Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Putin wird Chef der Kremlpartei "Einiges Russland" ...

... und sicher sich damit eine wichtige Machtbasis

Im Folgenden dokumentieren wir mehrere Artikel und Agenturmeldungen über die Wahl des noch amtierenden russischen Präsidenten Putin zum Vorsitzenden der Partei "Einiges Russland".



Putins großer Auftritt

Scheidender russischer Präsident übernimmt Vorsitz der Kremlpartei »Einiges Rußland«

Von Tomasz Konicz *


Am zweiten Tag ihres Kongresses konnten sich die Delegierten der wichtigsten staatsnahen Partei der Russischen Föderation, »Einiges Rußland«, über prominenten Besuch freuen. Sowohl der scheidende Präsident Wladimir Putin wie auch sein designierter Nachfolger Dmitri Medwedew hatten auf dem Parteitag ihren großen Auftritt vor begeisterten Anhängern. Bei dieser Gelegenheit nahm Putin den Posten des Vorsitzenden von »Einiges Rußland« an, der ihm bereits in der vergangenen Woche von dem bisherigen Parteichef Boris Gryslow angeboten worden war. Die 573 Delegierten wählten Wladimir Putin einstimmig zu ihrem Vorsitzenden. Dmitri Medwedew erklärte hingegen, er halte eine offizielle Mitgliedschaft in »Einiges Rußland« für »verfrüht«.

Ungebrochene Popularität

Bislang war auch Wladimir Putin offiziell nicht Mitglied der Partei, die aufgrund ihrer absoluten Loyalität zum scheidenden Staatsoberhaupt bei Beobachtern als »Präsidentenpartei« ohne eigenes politisches Profil gilt. Der ungebrochenen Popularität Putins, der weiterhin enorme mediale Präsenz genießt, verdankt »Einiges Rußland« in erster Linie das hervorragende Ergebnis bei den letzten Parlamentswahlen. Im März konnte sich die Kremlpartei mit 63,5 Prozent die Zweidrittelmehrheit sichern. Zudem stellt das »Einige Rußland« die meisten Regionalgouverneure in der russischen Föderation.

Der regierungsnahe Fernsehsender »Russia Today« hatte in einer ersten Einschätzung nach der Wahl russische Kommentatoren zitiert, die auf Veränderungen in der politischen Machtstruktur hinweisen, welche eine »Verschiebung Rußlands von der präsidialen zur parlamentarischen Demokratie« mit sich bringen könnten. Putin wurde unlängst von Medwedew auch offiziell aufgefordert, den Posten des Premiers zu übernehmen, den er schon einen Tag nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt, am 8. Mai, antreten soll.

Putins Parteivorsitz bei »Einiges Rußland« könnte als zusätzliche Absicherung gegenüber möglichen Alleingängen Medwedews fungieren, der als Staatsoberhaupt über eine enorme Machtfülle verfügt. Der Präsident braucht die Zustimmung des Parlaments, will er den Premier entlassen. Spekuliert wird in der russischen Öffentlichkeit auch über mögliche Verfassungsänderungen, die eine Beschneidung der Befugnisse des Staatschefs mit sich brächten. Die für Präsident Boris Jelzin nach seinem Putsch gegen den Obersten Sowjet maßgeschneiderte Verfassung der Russischen Föderation räumt dem Staatsoberhaupt nahezu absolutistische Machtmittel ein.

Warnung Medwedews

Bereits vor dem Amtsantritt Medwedews wurde die Kontrolle über die sogenannten Regionalen Bevollmächtigten, die im Auftrag des Kreml die Aufsicht über die Regionen der Russischen Föderation führen, vom Präsidenten auf den Premier übertragen. Medwedew wird von einem Teil der Putinschen Machtbasis, von den aus dem Geheimdienst FSB, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium hervorgegangenen sogenannten Silowiki, entschieden abgelehnt. Die in viele einträgliche Positionen bei russischen Staatsunternehmen vorgerückten Silowiki favorisierten eine dritte Amtszeit Putins oder einen bloßen Platzhalter aus ihren Reihen auf dem Präsidentensitz, der bis zu einer Wiederwahl Putins dieses Amt innehalten sollte.

Medwedew warnte jüngst öffentlich davor, die »neue Konfiguration der Macht« in Frage zu stellen, in der er als Präsident und Putin als Premier zusammenarbeiten würden. Auf seiner Homepage sprach er davon, daß »einige Leute« versucht sein könnten, seine Präsidentschaft anzugreifen.

* Aus: junge Welt, 16. April 2008


Plant Putin große Säuberungsaktion in Kreml-Partei?

Von Andrej Wawra **

Eine wirklich einmalige Situation: Wladimir Putin wird den Vorsitz der größten und mächtigsten Partei in Russland übernehmen, ohne ihr Mitglied zu werden.

Speziell dazu hatte die Partei Geeintes Russland am Vorabend Satzungsänderungen beschlossen, um Putin zum einem Parteichef machen zu können, der eine Mitgliedschaft ablehnt.

Worin könnten die Gründe dafür liegen?

Bekanntlich gibt es mengenmäßig eine großen Differenz zwischen der Unterstützung, die Putin genießt, und der Wählerschaft der Kreml-Partei. Als der Präsident im Dezember seine Zustimmung gab, an die Spitze der Parteiliste zur Staatsduma-Wahl zu treten, brachte das der Partei bestimmt etliche Prozent zusätzlicher Wählerstimmen. Als Folge errang Geeintes Russland einen haushohen Wahlsieg.

In den kommenden vier Jahren sind aber in Russland keine Wahlen in Sicht. Die Partei braucht vorerst keine Wählerunterstützung. Nun muss sich schon die Partei darum bemühen, dass die Popularität ihres Chefs in der Zwischenzeit zumindest nicht sinkt.

Trotz des feierlichen Pathos auf dem Kongress sprach Putin von der Tribüne über Probleme und herangereifte Reformen in der Partei. „Sie muss offener für Diskussionen unter Berücksichtigung der Wählermeinungen sein, sie muss völlig entbürokratisiert und von zufälligen Figuren befreit werden, die ausschließlich persönliche Ziele und Vorteile verfolgen“, sagte er. „Sie muss aktiver mit der Jugend, mit der Intelligenzija, mit Unternehmern, Arbeitern und Werktätigen auf dem Lande zusammen arbeiten.“

Allem Anschein nach ist Putin weiterhin über die Situation in der Partei, über deren Personalpolitik und über ihr Ansehen bei den Wählern besorgt. Trotz der Dominanz der Kreml-Partei in den Machtorganen auf allen Ebenen bleibt der Präsident bei der Überzeugung, dass aus der Partei noch keine wirklich effektive politische Organisation geworden ist, wie es sie in „traditionsreichen Demokratien“ gibt.

In diesem Zusammenhang wird Putin offenbar versuchen, Ordnung in der Partei zu schaffen und diese in eine zeitgemäße und moderne Struktur zu verwandeln. Hier hat er ein großes Arbeitsfeld vor sich. Da nun sein eigenes Ansehen auf dem Spiel steht, wird er das höchstwahrscheinlich recht entschlossen und hart tun.

Insofern wird die Freude der Parteimitglieder über Putins Bereitschaft, den Parteivorsitz zu übernehmen, ziemlich sicher schon bald von anderen Emotionen abgelöst…

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. April; http://de.rian.ru/



Machtverschiebung zugunsten Putins **

Wladimir Putins „Ja“, Vorsitzender von “Geeintes Russland” zu werden, hat allen verdeutlicht, dass er trotz seines Abtritts als Präsident an der Macht bleibt, schreibt die russische Tageszeitung „Wedomosti“ am Mittwoch (16. April).

Die Stärke der Machtvertikale des Präsidenten basiert auf den informellen Vereinbarungen der Schlüsselspieler. Putin könnte als Premier und gleichzeitig als Chef der Kreml-Partei die Übergabe der legitimen Vollmachten an die Regierung fordern.

In der Machtkonstellation „Präsident Medwedew - Premier Putin“ liegt das Übergewicht beim Letzteren. „Geeintes Russland“ kann die Gesetzesvorlagen des Präsidenten im Parlament blockieren. Die von der Partei kontrollierten Parlamente in den Regionen sind in der Lage, die Ernennung von Medwedews Leuten zu Gouverneuren zu vereiteln. Die Abgeordneten können jedes von der Partei und der Regierung Putin vorbereitete Gesetz durchpauken. 315 Stimmen der Parteiabgeordneten reichen aus, um ein Veto des Präsidenten nichtig zu machen.

Medwedew hat fortan geringere Einflusshebel gegenüber dem Premier und der Regierung. Wenn Präsident Medwedew plötzlich den Wunsch hätte, den Premier auszutauschen, würde die Duma in der jetzigen Zusammensetzung keinen anderen Kandidat akzeptieren.

Der Putin-Nachfolger ist übrigens bereit, die Rolle des Premiers und des Parlaments zu stärken. „Wir können einen konkreten Schritt tun, um das im Grundgesetz verankerte Potential der Regierung und der Föderalversammlung aufzudecken“, sagte Medwedew auf dem Kongress von „Geeintes Russland“.

Damit könnte Russland allmählich von einer präsidialen in eine präsidial-parlamentarische Republik abdriften. In dem Fall müssten die Kompetenzen der Regierung präzisiert und die Vorrechte des Präsidialamtes definiert werden. Diese Vorrechte sind heute in der Gesetzgebung nicht verankert und man kann sie unendlich erweitern.

Bislang verläuft die Umverteilung der Macht auf byzantinische Weise, das hei?t außerhalb des öffentlichen Rechtsfelds. Das Ausmaß des Abbaus der Präsidentenvollmachten und deren Rückgabe an Medwedew nach der Übergangsphase hängen von inoffiziellen Vereinbarungen ab. Sie legen fest (oder haben das schon gemacht), in welchem Maße das Präsidialamt seine politischen und kadermäßigen Vorrechte (vergleichbar mit denen des ZK-Apparats der Kommunistischen Partei in der UdSSR) bewahren wird und ob der frischgebackene Präsident imstande sein wird, seinen Gefolgsleuten wichtige Posten zu verschaffen. Die Annahme oder der Verzicht auf die Ausarbeitung neuer Gesetze „Über den Präsidenten“ oder „Über das Präsidialamt“ werden anschaulich zeigen, ob die Staatsgewalt die Neuverteilung der Kompetenzen öffentlich und nachvollziehbar für die Gesellschaft machen will.

** Aus: Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. April; http://de.rian.ru/


Putin Chef der Kremlpartei

Schachzug zur Machtverlängerung des scheidenden Präsidenten

Von Irina Wolkowa, Moskau *


Mit minutenlangem Beifall feierte der Parteitag von »Einiges Russland« am Dienstag in Moskau eine Entscheidung, die die Delegierten nur Sekunden zuvor einstimmig getroffen hatten. Für die nächsten vier Jahre soll Wladimir Putin die Partei führen.

Er, so Putin, nehme den Vorschlag »mit Dankbarkeit an« und werde das neue Amt am 7. Mai antreten. Gleich nach Vereidigung Dmitri Medwedjews zum neuen Präsidenten, die ihn selbst von den Pflichten des Staatschefs entbindet.

Offen bleibt bisher, ob Putin auch bereit ist, Mitglied der Partei zu werden. Er hatte sich von »Einiges Russland« zwar als Spitzenkandidat für die Parlamentswahlen im Dezember nominieren lassen und damit dafür gesorgt, dass die Kremlpartei ihre Zweidrittelmehrheit in der Duma souverän verteidigen konnte. Eine Mitgliedschaft hatte er indes wiederholt abgelehnt. Offiziell begründete er dies damit, dass die Mehrheit der Russen parteilos ist. Das verpflichte auch den Präsidenten zu politischer Neutralität.

Mit Rücksicht darauf hatten die rund 600 Delegierten am Montag Änderungen der Parteistatuten beschlossen. Sie machen Boris Gryslow, den Vorsitzenden des Obersten Rates, in dessen Händen die Parteiführung bisher lag, de facto zum Generalsekretär und Koordinator. Die eigentliche Macht dagegen geht an den Vorsitzenden über. Dieses Amt wurde erst am Montag geschaffen, die Regelung am selben Tag vom Justizministerium bestätigt. Dort müssen Russlands Parteien Änderungen ihrer Satzungen hinterlegen, andernfalls verlieren sie die Zulassung.

Die am Dienstag (15. April) verabschiedete Lösung gereiche beiden Seiten zum Vorteil, meint Lilija Schewzowa von der Moskauer Carnegie-Stiftung. Mit dem populären Putin als Chef würden die Überlebenschancen der Partei deutlich steigen. Deren harter Kern bestehe aus Beamten, Putin behalte daher die Kontrolle über den Staatsapparat, könne zudem die Macht nach Belieben neu konfigurieren und gegenüber Medwedjew eine effektive Vorwärtsverteidigung aufbauen. Ähnlich sieht das Stanislaw Belkowski vom Institut für Nationale Strategien. »Einiges Russland« hätte seinen Parteitag bewusst vor dem Machtwechsel im Kreml einberufen: Als Präsident könnte Medwedjew Putin verbieten, sich zum Parteichef küren zu lassen. Mit der Begründung, er müsse als Premier über den Parteien stehen. Das sollte vor allem verhindert werden, weil sich Pläne der Einheitsrussen, wonach künftig die stärkste Duma-Fraktion den Premier stellt, dann ebenfalls erledigt hätten.

Putin hatte sich für diese Option schon bei seiner Nominierung zum Spitzenkandidaten ins Zeug gelegt. Vor allem, weil es für die Amtszeiten des Regierungschefs keine Begrenzungen gibt. Genau das, so vermutet Belkowski, würde auch Medwedjew sauer aufstoßen.

Zumal er seinen Premier in überschaubaren Zeiträumen nicht mal per Palastrevolution loswerden kann. Zwar könnte er ihn entlassen und einen Mann seines Vertrauens ernennen. Doch dem dürfte die von der Putin-Partei dominierte Duma die Zustimmung verweigern und gleich danach gegen Medwedjew ein Absetzungsverfahren einleiten.

Putin, so befürchtet Belkowski, reichen diese Sicherheiten jedoch nicht. Er wolle Medwedjew daher notfalls durch »Zwangsbindung« an »Einiges Russland« disziplinieren. Dieser hatte sich zur Kremlpartei mehrfach noch abfälliger als Putin selbst geäußert. Seine Kritik gilt indes weniger dem Inhalt als der Form: Die Holzhammer-Methoden von Putins Extschekisten empfinden Russlands junge Business-Eliten, zu denen auch Medwedjew zählt, schlicht als unappetitlich.

Der nachtragende Gryslow hatte »den Neuen« daher zunächst nicht mal auf die Gästeliste des Parteitages gesetzt. Angeblich auf Befehl von ganz oben musste er sich in letzter Minute jedoch korrigieren und Medwedjew sogar das Statement zur Begründung von Putins Wahl überlassen. Dass dieser die Kröte schluckte, werteten hiesige Analysten bereits als erste administrative Schlappe des neuen Kremlchefs.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. April 2008


Zurück zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage