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Verhärtete Fronten - Die Salomonen 11 Monate nach dem Bürgerkrieg

Streit um Bodenrechte - Jugendliche Milizen weiter unter Waffen

Am 15. Oktober 2000 haben die Bürgerkriegsparteien auf den Salomoninseln im australischen Townsville einen Waffenstillstand vereinbart. Damit war zwar formell der Krieg beendet, der Konflikt indessen schwelt weiter, weil die Konfliktursachen keineswegs beseitigt wurden. In einer längeren Analyse für die Neue Zürcher Zeitung vom 9. Mai 2001 geht der Autor mit dem Kürzel O.I. den wahren Ursachen auf den Grund. Im Zentrum der Analyse stehen die Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern der Insel Guadalcanal, auf der die Landeshauptstadt Honiara liegt, und den zahlreichen Einwanderern von der Insel Malaita. Die Menschen aus Malaita gelten (bzw. halten sich selbst) für besonders tüchtig. Sie dominieren vor allem den „modernen Sektor“, der in der Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist.

Ungeklärte Landfrage

Der NZZ zufolge geht es bei den Auseinandersetzungen, die im vergangenen Jahr dramatische Formen angenommen haben (O.I. schreibt von „blutigen Wirren“), im Kern um die „Landfrage“. Die Einwanderer aus Malaita haben sich auf Guadalcanal oft nach eigenem Gutdünken niedergelassen und sich über das in Melanesien generell wichtige, traditionelle Bodenrecht hinweggesetzt.“ So begannen 1998 die Guadalcanesen mit Hilfe einer eigenen Miliz, dem Isatabu Freedom Movement (IFM), die Malaitaner aus Honiara zu vertreiben. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Vor allem jugendliche Einwanderer gründeten die „Malaita Eagle Force“ (MEF).  Sie hatte bedeutende Stützpunkte im Polizeiapparat, „weil auch die Polizei weitgehend aus Malaitanern bestand“. So war es den MEF möglich, am 5. Juni 2000 das Waffenarsenal in Honiara zu stürmen und mit über anderthalbtausend geraubten modernen Gewehren den Spieß umzukehren. Der bewaffneten Übermacht ergab sich nach nur wenigen Tagen der amtierende Premierminister Ulufa'alu. „Der Führer der Eagles, Nori, installierte mit Sogavare einen seiner Miliz genehmen neuen Regierungschef. (Ein Porträt von Nori befindet sich am Ende dieses Beitrags.) Die MEF-Milizionäre brannten den Besitz ihrer Gegner in Honiara und Umgebung nieder und „stahlen so ziemlich alles, was nicht niet- und nagelfest war. Zahlreiche Ruinen zeugen noch heute vom Wüten der MEF, so im Zentrum der Hauptstadt das bis aufs Gerippe verkohlte Verwaltungsgebäude der Provinz Guadalcanal.“ Über die Zahl der Todesopfer gibt es bis heute keine endgültige Klarheit. In dem NZ-Artikel heißt es, insgesamt „sollen auf beiden Seiten rund hundert Personen umgekommen sein“.

Der Waffenstillstand von Townsville sieht eine Entwaffnung der Milizionäre vor. Davon sei bisher aber ebenso wenig zu spüren wie vom Wiederaufbau zahlreicher Gebäude im Zentrum der Stadt, die während der Kämpfe im Juni 2000 in Schutt und Asche gelegt worden waren. Auch die Rückkehr der Vertriebenen und Geflohenen kommt nicht voran. Dies betrifft nicht nur die Guadalcanalesen, die sich nicht mehr zurück in die Stadt trauen. Betroffen sind auch die „siegreichen“ Malaiter. Von rund 20.000 vor dem Juni 2000 vertriebenen Malaitern ist die Rede. Sie blieben bis heute auf ihrer „ohnehin übervölkerten Heimatinsel stecken“. Dabei ist zu beobachten, dass insbesondere jüngere Milizionäre am Waffentragen und der damit verbundenen Machtposition Gefallen gefunden haben. David Oeta, Provinzvorsteher von Malaita im Inselhauptort Auki wird mit den Worten zitiert: „Gewehre verhelfen den Jungen zu Geld und verleihen ihnen ein Machtgefühl. Sie lieben ihre Gewehre mehr als ihre Frauen. Sie lassen uns wissen, wer die reichsten sind. Sie kurven in Hilux-Geländewagen herum.“ Bis Dezember letzten Jahres hätten Waffen und geraubte Güter (z.B. Geländewagen) abgeliefert werden müssen, damit die Milizionäre in den Genuss einer Amnestie kommen. Passiert war aber bis zu diesem Zeitpunkt und auch danach augenscheinlich wenig: Das Team von Friedensüberwachern (PMC-Peace Monitoring Council), dem Beamte aus Neuseeland, Australien, Tong und den Cookinseln angehören, teilte mit, dass erst 880 Waffen abgegeben worden seien, wovon nur ein Viertel automatische Waffen seien. Zwischen 500 und 1.200 automatische Waffen seien aber noch im Umlauf. Außerdem seien in den letzten Wochen weitere Waffen aus Polizeiarsenalen verschwunden.

Die Regierung rüstet auf

Die Waffenstillstandsvereinbarungen werden aber auch von der Regierung selbst gröblich verletzt. Die MEF-freundliche Polizei hat ihre Sturmgewehre ebenfalls nicht abgegeben. Im Gegenteil, die staatliche Polizei (Police Field Force) soll offenbar zu einer regelrechten Armee umgebaut werden. Im NZZ-Artikel heißt es: “Neuerdings heisst diese Spezialeinheit nur noch Field Force, und sie soll das Rückgrat einer künftigen Armee bilden, obwohl die Salomonen keine äusseren Feinde haben. Sachkundige Beobachter behaupten, die Field Force unterstehe direkt dem Chef der Regierungsfraktion im Parlament, Dausabea. Er gilt als der eigentliche starke Mann, der hinter Premier Sogavare die Fäden zieht.“

Doch das ist nocht nicht alles an „Aufrüstung“. „Zu den rund 2.000 Polizisten und der 130-köpfigen Field Force sind 1.900 Special Constables gestossen. Es handelt sich dabei um ausgemusterte Milizionäre, die vom Staat eine Abfindung von 1.000 Salomonen-Dollar (350 Franken) erhalten haben; sinnigerweise bezeichnen sie dieses Geld als Beute. Auch die an Guadalcanal und Malaita erfolgten Kompensationszahlungen in Millionenhöhe sind von den ehemaligen Kämpfern behändigt (schweizerisch für angeeignet, Anm. Pst) worden. Es ist ein Klima entstanden, in dem nun jedermann Kompensationszahlungen fordert.“ Wie wir es schon von der Polizei kennen, setzen sich auch die Special Constable zu etwa zwei Dritteln aus ehemaligen „Eagles“, also malaitischen Milizen zusammen.

Natürlich gibt es auch auf Seiten der Guadacanal-Miliz IFM mafiose Strukturen und "Kriegsgewinnler". Ob Harold Keke, bekannt geworden als Bankräuber und Mitbegründer der IFM, dazu zu zählen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Fest steht nur, dass er sich weigert das Abkommen von Townsville zu unterzeichnen. Der jetzigen IFM-Führung wirft er Verrat an Guadalcanal vor. Inzwischen wird er von der Field Force, das heißt von manchen seiner früheren Kameraden, verfolgt. Mit 200 Mitkämpfern hält sich Keke an der Südküste Guadalcanals versteckt. Doch Keke hat auch Fürsprecher. Berichtet wird in dem NZZ-Artikel von Wilson Basile, stellvertretender Chefbruder der Melanesian Brotherhood. Dieser anglikanische Orden genießt großen Respekt, weil er sich im Bürgerkrieg neben dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) als einzige Institution zwischen den Fronten bewegte. Der "für seine Unerschrockenheit bekannte" Basile wird wie folgt zitiert: "Wenn sie Keke bodigen, hat Guadalcanal keine Stimme mehr. Politiker wie Nori, Dausabea und Alibua haben sich der Milizen bedient. Das sind mafiose Typen. Wir nennen sie die kleveren Teufel".

Die Wirtschaft am Boden

Die Bedingungen für eine Besserung der politischen Lage im Land sind äußerst schlecht. Dies liegt nicht zuletzt an der katastrophalen wirtschaftlichen Lage. Hierzu heißt es in der NZZ u.a: "Die Zentralbank beziffert die durch die Wirren entstandene wirtschaftliche Einbusse mit 18 Prozent. Die realen Verluste dürften aber rund doppelt so hoch sein. Allein mit der Einstellung des Betriebs der riesigen Ölpalmenplantage östlich von Honiara und der Stilllegung des Bergwerks Gold Ridge - beide Betriebe haben je rund 20 Prozent zum Bruttoinlandprodukt beigetragen - ist der wirtschaftliche Ausfall enorm. Die Wiedereröffnung der beiden Anlagen wird zusätzlich erschwert, weil die Landbesitzer die Bedingungen neu aushandeln wollen. Die Misere zeigt sich auch in kleinen Dingen; es gibt keine Eier mehr zu kaufen, weil praktisch alle Hühner verspeist worden sind. Sechs Monate nach Unterzeichnung des Abkommens von Townsville wird klar, wie unrealistisch die 'Sieger' (die MEF und ihr Führer, der Anwalt Nori) ihre Bedingungen durchgeboxt haben. Gemäss dem Vertragswerk müsste in Malaita praktisch jede in Honiara bestehende wirtschaftliche Anlage dupliziert werden: ein internationaler Flughafen, eine Palmölplantage, eine Fischkonservenfabrik. Einstweilen ist Malaita aber nicht einmal in der Lage, die Wasserversorgung im Hauptort Auki aufrechtzuerhalten, und man erinnert sich dort wehmütig an die Zeiten, als Touristen die bezaubernde Lagune von Langa Langa aufsuchten.

... In diesem verheerenden wirtschaftlichen Umfeld hat die Regierung Ende April ein unrealistisches Budget präsentiert. Vorgesehen sind Ausgaben von umgerechnet rund 220 Millionen Franken, wovon zwei Drittel nicht durch Einnahmengedeckt sind. Bisher hat die Regierung keine Bereitschaft gezeigt, die aufgeblasene Verwaltung zu restrukturieren. Praktisch jeder Abgeordnete des Regierungslagers bekleidet gleichzeitig ein lukratives Ministeramt. Die niedere Beamtenschaft aber wartet oft vergeblich auf den Zahltag, und fast alle Telefonanschlüsse der Regierung sind wegen Nichtbezahlung gekappt. Das Kabinett Sogavare vertraut einfach auf die internationalen Geber. Deren Gutmütigkeit wird gleichzeitig mit dem Ansinnen herausgefordert, die Verfassung zu ändern und die Amtszeit des Parlaments um ein Jahr auf fünf Jahre zu verlängern. Da Sogavare mit bewaffnetem Druck an die Macht gekommen ist, drängen die Geberländer auf eine möglichst rasche Wiederherstellung von demokratischen Zuständen. Falls die Wahlen nicht bis spätestens 28. Dezember dieses Jahres stattfinden, wird sich die Regierung in Honiara dem Vorwurf stellen müssen, einen untolerierbaren Bruch der verfassungsmässigen Verhältnisse zu dulden."

Der Originalartikel erschien am 9. Mai 2001 in der Neuen Zürcher Zeitung unter dem Titel "Harzige Entwaffnung auf den Salomoninseln". Verfasser: O.I. (Honiara), Anfang Mai.



Warlord oder Friedensstifter?

O. I. (Honiara) «Ich will, dass die jungen Leute auf den Salomoninseln eine Zukunft haben, und ich will ihnen mit dem gutem Beispiel vorangehen», sagt der Anwalt und starke Mann derSalomoninseln, Andrew Nori, mit einer Unschuldsmiene. Aber im selben Atemzug schränkt er ein: «Vielleicht war ich zwischen Juni und Oktober letzten Jahres kein leuchtendes Beispiel.» In jenen fünf Monaten der bürgerkriegsartigen Wirren auf den Salomonen hatte Nori die Funktion eines Sprechers der Miliz Malaita Eagle Forces, die am 5. Juni zusammen mit der von Bewohnern der Insel Malaita dominierten Polizeidas Waffenarsenal der Hauptstadt Honiara geplündert hatte. Mit den automatischen Gewehren brandschatzten und raubten die Milizionäre in der Inselmetropole. ... Das Paradies sei verloren, sagt ein australischer Geschäftsmann. Diese Wahrheit gilt nicht nur für die ausländischen Investoren, sondern auch für die Einheimischen, die sich in einer nicht mehr funktionierenden Wirtschaft aufrappeln sollten. Das ist auch dem Anwalt Nori inzwischen klar. Nachdem seine Milizionäre den gewählten Premierminister Ulufa'alu mit vorgehaltener Pistole zum Rücktritt gezwungen haben, zieht er nun folgende Lehren aus den blutigen Wirren: «Nie mehr sollten wir zu den Waffen greifen. Die sozialen und psychologischen Kosten sind einfach zu hoch. Jetzt sind die Ressentiments gegen uns Malaitaner noch grösser. Obwohl die Bewegungsfreiheit verfassungsmässig garantiert ist, sollten wir uns einschränken, unsere Insel Malaita entwickeln, anstatt mit unserer Arbeitskraft die anderen Inseln vorwärts zu bringen.» Vorwürfe macht sich Nori keine. Er würde alles nochmals gleich machen. Er mag nicht einmal die Bezeichnung Sprecher hören. Nein, er sei als Moderator von der Miliz angefragt worden. Ohne seine Vermittlung wäre alles noch schlimmer gekommen. ...

Andrew Nori wurde 1952 in Honiara in eine Familie von Malaitanern geboren, die von jener übervölkerten Insel in die sich schnell entwickelnde Hauptstadt gekommen war. Sein Vater war der Gründer der antikolonialen Bewegung «Maasiwa Rule». Maasiva heisst Bruder. Als Noris Vater für sechs Jahre wegen Aufwiegelung ins Gefängnis musste, hatten die Stammesältesten den Sohn aufgefordert, Jura zu studieren. Dank einem australischen Stipendium besuchte Nori die Universität in Port Moresby in Papua-Neuguinea. Später wurde er ins Parlament in Honiaragewählt, wo er insgesamt zwölf Jahre sass. Er leitete während dieser Zeit unter anderem dasInnen- und das Finanzministerium. Im vergangenen Juni hatten ihn die Malaita-Milizionäre aufgefordert, Premierminister zu werden. Nori hatnach eigenem Bekunden diese Aufforderung abgelehnt. Tatsächlich hatten ihm Australien und Neuseeland zu verstehen gegeben, dass er als Nichtparlamentarier nicht der passende Mann gewesen wäre, um eine demokratische Fassade zu wahren. Die später von Noris Gnaden eingesetzte Regierung Sogavare hat ihrem Mentor dem Vernehmen nach eine Million Solomon-Dollars (350 0000 Franken) bezahlt. Nori bestreitet die Höher der Summe, spricht aber von einem gerechten Entgelt für geleistete Rechtsberatung. Vom Geldsegen nicht profitierende Milizionäre zündeten später Noris Bürogebäude an. Er wolle sich in Zukunft ganz für seine Heimatinsel Malaita einsetzen, sagt der Anwalt. ... Für später träumt er von einer Professur in Wellington. ...
Aus: NZZ, 9. Mai 2001



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