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Krimverträge sind "gegenstandslos"

Russland erhöhte Gaspreis für die Ukraine um 30 Prozent / Ein Ministerium und Wehrpflicht für die Halbinsel

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Krim wird von Moskau recht schnell in den russischen Staatsverband eingefügt. Verträge mit der Ukraine über Marinebasen wurden gekündigt.

Mit einer Erhöhung des Gaspreises für die Ukraine um 30 Prozent verbesserte Russland zu Monatsbeginn nicht gerade die schwierigen Beziehungen zum Nachbarn. Angesichts der aufgelaufenen Schulden von 1,7 Milliarden US-Dollar gelte ab sofort der alte Tarif von 385,5 US-Dollar (280 Euro) je 1000 Kubikmeter Gas, sagte der Chef des russischen Energieriesen Gazprom, Alexej Miller, am Dienstag.

Am Montag hatte die Duma einstimmig die Verträge gekündigt, die Russland 1997 mit der Ukraine über die Stationierung seiner Schwarzmeerflotte auf der Krim geschlossen hatte. Die Abkommen, so Vizeaußenminister Grigori Karassin, seien mit dem Beitritt der Halbinsel zu Russland, der »unumkehrbar« sei, gegenstandslos geworden. Russland werde dennoch alle finanziellen Verpflichtungen bedienen, die sich aus der einseitigen Kündigung der Abkommen ergeben. Über Details werde mit der neuen ukrainischen Regierung gesprochen.

Zeitgleich verhandelte Regierungschef Dmitri Medwedjew, der in Begleitung mehrerer Vizepremiers und Fachminister zu seinem ersten Besuch nach dem Anschluss in Simferopol einschwebte, mit den Behörden der nunmehr russischen Republik Krim über deren zügige Integration. Dazu wird in Moskau – so wie kürzlich für den Fernen Osten, eine Region mit ähnlichem Entwicklungs- und Problempotenzial – ein eigenes Ministerium geschaffen. Es soll vor allem die Zuschüsse für den chronisch defizitären Haushalt der Krim und die milliardenschweren Investitionen koordinieren, mit denen Staat und Privatwirtschaft den Neuzugang für das 21. Jahrhundert fit machen wollen.

Geplant ist unter anderem der Bau einer Meerwasser-Entsalzungsanlage, um die permanente Süßwasserknappheit zu beseitigen. Der neu gegründete Staatskonzern Eisenbahnen der Krim, der 2015 von den Russischen Staatsbahnen RZD übernommen wird, soll die Beförderung von Personen und Gütern für die Versorgung der nahezu komplett von der Ukraine umschlossenen Region übernehmen und Milliarden in die Modernisierung des Nahverkehrs stecken. RZD wird auch den Hut aufhaben beim Bau der Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die Krim dauerhaft mit der südrussischen Region Krasnodar verbinden soll.

Bereits am Sonntag waren die Uhren auf der Krim von der bisher geltenden Osteuropäischen Zeit auf die Moskauer umgestellt worden. Zügig soll sich auch der Beitritt zur Rubelzone vollziehen. Russische Banken haben ihre Präsenz auf der Krim bereits deutlich verstärkt und halten nach eigenen Angaben genügend Münzen und Scheine für den reibungslosen Bargeldverkehr vor. Die ukrainische Griwna bleibt jedoch für sechs Monate eine Parallelwährung,

Mit ähnlich rasantem Tempo werden die Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst – vor allem für Lehrer und Ärzte – auf die in Russland üblichen angehoben. Was indes viele, die beim Beitrittsreferendum mit Ja gestimmt hatten, offenbar übersahen: Ab 2015 gilt auch auf der Krim die allgemeine Wehrpflicht. Die Ukraine hatte sie beim Übergang zu ausschließlich aus Berufssoldaten bestehenden Streitkräften abgeschafft. Ab 2016 müssen Schüler auf der Krim auch das russische Abitur ablegen und bekommen keine Rabatte mehr bei Aufnahmeprüfungen an russischen Universitäten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. April 2014


Drohung gegen Rußland

NATO will auch in Armenien, Aserbaidschan und Moldawien aktiv werden. Deutschland verlegt sechs zusätzliche Kampfflugzeuge nach Litauen

Von Knut Mellenthin **


Die NATO will ihre militärischen Aktivitäten auch auf die früheren Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Moldawien ausdehnen. Einzelheiten dieses Plans sind in einem vertraulichen Papier festgehalten, über das Spiegel online am Montag berichtete. Keiner dieser drei Staaten hat bisher eine Mitgliedschaft in der westlichen Militärallianz beantragt oder öffentlich den Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit mit der NATO geäußert. US-Präsident Barack Obama hatte – anscheinend wahrheitswidrig oder zumindest irreführend – noch vor wenigen Tagen beteuert, daß keine »unmittelbare« Ausweitung des Bündnisses beabsichtigt sei.

Dem vom Spiegel referierten Papier zufolge sind für jedes der drei Länder unterschiedliche Maßnahmen geplant. In der moldawischen Hauptstadt Chisinau wolle die NATO ein Verbindungsbüro einrichten. Außerdem werde über eine Beteiligung Moldawiens an der »NATO ­Response Force« diskutiert. Das klingt im ersten Moment sehr viel unwahrscheinlicher als es ist: Nichtmitglieder wie Schweden, Finnland und die Ukraine sind schon seit mehreren Jahren in diese sogenannte Schnelle Eingreiftruppe eingebunden.

Weiter heißt es bei Spiegel online: »Mit Aserbaidschan ist vor allem eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Cyber- und Energiesicherheit angedacht, in Armenien soll die Ausbildung der Armee im Vordergrund stehen.« Ob das wirklich ernsthaft geplant und gut durchdacht ist, steht jedoch auf einem anderen Blatt: Immerhin gibt es zwischen Aserbaidschan und Armenien seit über zwanzig Jahren einen blutigen Territorialkonflikt um die Enklave Bergkarabach.

Diese Pläne bestätigen auf jeden Fall, daß der formalen Frage der Zugehörigkeit zur NATO eine immer geringere Bedeutung zukommt, während militärische Fakten geschaffen und zementiert werden. Nichtmitglied Georgien zum Beispiel stellt in der bunten Schar der internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan heute das fünftgrößte Kontingent. Gemessen an der Bevölkerung leistet das kleine Land, das nur 4,5 Millionen Einwohner hat, den stärksten Beitrag unter allen an der Intervention Beteiligten.

Am Dienstag wurde berichtet, daß Kiew sich an zwei unter US-amerikanischer Führung stehenden Manövern beteiligen will, die im Sommer in der Ukraine und im Schwarzen Meer stattfinden sollen. Tatsächlich war dieser Sachverhalt schon seit Monaten bekannt. Aktuell ist lediglich das einstimmige Votum des ukrainische Parlaments für diese Pläne. Neu ist auch, daß die Krim, die in früheren Jahren in das Seemanöver »Sea Breeze« einbezogen wurde, jetzt zu Rußland gehört. Die Ukraine plant außerdem zwischen Mai und Oktober gemeinsame Manöver mit den NATO-Mitgliedern Polen und Rumänien, an denen sich auch moldawische Streitkräfte beteiligen werden.

Vorerst abschlägig beschieden wurde von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen das Drängen der Warschauer Regierung, als Demonstration der Stärke gegenüber Rußland mindestens zwei schwere Brigaden der Allianz – das wären bis zu 10000 Soldaten – in Polen zu stationieren. Offiziell bestätigt wurde jedoch, daß sechs zusätzliche deutsche Kampfflugzeuge nach Litauen verlegt werden sollen. Die NATO-Außenminister beschlossen am Dienstag bei ihrem Treffen in Brüssel, die militärische Kooperation mit Rußland auszusetzen, den politischen Dialog mit Moskau aber fortzusetzen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. April 2014


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