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Hunderte Putin-Gegner weiter in Haft

Jawlinski (Jabloko): Wir wollen keine Revolution, sondern Demokratie *

Die russischen Sicherheitskräfte haben nach neuesten Angaben bei den Protesten vom Dienstagabend in Moskau 569 und in St. Petersburg rund 200 Demonstranten festgenommen. Die Festnahmen in Moskau seien bei einem Einsatz gegen eine »nicht genehmigte Versammlung auf dem Triumfalnaja-Platz« erfolgt, sagte ein Polizeivertreter.

Nach der Festnahme von mehr als 800 Regierungsgegnern bei Protesten gegen Wahlfälschungen in Russland sind Hunderte Demonstranten weiter in Polizeigewahrsam. Allein in Moskau war nach Medienangaben vom Mittwoch noch weit mehr als die Hälfte der 569 festgenommenen Kremlkritiker hinter Gittern.

Oppositionspolitiker forderten die sofortige Freilassung der am Vorabend Festgenommenen. Regierungschef Wladimir Putin reichte unterdessen demonstrativ seine Bewerbungsunterlagen für die Präsidentenwahl am 4. März bei der Zentralen Wahlleitung ein.

Der Menschenrechtsbeauftragte des Kremls, Michail Fedotow, kritisierte das harte Durchgreifen von Polizei und Justiz. Dass die Polizei den Festgenommenen über Stunden Wasser und Nahrung verwehrt habe, sei »absolut inakzeptabel«, sagte Fedotow.

Mehrere dutzend Demonstranten wurden bereits zu Arreststrafen verurteilt, darunter der nicht zur Wahl zugelassene Oppositionspolitiker Ilja Jaschin und der Blogger Alexej Nawalny, den Medien immer wieder als möglichen Präsidentenkandidaten nennen. Etwa 2000 Putin-Gegner hätten am Dienstagabend im Moskauer Stadtzentrum an der nicht genehmigten Kundgebung teilgenommen, hieß es. In der zweitgrößten Stadt St. Petersburg nahm die Polizei mindestens 250 Demonstranten fest. Auch aus Rostow am Don und der Wolga-Stadt Samara wurden Festnahmen gemeldet.

Die Sicherheitskräfte gingen nach Medienberichten massiv gegen die Demonstranten vor und hielten in Moskau auch mehrere Journalisten sowie Menschenrechtler über Stunden fest. Regierungsgegner berichteten, dass Aktivisten der Kremljugend den Polizeieinsatz bejubelt hätten.

»Das Wahlergebnis entspricht nicht dem Wählerwillen«, sagte der Chef der liberalen Partei Jabloko, Sergej Mitrochin. Jabloko hatte bei der Parlamentswahl am Sonntag den Einzug in die Staatsduma nach offiziellen Angaben klar verpasst. Mitrochin kündigte an, gegen Wahlfälschungen in allen Instanzen zu klagen. »Wir wollen keine Revolution, sondern Demokratie nach europäischem Vorbild. Das ist ein langer Weg«, sagte Jabloko-Gründer Grigori Jawlinski.

Für Sonnabend (10. Dez.) rief die außerparlamentarische Opposition im Internet zu einer genehmigten Demonstration in der Nähe des Kremls auf. Mehr als 10 000 Menschen hatten sich bis zum Mittwochnachmittag (Ortszeit) bereits über soziale Netzwerke dazu angemeldet. An einer erlaubten Kundgebung in Moskau am Montagabend hatten sich Schätzungen zufolge mehr als 6000 Putin-Gegner beteiligt. Die von Putin geführte Regierungspartei Einiges Russland hatte mit offiziell fast 50 Prozent der Stimmen den Wahlsieg davongetragen. Regierungsgegner werfen Putin massive Wahlfälschungen vor. Die Bundesregierung, die USA und Wahlbeobachter haben massive Zweifel geäußert, dass die Abstimmung frei und fair abgelaufen sei.

* Aus: neues deutschland, 8. Dezember 2011


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