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Russlands WTO-Beitritt in greifbarer Nähe

Von Maria Seliwanowa *

Die Zeichen stehen günstig, dass Russland im kommenden Jahr der WTO beitreten kann.

Die Welthandelsorganisation wurde vor 15 Jahren, am 1. Januar 1995 nach einer Transformation des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) von 1947 gebildet. Ziel der WTO ist die Liberalisierung des internationalen Handels und die Regelung der handelspolitischen Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Dazu werden Tarifmethoden bei einer konsequenten Senkung der Importzölle sowie die Abschaffung der nichttarifgebundenen Hürden eingesetzt. Gegenwärtig zählt die WTO mehr als 150 Mitgliedsstaaten.

Russland versucht seit 1993, Mitglied bei der WTO (damals noch GATT) zu werden. Der Beitritt zu der Organisation dauert gewöhnlich fünf bis sieben Jahre, doch Russlands Behörden verhandeln bereits seit 16 Jahren. Das ist ein Rekord. Zuvor hatte China den längsten Weg in die WTO hinter sich: 15 Jahre dauerten die Beitrittsverhandlungen.

Russland muss, wie das bei allen Organisationen dieser Art üblich ist, zum Beitritt das Okay von allen Mitgliedern erhalten. Das ist gleichzeitig die größte Schwierigkeit. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, weil ständig das eine oder andere Land sich dagegen sträubt. Jeder will natürlich Vorteile für sich und seine Produzenten herausziehen. Die Kritik der WTO-Mitglieder richtete sich gegen den Protektionismus der russischen Behörden, beispielsweise bei der Erhöhung der Zollgebühren für Holz, der Unterstützung der Autoindustrie und der Landwirtschaft.

Unter anderem war Finnland lange Zeit gegen Russlands WTO-Beitritt.

Die Finnen waren nicht einverstanden, dass die Exportzölle für Rohholz aus Russland erhöht wurden. Der Anstieg der Zollgebühren traf vor allem die finnischen Papierhersteller. Doch als die Finnen sich damit abgefunden hatten, blockierte Litauen den WTO-Beitritt Russlands. Den Litauern missfiel, dass Russland die Güterströme aus den Häfen im Baltikum in die eigenen Häfen umleiten will.

Vor einem Jahr gab Moskau zu verstehen, dass es nicht endlos verhandeln wolle. Im Juni dieses Jahres setzten die Regierungschefs von Russland, Kasachstan und Weißrussland die WTO in Kenntnis, dass sie als gemeinsame Zollunion beitreten wollen. Die drei Staaten setzten die Beitrittsverhandlungen aus und machten sich daran, eine gemeinsame Position als Zollunion zu formulieren. Die Erstellung einer gemeinsamen Position in einer neuen Organisation ist jedoch eine komplizierte Sache. Zwischen Russland und Weißrussland beispielsweise war vor kurzem ein Handelskrieg um Molkereiprodukte entbrannt, als Moskau einige weißrussische Exporterzeugnisse auf die schwarze Liste setzte.

Letztendlich wurde im Oktober deutlich, dass die drei Länder sich der WTO doch auf eigene Faust anschließen werden, wenn auch auf der Grundlage von gemeinsamen Positionen. Der Beschluss, der WTO separat beizutreten, scheint für Russland der beste zu sein. Der russische WTO-Chefunterhändler Maxim Medwedkow verkündete, dass Russland die Beitrittsverhandlungen zu 95 Prozent, Kasachstan zu 70 und Weißrussland weniger als zu 50 Prozent abgeschlossen habe.

Ein gemeinsamer Beitritt würde bedeuten, dass Russland womöglich mehrere Jahre warten muss, bis die Nachbarstaaten ihre Positionen zum WTO-Beitritt vereinbart haben. Bei einem separaten Beitritt hat Russland die Chance, im kommenden Jahr endlich zum vollberechtigten WTO-Mitglied zu werden. Jedenfalls äußerte Präsidentenberater Arkadi Dworkowitsch vor kurzem in einem Interview mit dem Fernsehsender "Vesti", dass die russische Seite bezüglich des Abschlusses der Verhandlungen optimistisch gestimmt sei.

Warum will Russland seit so vielen Jahren in die WTO? Mit diesem Schritt erhält es freien Zugang zu den Außenmärkten. Dabei werden verschiedene tarifgebundene und -ungebundene Schranken im internationalen Handel aufgehoben. Gegenwärtig verliert Russland bis zu 2,5 Milliarden Dollar wegen Benachteiligung auf den Außenmärkten. Außerdem kann der Zugang zu neuen Märkten den Aufbau von wissenschaftsintensiven Produktionen fördern, was die Behörden ständig heraufbeschwören.

Ein weiterer außerordentlich wichtiger Vorteil ist die Möglichkeit, an der Festlegung und Reformierung der internationalen Handelsregeln teilzunehmen. Gegenwärtig legt nicht Russland die Regeln fest. Das bedeutet, dass sie Russlands Interessen im Bereich des Wettbewerbs, der Investitions- oder der Energiepolitik widersprechen können.

Gleichzeitig befürchten die WTO-Beitrittsgegner, dass die russische Industrie nach der Abschaffung der Sperrzölle für einige Waren von einer Importwelle überrannt werden kann. Eine rigide Tarifpolitik für die WTO-Mitgliedsländer wird deren Haushaltseinnahmen aus den Importzöllen senken.

Für verschiedene Industriezweige werden die Folgen des WTO-Beitritts unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise kann der Beitritt der Chemie- und Stahlindustrie riesige Profite mit sich bringen. Denn die anderen WTO-Mitgliedsstaaten werden gezwungen sein, auf die Anti-Dumping-Zölle, mit denen sie ihre Märkte schützen, zu verzichten.

Die Branchen, die mit den Importen konkurrieren, allen voran der Maschinenbau, die Leicht- und die Lebensmittelindustrie sowie der Agrar-Industrie-Komplex, sind gegen den WTO-Beitritt. Ein offener Wettbewerb mit den ausländischen Herstellern kann sie in den Ruin treiben. Russische Finanzhäuser sehen in einem offenen Wettbewerb mit den ausländischen Banken ebenfalls eine Gefahr.

Es scheint aber jemanden zu geben, der vom WTO-Beitritt bestimmt profitieren wird: der russische Verbraucher. Ihm werden der Marktbeitritt der westlichen Banken, der Bau- und der Lebensmittelunternehmen sowie die Senkung der Sperrzölle für Autos zugute kommen. Zu guter Letzt kann der offene Wettbewerb die russischen Unternehmen zwingen, die Preise zu senken, und zwar nicht nur durch Spesenabbau, sondern auch durch Profitsenkung, wenn es um das Überleben des Unternehmens geht.

* Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 31. Dezember 2009; http://de.rian.ru


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Kreml-Wirtschaftsexperte: Moskau will WTO-Beitrittsverhandlungen 2010 abschließen

MOSKAU, 16. Dezember (RIA Novosti). Russlands Regierung rechnet mit einem Abschluss der WTO-Beitrittsverhandlungen im kommenden Jahr. Das teilte der Wirtschaftsberater des Präsidenten Russlands, Arkadi Dworkowitsch, am Mittwoch (16. Dez.) im russischen Fernsehen mit.

"Inhaltliche Probleme gibt es nicht mehr viele, die Verhandlungen könnten innerhalb von einigen Monaten abgeschlossen werden", sagte er.

"Es wäre verfrüht, davon zu sprechen, ob der technische Beitritt 2010 geschieht oder nicht", fügte er hinzu. "Das wird nach dem Abschluss des inhaltlichen Teils der Verhandlungen beschlossen."

Die Gründung einer Zollunion Russlands mit Weißrussland und Kasachstan sei keine Behinderung für einen WTO-Beitritt, fügte der Regierungsexperte hinzu. "Zwei Varianten des WTO-Beitritts stehen zur Diskussion - geschlossen, mit der ganzen Zoll-Union, oder alle einzeln. Ein Beitritt mit der Zollunion schafft gewisse organisatorische Schwierigkeiten für die WTO, wovon wir von unseren Partnern auch informiert wurden."

Die Welthandelsorganisation (WTO) zählt mehr als 150 Mitgliedsstaaten. Im Durchschnitt nimmt der Prozess des WTO-Beitritts fünf bis sieben Jahre in Anspruch. Moskau verhandelt allerdings seit 15 Jahren darüber. Ende 2008 erklärten Russlands Spitzenvertreter, sie haben nicht vor, die Verhandlungen endlos lang zu führen.

Im Juni 2009 informierten die Regierungschefs Russlands, Kasachstans und Weißrusslands die WTO über ihren Beschluss, als ein einheitliches Zollterritorium der Organisation beizutreten. Im Oktober wurde allerdings verkündet, dass die drei Länder ihre Beitrittsverhandlungen vereinzelt fortsetzen, dabei aber ihre Positionen untereinander abstimmen werden.


Weltfinanzsysteme brauchen WTO-ähnliche Regelwerke - Russlands Finanzminister

MOSKAU, 08. Dezember (RIA Novosti). Die Weltfinanzsysteme brauchen einen Regelmechanismus, der dem der Welthandelsorganisation (WTO) ähnlich wäre, meint Russlands Finanzminister Alexej Kudrin.

"Im Handel haben wir die WTO, im Bereich der Finanzmärkte dagegen wird alles auf nationaler Ebene geregelt, es gibt Forderungen in einzelnen Spielräumen, und die Investoren wechseln von einem Spielraum in den anderen. Das schafft eine Unbestimmtheit auf Finanzmärkten", äußerte der Finanzminister am Dienstag (8. Dez.) auf einer Konferenz der Vnesheconombank.

Die heutige Hauptaufgabe besteht Kudrin zufolge darin, eine globale Finanzarchitektur aufzubauen, die den Zustand einzelner Märkte in der Welt berücksichtigen würde.

Er verwies darauf, dass im G20-Format jetzt Beratungen durchgeführt und gemeinsame Positionen zur Regelung der Finanzmärkte und entsprechende Forderungen erarbeitet werden.

Nach Kudrins Worten sollen die Beschlüsse des jüngsten G20-Gipfels in den nächsten sechs Monaten an Russlands Situation angepasst werden. Der Finanzminister schloss nicht aus, dass dafür einige Gesetze angenommen werden müssen.


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Alle Meldungen aus: RIA Novosti; http://de.rian.ru


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