Russland auf Privatisierungskurs
Ölgesellschaften, Banken und Verkehrsbetriebe sollen verkauft werden
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Russland verkauft nun viele bisher staatsnahe bzw. staatliche Konzerne.
Neben wirtschaftlichen Gründen hat die Privatisierungswelle aber auch
politische Gründe: Medwedjew hofft auf mehr Einfluss in der Wirtschaft.
Es ist die mit Abstand größte Veräußerung von Staatseigentum seit der
umstrittenen Privatisierung Mitte der Neunziger, zu der Russlands
Regierung dieser Tage grünes Licht gab. Beteiligungen an insgesamt zehn
Topunternehmen sollen zwischen 2011 und 2013 unter den Hammer kommen.
So will sich der russische Staat von 24 Prozent seiner Beteiligungen an
der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft trennen. Zum Verkauf stehen
außerdem Anteile von jeweils 9,3 bzw. 24,5 Prozent an den beiden größten
Banken des Landes: der Sberbank und der WTB. Auch die 49 Prozent, die
die russische Regierung derzeit an der Hypothekenanstalt AIZhK und der
Agrarbank Rosselchosbank hält, sollen einen neuen Besitzer finden. Dazu
kommen Beteiligungen von 25 Prozent minus einer Aktie an den russischen
Staatsbahnen RZD und der Reederei SovComFlot. Abgestoßen werden sollen
darüber hinaus auch 28,11 Prozent des Stromnetzbetreibers FSK und 9,38
Prozent des Wasserkraftwerksbetreibers RusHydro.
Offiziell wird der Verkauf mit Löchern im Haushalt begründet. Vor Beginn
der Wirtschaftskrise sorgten rekordverdächtige Preise für Öl und Gas für
Überschüsse von bis zu sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Derzeit muss Finanzminister Alexej Kudrin zusehen, wie er mit einem
Defizit von rund fünf Prozent die Begehrlichkeiten seiner Kollegen
befriedigt. Einen ausgeglichenen Haushalt kann er - vorausgesetzt, die
weltweite Konjunktur bricht nicht erneut ein - frühestens 2015 vorlegen.
Um das Defizit schrittweise gegen null zu fahren, werden jährlich
Zusatzeinnahmen von umgerechnet rund 25 Milliarden Euro benötigt. Geld,
das, weil Präsident Dmitri Medwedjew und Premier Wladimir Putin
Kürzungen im sozialen Bereich und Steuererhöhungen aus taktischen
Erwägungen heraus ablehnen, nur durch Veräußerung von Staatseigentum
beschafft werden kann.
Gleichzeitig steigen damit aber auch die Chancen für eine radikale
Modernisierung, wie Medwedjew sie Russland schon im Wahlkampf
verordnete. Immer wieder hatte er sich dabei auch für den allmählichen
Rückzug des Staates aus der Wirtschaft stark gemacht. Aus gutem Grund:
Amtsvorgänger Putin, ein Anhänger des Staatskapitalismus, hatte gleich
nach seiner Wahl im März 2000 mit Korrekturen der Privatisierung Mitte
der Neunziger begonnen. Als er acht Jahre später an Medwedjew übergab,
erbrachten staatliche und staatsnahe Konzerne daher erneut über die
Hälfte der gesamten russischen Wirtschaftsleistung. Auch war die Liste
sogenannter strategischer Unternehmen, an denen die Staatsbeteiligung
nicht unter die Sperrminorität sinken darf, viel umfangreicher geworden.
Experten machten dafür auch machtpolitische Erwägungen Putins geltend.
Dieser hatte erprobte Kampfgefährten mit gut dotierten Posten in
staatsnahen Konzernen versorgt und sich damit deren bedingungslose
Loyalität gesichert. Die geplante Privatisierung dagegen verschafft
Medwedjew, auf den neben der demokratischen Opposition vor allem
liberale Unternehmer setzen, die Möglichkeit, Leute seines Vertrauens an
Schlüsselstellen der Wirtschaft zu hieven. Und damit eine eigene
Hausmacht zu begründen. Ein Ziel, das er, obwohl er bereits ein Drittel
der Gouverneursposten in den Regionen neu besetzte, bisher nicht einmal
in Ansätzen erreicht hat.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2010
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