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Im Fall Snowden siegt Putin

Viel Beifall für ein russisches Asylangebot

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Ob aus der Snowden-Story auch ein guter Filmstreifen wird, ist so sicher nicht. Fest steht dafür in Russland der positive Held: Wladimir Putin.

Der Zivilgesellschaft hatte sich Russlands starker Mann bisher vor allem als zupackender Schutzherr aussterbender Arten wie des Amur-Tigers oder des sibirischen Kranichs empfohlen. Menschenrechtler dagegen lasteten ihm antidemokratische Gesetze an, mit denen Regierungskritiker kriminalisiert werden.

Doch das war vor dem Asylangebot Montagabend. Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der Abhörskandale und geheime Spähprogramme seiner Dienstherren publik gemacht hatte, verstehe sich als Kämpfer für Menschenrechte, lobte Putin nach dem Gipfel der Erdgas exportierenden Länder in Moskau. Wenn Snowden in Russland bleiben wolle: bitte sehr. Allerdings gebe es da eine Bedingung: »Er muss damit aufhören, unseren amerikanischen Partnern zu schaden. Auch wenn das aus meinem Mund seltsam klingen mag.«

Seltsam in der Tat. Putin sei doch nicht ganz unschuldig an der derzeitigen Kleinen Eiszeit in den russisch-amerikanischen Beziehungen, tadeln ihn seine innenpolitischen Gegner. Für das Asylangebot an Edward Snowden dagegen erntete der Präsident sogar bei ihnen tosenden Beifall. Denn Michail Fedotow, der Vorsitzende des Beirates für Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Präsidenten, hatte Snowden zum Dissidenten geadelt und für schutzwürdig erklärt. Oppositionelle Duma-Abgeordnete erwogen inzwischen sogar, ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Selten herrschte in der seit den Massenprotesten nach umstrittenen Wahlen tief gespaltenen russischen Gesellschaft in letzter Zeit so viel Konsens bei einem Reizthema. »Wladimir Wladimirowitsch, diese Runde haben Sie gewonnen.« Matwej Ganopolski, Moderator des Morgen-Talks von Radio »Echo Moskwy«, dem Haussender der Liberalen, würgte den Glückwunsch mit heiserer Stimme und hörbarer Verzweiflung hervor.

Nur um innenpolitisch zu punkten, hatte Putin außenpolitisch schon des Öfteren den Falken gegeben und seine Partner brüskiert. Im Fall Snowden indes ist der außenpolitische Flurschaden bisher sehr überschaubar. Snowden, der sich nach den Enthüllungen nach Hongkong abgesetzt hatte, war zwar nach Moskau geflogen, hatte den Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo jedoch offenbar nie verlassen und daher die russische Grenze bisher nicht passiert.

Von einer Auslieferung des »Landesverräters«, wie sie US-Außenminister John Kerry zunächst hysterisch verlangte, obwohl Russland und die USA kein derartiges Abkommen haben, ist daher die Rede schon längst nicht mehr. Auch nicht von Abfangjägern, die das Flugzeug mit Snowden auf dem Weg in ein lateinamerikanisches Exil zur Landung auf USA-Gebiet zwingen. Gut zu wissen für Venezuelas Präsidenten Nicolas Maduro, der zurzeit in Moskau weilt. Gerüchte wollten wissen, dass Snowden beim Rückflug mit an Bord geht.

So oder ähnlich könnte sie in der Tat aussehen: Die vom Völkerrecht gedeckte Lösung, nach der die Geheimdienstchefs Russlands und der USA derzeit gemeinsam suchen, wie der Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, dem russischen Staatsfernsehen sagte.

Venezuela ist indes nur einer von insgesamt 20 Staaten, bei denen Snowden um Asyl nachgesucht haben soll. Darunter auch Russland, obwohl die Föderale Migrationsbehörde FMS mit Vehemenz dementierte. Die Konsularabteilung im Transitbereich von Scheremetjewo dagegen bestätigte auf Anfrage von »Echo Moskwy«, Sarah Harrison, die Vertreterin der Enthüllungsplattform Wikileaks, habe Snowdens Antrag dort abgegeben, behauptete der Sender.

Gestern zog Snowden ihn zurück. Wie Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, wegen Putins Forderung nach Verzicht auf weitere Enthüllungen. Und womöglich nicht nur deshalb. Enttarnte Spione verfügen weltweit in ihren jeweiligen Gastländern nur über begrenzte Souveränität und werden observiert: Sie könnten ein doppeltes Spiel spielen.

Moskau selbst brauchte Snowden nur als Resonanzboden für positives Rauschen im Blätterwald. Denn der nachrichtendienstliche Wert eines Überläufers, der die wesentlichen Inhalte seines Insiderwissens bereits an die Presse weitergab, hält sich in Grenzen. Niemand dürfte das besser wissen als gerade Wladimir Putin, der Mütterchen Heimat einst selbst als Kundschafter an der unsichtbaren Front diente. Den praktischen Nutzen von Snowdens Frontenwechsel für KGB-Nachfolger FSB veranschlagte der Präsident gleich zu Beginn des Showdowns mit dem, was bei der »Schur eines Ferkels« herauskommt: »Viel Gequieke, wenig Wolle.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 3. Juli 2013


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