Bitte wegtreten? Armeen im Wandel
2009 gilt zwar nicht als Kriegsjahr, doch das Jahresfazit über das Militär ist sehr beeindruckend
Von Ilja Kramnik *
Der wichtigste Faktor, der die militärischen Angelegenheiten in aller Welt beeinflusst hat, war die globale Finanzkrise, die viele Länder ihre Pläne in großem Maße korrigieren ließ. Dazu gehört auch die neue Militärpolitik der USA nach dem Machtantritt von Barack Obama.
Die USA haben, wie erwartet, die Waffenkäufe und die Ausgaben zur Entwicklung von neuartigen Waffen drastisch gekürzt. Das größte Opfer war das ehrgeizige Programm FCS - Future Combat System. 2008 waren hitzige Diskussionen über das Schicksal der F-22-Jagdflugzeuge entfacht worden. 2009 wurde ihnen mit der Entscheidung, deren Herstellung zu stoppen, ein Ende gesetzt. Die US-Luftwaffe wird die zuvor bestellte Partie aus 183 Maschinen erhalten. Weitere Käufe sind jedoch nicht geplant. Ebenso lebhaft läuft jetzt die Diskussion über die Schaffung des F-35-Flugzeugs, dessen Preis trotz aller Versprechen der Hersteller nicht hinuntergehen will.
So sieht es in den USA aus. Die geplante Neuausrüstung der russischen Armee wurde von der Krise anders beeinflusst. Formell hat der Staat einen größeren Rüstungsauftrag gegeben, doch faktisch haben viele Werke einen großen Teil des Jahres kein Geld gehabt, weil das Budget zu spät bestätigt worden war. Somit wurden mehrere Programme mit Verspätung finanziert, was ihre Umsetzung verzögerte.
Auch andere Faktoren hatten ihren Einfluss. Beispielsweise konnte das atomgetriebene U-Boot "Juri Dolgoruki" nicht in Dienst gestellt werden, weil die für ihn bestimmte Rakete "Bulawa" bei den Tests immer noch schlecht abschneidet. Die Schwierigkeiten bei der Einführung der neuen Produktion verzögern die Lieferungen von anderen modernen Waffen an die Truppen.
Selbst die verstärkte Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten kann die Folgen des Zusammenbruchs der Industrie in den 1990ern bislang nicht bewältigen.
Doch einige Fälle zeugen davon, dass im heutigen Russland auch eine vollwertige und ununterbrochene Finanzierung nicht unbedingt in den gewünschten Ergebnissen resultiert. Der Grund versteckt sich meist hinter dem trockenen Euphemismus "ineffizienter Gebrauch der Mittel".
Dieser kann alles bedeuten, vom Personalüberschuss der Unternehmen bis hin zu Betrug, Diebstahl und Sabotage.
2010 sind die ersten fünf Jahre des staatlichen Rüstungsprogramms 2006 bis 2015 um. Obwohl noch ein Jahr bis zum Ende des ersten Abschnitts bleibt, ist es bereits jetzt offensichtlich, dass die Lieferungen neuer Militärausrüstung in mehreren Schlüsselpositionen misslingen werden. Die Streitkräfte bekommen viel weniger Su-34-Bomber, Mi-28N-Hubschrauber, Projekt-677-U-Boote, S-400-Fla-Raketen-Komplexe und einige andere komplizierte Waffensysteme als geplant.
Somit gelingt es Russland bislang nicht, gegen die Überalterung der Ausrüstung anzukämpfen. Das kann in den kommenden zwei Jahrzehnten kritische Folgen für die Verteidigungsfähigkeit des Landes nach sich ziehen, wenn die Situation nicht durch energische Maßnahmen verbessert werden sollte.
Zu den Maßnahmen kann der Kauf von Waffen im Ausland gezählt werden.
2009 ist das erste Jahr, als die Diskussion über die Möglichkeit von solchen Käufen in konkrete Verhandlungen gemündet ist. Es geht um den möglichen Erwerb eines Schiffs vom Typ "Mistral" in Frankreich.
Ob dieser Vertrag unterzeichnet und verwirklicht wird, ist unklar, vor allem im Hinblick auf die ziemlich große Opposition gegen "Mistral" in Russland. Das Schiff hat sich überdies als kaum geeignet für die russischen Bedingungen entpuppt. Doch offensichtlich ist das Verteidigungsministerium bereit, diese Schritte einzugehen, selbst wenn sie unpopulär sind.
Der wichtigste Prozess des Jahres bei der atomaren Abrüstung ist die Erörterung der Bestimmungen des neuen Vertrags zwischen Russland und den USA über die Verringerung der strategischen Offensivwaffen. Die Parteien liegen in ihren Positionen ziemlich weit auseinander, konnten sich aber im Endeffekt bei einigen Schlüsselpunkten einigen.
Dazu gehören die Zahl der Gefechtsköpfe und Träger, Einschränkungen des so genannten "wiederverwendbaren Potentials" und die Abschaffung der einseitigen Einschränkungen zum Aufbau der russischen mobilen Raketenkomplexe.
Die strategischen Waffen bleiben für die russische Führung offensichtlich eine Priorität. Davon zeugt beispielsweise die fast ununterbrochene Produktion von neuen Raketen für die Strategischen Raketentruppen und die großen Ausgaben für die Entwicklung von zukunftsträchtigen Trägern, die die älter werdenden sowjetischen Raketen ersetzen können.
Doch Russland lässt sich nicht mit strategischen Waffen allein verteidigen. Die Welt ist in eine Phase der lokalen Konflikte getreten, die auch weiter aufflammen werden. Um die Verteidigungsfähigkeit unter diesen Bedingungen zu bewahren, braucht Russland eine schnelle Umrüstung der Armee, deren Reformen den technischen Rückstand nicht ausgeglichen haben.
* Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.
Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 30. Dezember 2009; http://de.rian.ru
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