Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Männerfreundschaft mit Ohrenschmerzen

Medwedjew und Obama unterstrichen in Washington umfangreiche Gemeinsamkeiten Russland–USA

Von Axel Eichholz, Moskau *

US-Präsident Obama hat seinem russischen Kollegen Medwedjew zugesichert, sich für eine Mitgliedschaft Russlands bei der Welthandelsorganisation einsetzen. Beide Staaten streben ein internationales System zur Überwachung von Raketenstarts an.

Eine neue Männerfreundschaft scheint sich anzubahnen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluss der Gespräche mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew in Washington versicherte US-Präsident Barack Obama, er werde Russlands Mitgliedschaft in der Welthandelsorganiation (WTO) in jeder Weise unterstützen. Bestehende Probleme sollen bis 30. September bereinigt werden. Sein russischer Kollege meinte, künftig dürfe die wirtschaftliche Zusammenarbeit »nicht an Hühnerkeulen und Schweinefleisch hängen bleiben«. Moskau hatte US-amerikanische Fleischlieferungen jahrelang wegen echter oder vermeintlicher Qualitätsbedenken behindert.

Bei Medwedjews Besuch wurde auch der Ankauf von 50 Boeing-Flugzeugen vereinbart. Unter Differenzen erwähnten die beiden Präsidenten nur Georgien. Dafür wiesen sie auf umfangreiche Gemeinsamkeiten hin.

Moskau und Washington wollen Sanktionen gegen Iran und Nordkorea verschärfen, hieß es. Eine gesonderte Erklärung wurde zu Afghanistan und Kirgistan abgegeben. »Wir haben wesentliche Fortschritte und konkrete Ergebnisse in allen Bereichen erzielt«, sagte Obama. »Wir denken auch über die Zukunft nach«, echote Medwedjew. Nach seinen Worten telefonierten die beiden Präsidenten besonders in der letzten Zeit oft und lange miteinander. Das jüngste Gespräch habe eine Stunde und 45 Minuten gedauert, so dass ihm hinterher »das Ohr wehgetan« habe, so Medwedjew. Er sei seinem US-Kollegen für dessen »aktive Kooperation« sehr dankbar. Verbindliche Signale von US-Seite waren tatsächlich unüberhörbar. So hat Washington den tschetschenischen Separatistenführer Doku Umarow diese Woche zum Medwedjew-Besuch passend endlich auf die Liste der international gesuchten Terroristen gesetzt.

Überhaupt suchte der russische Präsident diesmal, sich als Politiker einer neuen Generation zu präsentieren, dessen Gangart sich grundsätzlich nicht nur von der hölzern-majestätischen Art der exsowjetischen Generalsekretäre, sondern auch von der seines Vorgängers Wladimir Putin unterscheidet. In Kalifornien genierte er sich nicht, Gouverneur Arnold Schwarzenegger um ein Autogramm zu bitten. Im Twitter-Blog verbreitete Medwedjew kurze Beiträge. Man hätte sich weder Leonid Breshnew noch Boris Jelzin in dieser Rolle vorstellen können. In der Stanford-Universität lud er alle Interessenten zu Zusammenarbeit im russischen »Silicon Valley« bei Moskau ein. In seiner Rede beschrieb er »Zehn wichtige Positionen für Russland«, die der Form und dem Inhalt nach an ein Wahlprogramm erinnerten. Vor Journalisten bestätigte er die Absicht, bei der Wahl 2012 wieder anzutreten.

Die neue Männerfreundschaft Medwedjew-Obama könnte jene zwischen Putin und Ex-Kanzler Gerhard Schröder übertrumpfen. Insgesamt hinterlasse Medwedjews USA-Reise aber einen drolligen Eindruck, hieß es im kritischen Hörfunksender Echo Moskaus. Die Visite stehe unter den Mottos »Wow, ich und der Arnold«, »I’ll be back!« und »Ich hab' ein neues I-Phone!«. Es sei wie die Erfüllung aller Kinderträume. Dafür müsse man nicht Präsident werden.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2010


Hühnchen-Diplomatie

Von Olaf Standke *

Dieses Mal standen keine Atomraketen im Vordergrund, sondern »Chlorhühnchen«. Aber auch die können erhebliche politische Sprengkraft entwickeln, wie die russisch-amerikanischen Beziehungen gezeigt haben. Nun sei der Streit um das Moskauer Einfuhrverbot für chlorwasserdesinfizierte Lieferungen aus US-amerikanischen Geflügelbetrieben endgültig beigelegt, wie Präsident Obama persönlich verkündete. Auch das gilt als Beweis für die verbesserten Beziehungen zwischen beiden Staaten. Angesichts eines deutlich freundlicheren Klimas versprach Obama nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen Medwedjew (»ein Freund und Partner, solide und verlässlich«), sich für einen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO einzusetzen. Da dürfte das beim Besuch vereinbarte Milliardengeschäft zum Kauf von 50 Boeing-Flugzeugen, das Zehntausende Jobs in der Luftfahrtindustrie sichern soll, geholfen haben. Bei so viel Friede, Freude, Hühnerbein könnte man fast vergessen, dass es da noch so manchen Streitpunkt gibt. Georgien etwa, verlangt Washington doch weiter den Abzug russischer Truppen aus den abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Und auch die Ratifizierung des START-Abkommens zur Reduzierung strategischer Atomwaffen ist noch längst nicht in trockenen Tüchern.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2010 (Kommentar)


Zurück zur Russland-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage