US-Bericht: Russlands geopolitische Macht die stärkste seit Ende des Kalten Krieges
US-Thinktank Stratfor (Strategic Forecasting Inc.) sieht Anzeichen für Wiederaufstieg Russlands zur Weltmacht
Russland hat seine größten Probleme glücklich gelöst und tritt ins Jahr 2008 mit der stärksten Position seit dem Ende des Kalten Krieges. Zu diesem Ergebnis kommt eine vor wenigen Tagen vorgelegte Untersuchung des US-Forschungszentrums Stratfor (Strategic Forecasting Inc.). Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti hat die Quintessenz der Studie in zwei Meldungen zusammengefasst, die wir im Folgenden dokumentieren.
[Anmerkung AGF: Die entsprechenden Berichte von Sratfor sind nur Mitgliedern zugänglich.]
"Der schier unaufhaltsame Verfall der Armee konnte weitgehend gestoppt werden, neue Waffensysteme werden der Bestimmung übergeben, das Land ist voll von Öldollars, die Außenschulden sind getilgt, die tschetschenischen Insurgenten sind niedergeschlagen, die zentrale Regierung hat die Opposition praktisch verdrängt, die Regierung ist innerhalb des Landes populär, während der Handlungsbereich der US-Armee zu begrenzt ist: Sie kann höchstens symbolische Gesten unternehmen, um Russlands Voranschreiten auf diesem oder jenem Gebiet zu blockieren", wird im Bericht betont.
Zugleich verweisen die Verfasser auch auf einige Probleme, etwa im Energiesektor. "In den chinesischen Pipelines nach Kasachstan und Turkmenien, die 2008 fertig gestellt werden sollen, steckt die Gefahr einer Umlenkung der Energieströme" zum Nachteil Russlands.
Angesichts der Nato-Erweiterung und der Modernisierung der Armeen in Asien sieht sich Russland außerdem gezwungen, sich auf zwei Fronten einzustellen, "womit Russland in den Sowjetzeiten eigentlich nicht fertig wurde".
Um sich angesichts der Entwicklung Chinas sowie der Nato- und der EU-Erweiterung ein langfristiges Wohlergehen zu sichern, muss 2008 für Russland "ein Jahr des Handelns sein", heißt es im Bericht.
Eine der Hauptrichtungen der Aktivitäten im postsowjetischen Raum wird in der Konsolidierung des Energiesektors in Russlands bestehen, die 2003 eingeleitet wurde und demnächst ihren Höhepunkt erreichen soll. "Die staatlichen Energiegiganten Rosneft und Gasprom werden in diesem Jahr - formell bzw. über ,Allianzen' - die meisten übrig gebliebenen unabhängigen Spieler auf dem Energiemarkt des Landes verschlingen", heißt es in der Prognose. Damit "wird das verstärkt, was zum zuverlässigsten Instrument der russischen Außenpolitik geworden ist".
Dieses Instrument war im vergangenen Jahr wohl am wirksamsten gewesen: 2008 will Westeuropa wohl gleich mehrere Gasimport-Projekte in Angriff nehmen, womit die Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen verringert werden soll. Dadurch werden die Länder Westeuropas weniger Rücksicht auf Russland nehmen müssen.
Das private US-Institut Stratfor befasst sich mit Zukunftsstudien von geopolitischen Prozessen.
Teil 2: Russland sollte Konfrontation mit schwachem Westen riskieren
Um das geopolitische Zurückweichen der 90er Jahre zu verhindern, sollte Russland eine Konfrontation mit dem Westen riskieren und diesen zum Nachgeben zwingen.
Zu diesem Schluss gelangt das US-Institut Stratfor (Strategic Forecasting Inc.) in seiner soeben veröffentlichten Studie.
Russland hat seine größten Probleme in den zurückliegenden Jahren glücklich gelöst und tritt ins Jahr 2008 mit der stärksten Position seit dem Ende des Kalten Krieges, stellen die Stratfor-Experten fest. "Dies ist aber eine vorübergehende Situation, die sich mit dem Abzug der US-Truppen aus Irak ändern wird. Russland müsste diese Umstände nutzen, wenn es eine Wiederholung des geopolitischen Zurückweichens der 90er Jahre nicht zulassen will."
Unter der "Konfrontation" ist nicht unbedingt ein Krieg zu verstehen, betonen die Verfasser, sondern "bloß ein Konflikt, bei dem Russlands Stärke vor dem Hintergrund der Schwäche des Westens an den Tag treten würde".
"Der Kreml muss offen zeigen, dass er in der Lage ist, den Westen zum Zurückweichen zu zwingen. Ein Erfolg würde die Meinung der prowestlichen Kräfte auf dem Territorium der Ex-Sowjetunion verändern und zu einem beachtlichen Anstieg des russischen Einflusses führen."
Ein solches Szenario lasse sich an mehreren Stellen in der Welt realisieren, so die Stratfor-Experten. So wäre eine Anerkennung der Unabhängigkeit der Provinz Kosovo "mehr als eine Ohrfeige" für Russland. Sie würde zeigen, dass selbst die EU, in der es keine einheitliche Meinung in der Außenpolitik gibt und deren Streitkräfte nicht so stark sind, "Moskau einfach ignorieren kann".
"Moskau muss das verhindern", heißt es im Bericht. "Wahrscheinlich werden die Verhandlungen mit der EU über eine Änderung der endgültigen Entscheidung zum Kosovo-Problem erfolgreich sein, und zwar einfach aus dem Grund, weil das Kosovo für die westliche Welt nicht einmal entfernt einer Eskalation des Konflikts mit Russland wert wäre."
Ein ähnliches Resultat könnte Moskau erzielen, wenn Georgien auf die abtrünnigen Provinzen verzichten würde, "die sich bei ihrer wirtschaftlichen und militärischen Existenz auf Russland verlassen". "Russland könnte diese völlig einverleiben und damit die Vorstellung von einer stabilen Unterstützung der USA im Kaukasus zerstören", wird im Dokument festgestellt.
Außerdem könnte der russische Staatskonzern Gasprom die russisch-britische Ölgesellschaft TNK-BP schlucken und damit Großbritanniens Investitionen in Milliardenhöhe zunichte machen. Und "ein Bündnis mit Weißrussland würde die Rote Armee zurück an die europäischen Grenzen heranführen und das Sicherheitsformat für ganz Eurasien im Nu umkrempeln".
Quelle: RIA Novosti, 9. Januar 2008
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