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Widerstand mit "Weißer Woche"

Neue Protestaktionen der Putin-Gegner

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die russische Opposition ist nicht in bester Verfassung. Neue Protestaktionen sollen den Widerstand beleben.

Ein Fahrradkorso steht auf dem Programm, ein Subbotnik ebenfalls. Teilnehmer sollen bei beiden Veranstaltungen dafür sorgen, dass die Farbe Weiß dominiert. Sie steht für Gewaltlosigkeit. Mit weißen Bändern an den Jacken kamen im Winter in Moskau auch Tausende zu den Protesten gegen angeblich gefälschte Wahlen.

Doch seit dem bisher letzten Meeting Anfang März sind über fünf Wochen ins Land gegangen. Weitere drei werden verstreichen, bis der erneut zum Präsidenten gewählte Wladimir Putin Anfang Mai den Amtseid auf die russische Verfassung ablegt. Am Vorabend wollen dessen Gegner die Nation erneut darauf aufmerksam machen, dass Parlament und Präsident wegen Wahlfälschungen unzureichend legitimiert sind, und die Wiederholung der Abstimmungen fordern. Mit einer »Weißen Woche«, die am Montag begann, wollen die Koordinatoren der Proteste Moral und Kampfgeist ihrer Anhänger heben.

Eine Million Menschen aus allen Teilen Russlands werde am 6. Mai nach Moskau kommen und Putins Rücktritt fordern, glaubt einer der Koordinatoren, Sergej Udalzow, Chef der Linken Front. Auch wohlwollende Experten bleiben skeptisch. Die Teilnehmerzahlen der Proteste sind rückläufig und die Gegensätze zwischen Liberalen, Linken und Nationalisten eskalieren. Der »Marsch der Million« ist bisher nur ein Projekt der Linken. Die stärkste Gruppe der Protestler - die Liberalen - verprellt zum einen Udalzows Gewaltbereitschaft, zum anderen spitzt sich auch der Interessenkonflikt der rivalisierenden Führer in der von den Liberalen gegründeten Liga der Wähler zu.

Die Fronten verlaufen dabei zwischen Politikern, die einst selbst hohe Ämter bekleideten und erst nach ihrer Entlassung zur Opposition wechselten, und den Sprechern sozialer Netzwerke. Profis wie Expremier Michail Kasjanow oder Exvizepremier Boris Nemzow bescheinigen Neulingen wie Udalzow oder dem Blogger Alexej Nawalny schon mal den »politischen Weitblick eine Feldwebels« und werden von diesen beargwöhnt, »mit einem Bein nach wie vor im Lager der Macht zu stehen«.

Und ausgerechnet das auf Druck der Massenproteste verabschiedete neue Parteiengesetz, mit dem die Zulassung drastisch vereinfacht wird, heizt Rivalitäten und Profilierungsneurosen weiter an. Statt der bestehenden Partei der Volksfreiheit (PARNAS) von Kasjanow und Nemzow beizutreten und deren Programm mitzugestalten, wollen Nawalny und Co. eigene Parteien gründen. Obwohl die Liberalen, deren Zustimmungsraten seit Jahren konstant bei maximal neun Prozent liegen, nur mit einer »Einheitspartei« die Fünf-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen nehmen und den Sprung zur parlamentarischen Opposition schaffen können. Das aber ist vor allem deshalb wichtig, weil das Staatsfernsehen - für weite Teile der Bevölkerung nach wie vor wichtigste Informationsquelle - nur über die Duma-Parteien berichten muss. Und die Praxis zeigt, dass sich Parteien nur bei kontinuierlicher Medienpräsenz neue Zielgruppen erschließen können.

Die Mitte-Links-Partei Gerechtes Russland führt das mit dem Hungerstreik im südrussischen Astrachan gerade erfolgreich vor. Immerhin will sich Russlands oberster Wahlkampfleiter Wladimir Tschurow die Aufzeichnungen der Webcams in den Wahllokalen persönlich ansehen. Diese, so behaupten die Gerechten Russen, würden zeigen, wie die Ergebnisse der Bürgermeisterwahl in Astrachan Anfang März manipuliert wurden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. April 2012


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