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Wodka und Kaviar

Moskau und Berlin stehen als vorläufige Gewinner des Pipelinepokers um Erdgas aus dem Osten fest

Von Tomasz Konizc *

Polens auflagenstärkste Tageszeitung Gazeta Wyborcza äußerte sich lautstark ihre Besorgnis über einen erneuten energiepolitischen Coup Moskaus. Polen – wie das gesamte Nordosteuropa – befinde sich dank eines zwischen Rußland und Italien vereinbarten Pipelineprojekts in einer »Gaszange«, so das Blatt am Freitag. Die neue Erdgasleitung werde die »Lieferung kaspischen und asiatischen Gases in unsere Region blockieren«, alarmierte die Wyborcza die polnische Öffentlichkeit.

Neue Südroute

Vergangene Woche hatten der russische Gasmonopolist Gasprom und der italienische Energiekonzern Eni ein Joint-venture vereinbart, das die zehn Milliarden Euro teure Pipeline bis 2013 realisieren soll. Eine Machbarkeitsstudie des in der Schweiz registrierten Unternehmens South Stream soll schon bis 2008 abgeschlossen sein. Bei der feierlichen Zeremonie im Kreml waren Rußlands Präsident Wladimir Putin und Italiens Premier Romano Prodi zugegen, der Moskau schon zum dritten Mal in diesem Jahr besuchte. Rußland und die EU passen zusammen wie »Wodka und Kaviar«, erklärte Prodi bei einer in gelöster Atmosphäre abgehaltenen Pressekonferenz. Nach Ansicht der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti werde dieses Projekt die »Position Rußlands als Energieversorger der EU stärken«. Die Moskauer Zeitung Kommersant vermutet, daß Gasprom 51 Prozent an dem Projekt halten, und damit das Sagen haben werde. Die Parität zwischen beiden Partnern gelte nur bei der Finanzierung der Machbarkeitsstudie, so das Blatt.

Die projektierte Pipeline soll eine jährliche Durchleitungskapazität von 30 Milliarden Kubikmetern Gas erreichen. Nach EU-Prognosen wird sich der Importbedarf der Gemeinschaft bis 2015 auf 220 Milliarden Kubikmeter Erdgas erhöhen – 60 Prozent mehr als derzeit. Vorgesehen ist, daß die ab 2010 geplante North-Stream-Pipeline weitere 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas bereitstellt. Diese Leitung auf dem Grund der Ostsee soll vom russischen Wyborg bis nahe Greifswald in Deutschland verlaufen.

Auch der südliche Teil der vermeintlichen russischen »Gaszange« wird zu einem guten Teil unter Wasser verlegt, diesmal auf dem Grund des Schwarzen Meeres bis zur bulgarischen Hafenstadt Warna. Von da soll sich die Pipeline dann teilen. Die westliche Abzweigung würde über Griechenland und die Südadria nach Italien führen, die nördliche über Rumänien, Ungarn, Österreich bis nach Deutschland. Wie bei der Ostseepipeline, so würde auch im Fall von South Stream ein bisher wichtiges Transitland für russische Energieträger ausgeschaltet – diesmal die Ukraine.

Beide Pipelines umgehen direkte Nachbarländer der vom Kreml zielstrebig aufgebauten Energiegroßmacht Rußland und führen zu den Metropolen des Westens. Den bisherigen Transitländern würde damit jegliches Machtmittel im Falle energiepolitischer Auseinandersetzungen genommen. Die Ukraine konnte während des »Gasstreits« im Januar 2006 noch die Lieferungen gen Westen beeinträchtigen und Transitgas für sich abzweigenen. Ähnliches drohte ein Jahr später, als Kiew und Moskau in einem ähnlichen Streit über eine vom Kreml geforderte Verdopplung der Gaspreise gerieten.

Umgehungsstrategie

Der Westen wird zukünftig bei solchen Auseinandersetzungen nicht mehr um seine Gasversorgung fürchten müssen. Staaten wie die Ukraine und Belarus dürften bei künftigen Preisverhandlungen mit Rußland keinerlei Trümpfe mehr in der Hinterhand haben. Hinzu kommt aus russischer Sicht, daß man auf längere Zeit jene Transitgebühren einspart, die bisher bei der Durchleitung von Öl und Erdgas durch diese Länder fällig wurden.

Nach Ansicht der Gazeta Wyborcza besiegelt South Stream auch das Schicksal des Konkurrenzprojekts Nabucco. Diese von den USA und der EU eigentlich favorisierte Gasleitung sollte unter südlicher Umgehung Rußlands aserbaidschanisches und zentralasiatisches Erdgas nach Westeuropa liefern. Rußland könne South Stream schnell auslasten, indem es weniger Erdgas durch die Ukraine befördere. Für Nabucco hingegen stehe noch immer nicht genug Gas zur Verfügung, so die Zeitung. Aserbaidschan kann selber das jährliche Minimum von 4,3 Milliarden Kubikmeter nicht liefern, und verbindliche Zusagen der anderen zentralasiatischen Staaten blieben bis zum heutigen Tag aus. Rußland hingegen konnte hier Erfolge, wie den Bau der Kaspi-Pipeline, erzielen. Am 23. November betonte der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow, daß sein Land weiterhin am Bau dieser Leitung festhalte, die bis zu 20 Milliarden Kubikmeter turkmenischen Erdgases über Kasachstan und Rußland nach Europa liefern soll. Schließlich komme laut der Wyborcza auch iranisches Erdgas für die Nabucco-Leitung nicht in Frage, da dies am Veto der USA scheitern würde.

Neben Rußland kennt der Kommersant noch einen weiteren Sieger dieses Pokers: Sowohl North- als auch South- Stream fänden ihr Ende in Deutschland. Somit würde Moskau einen »Ring aus nördlichen und südlichen Pipelines schließen« und Deutschland in den »größten Umschlagplatz in Europa« für Erdgas verwandeln. Daß dies nicht ganz abwegig ist, zeigt ein weiteres Projekt: Am Dienstag gab Gasprom bekannt, gemeinsam mit der Chemieholding Sibur und dem US-Konzern Dow Chemical einen Gasverarbeitungsbetrieb in Deutschland gründen zu wollen.

* Aus: junge Welt, 28. November 2007


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