktritt forderten. Die auf mehr als tausend Menschen angewachsene Menge setzte Autos von Abgeordneten in Brand und drohte, das Parlament zu stürmen. Australische Polizisten, die auf den Salomonen eingesetzt sind, setzten Tränengas ein. Der frisch gewählte Ministerpräsident und die Abgeordneten saßen stundenlang im Parlamentsgebäude fest. Später verlagerten sich die Auseinandersetzungen ins Zentrum der Hauptstadt, wo zahlreiche Geschäfte geplündert und gebrandschatzt wurden. In der Nacht zum Mittwoch wurde Honiaras »Chinatown« weitgehend abgebrannt, denn Rini gilt als Strohmann chinesischer Geschäftsleute, die erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben im Lande haben.

Am Mittwochmorgen kündigte der australische Außenminister Alexander Downer dann an, dass Militär und zusätzliche Polizei nach Honiara verlegt würden. Die Rede ist derzeit von 110 Soldaten und 70 Polizisten.

Am 4. April waren die 50 Abgeordnete des Parlaments gewählt worden. Da es auf den Salomonen kein festes Parteiengefüge gibt und die wenigen existierenden Parteien lediglich lose Personenbündnisse auf Zeit sind, ließ der Wahlausgang keine Schlüsse auf die künftige Regierung zu, zumal die Hälfte der Gewählten Parlamentsneulinge waren und 18 parteilose Kandidaten einzogen.

Die Zeit zwischen diesem Urnengang und der Wahl des Premiers war gekennzeichnet von heftigem Gerangel hinter den Kulissen und mehrfach wechselnden Allianzbildungen. Schließlich gelang es Snyder Rini, eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu bringen – mit unsauberen Methoden, wie seine Gegner meinen. Rini, der auch einmal Finanzminister war, soll in großem Umfang in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.

Die Parlamentswahlen selbst waren korrekt verlaufen. Es hatte keine größeren Zwischenfälle gegeben, und die internationalen Wahlbeobachter hatten das Prädikat »frei und fair« verliehen. Es waren die ersten Wahlen seit einer massiven von Australien geführten Militärintervention vor knapp drei Jahren (RAMSI – Regional Assistance Mission to the Solomon Islands), die in dem krisengeschüttelten Inselstaat Ruhe und Ordnung wieder herstellen sollte.

Vorausgegangen war der Intervention ein mehrjähriger interner Krieg zwischen rivalisierenden Milizen auf Guadalcanal, der Hauptinsel der Salomonen. Im Laufe des Konflikts hatte sich die Polizei (Militär besitzt das Land nicht) weitgehend aufgelöst, die meisten Beamten schlossen sich den irregulären bewaffneten Gruppierungen an. Die Regierung verlor die Kontrolle über das Land und rief schließlich nach Hilfe von außen.

Mehrere tausend australische Soldaten und Polizisten, begleitet von kleineren Kontingenten aus Neuseeland, Papua-Neuguinea und anderen pazifischen Staaten, griffen im Juli 2003 ein, und es gelang ihnen relativ rasch, die Milizen zu entwaffnen, sie aufzulösen und deren Führer zu verhaften.

Australische Beamte übernahmen Schlüsselpositionen in Regierung und Verwaltung, und australische Polizisten sorgten für die Sicherheit im Lande. Die Masse des australischen Militärs konnte schrittweise wieder abgezogen werden. Doch Verwaltung und Polizei sind nach wie vor australisch dominiert. Knapp 300 australische Polizisten tun gegenwärtig Dienst auf den Salomonen. Canberra verpflichtete sich zu einem langfristigen Engagement. Die Rede ist von mindestens zehn Jahren.

Kritiker bemängeln jedoch eine Bevormundung durch die RAMSI, die den Bewohnern die Selbstbestimmung über ihre eigenen Angelegenheiten verwehrt. Zudem verweisen sie darauf, dass wenig getan wird, um die Ursachen der Konflikte auf den Salomonen zu beseitigen. Nachdem die Mehrheit der Bevölkerung ursprünglich die Intervention begrüßt hatte, macht sich heute zusehends Unzufriedenheit mit der RAMSI breit. Und deren Ausdruck sind auch die nunmehrigen Unruhen. Noch handelt es sich offensichtlich um spontane Proteste, die von den australischen Ordnungskräften relativ leicht unterdrückt werden können. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die derzeitigen Auseinandersetzungen den Beginn eines organisierten gewaltsamen Widerstandes gegen die australische Präsenz markieren.

* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2006


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