Abhängigkeit vom Ölpreis
Exportdominanz könnte Russland bei einer globalen Rezession zum Verhängnis werden
Von Irina Wolkowa, Moskau *
In Russland fallen die Aktienkurse derzeit besonders stark. Die massive Abhängigkeit von den Rohstoffmärkten fordert ihren Tribut.
Russische Börsenhändler und Aktienbesitzer hatten die Zurückstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor's als böses Omen gewertet. Zu Recht: Am Montag stürzten an den Moskauer Börsen die Kurse, die bereits in der vergangenen Woche kräftig nachgegeben hatten, besonders deutlich ab. Der RTS-Index schloss den Handel mit einem Minus von 7,5 Prozent. Vor allem Finanz- und Energiewerte waren erheblich unter Druck. Ebenso der Rubel: Erstmals in diesem Jahr riss der Wechselkurs die Latte von 41 Euro.
Bewahrheiten sich Befürchtungen, wonach die Turbulenzen an den Weltbörsen nur das Vorspiel zu einer neuen globalen Rezession sind, hätte gerade Russland, das sich noch nicht gänzlich von der Finanzkrise 2008 erholt hat, schlechte Karten. Dann würde die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen wie Öl, Gas und Metallen erneut zurückgehen, wodurch deren Preise automatisch fallen. Russland hat noch immer nicht, wie von Ökonomen gefordert, seine Wirtschaftsstrukturen diversifiziert – weg von Rohstoffexporten, hin zu verarbeitender Industrie. Weder Präsident Dmitri Medwedjew noch Regierungschef Wladimir Putin sind über Absichtserklärungen hinausgekommen. Daher finanziert sich der russische Staatshaushalt nach wie vor zu mehr als zwei Dritteln aus Exporterlösen im Bereich Energie. Wenn diese, weltwirtschaftlich bedingt, massiv schrumpfen, käme es zu hohen Defiziten. Einsparungen im sozialen Bereich aber kommen angesichts nahender Wahlen so wenig in Betracht wie die Kürzung des Verteidigungsetats.
Ein weiteres Problem: Nicht mehr zu finanzieren, wären die derzeit hohen Importüberschüsse. Ob Klopapier, Milch oder Hightech – statt solche Waren selbst zu produzieren, geht Russland mit den Petrodollars im Ausland auf Einkaufstour.
Um dem Dilemma zu entkommen, hätten Kreml und Regierung zwei Möglichketen: die Notenpresse anzuwerfen, was angesichts der Hyperinflation in den 1990er Jahren und der daraus resultierenden sozialen Verwerfungen niemand vorhat, oder sich auf internationalen Finanzmärkten massiv Geld zu borgen. Ein ausgeglichener Haushalt, warnte die Wirtschaftszeitung »Wedomosti«, sei nur ab einem Ölpreis von 115 US-Dollar pro Fass möglich. Sinkt er dagegen auf 45 Greenbacks, was angesichts einer neuen Rezession als möglich angesehen wird, könnten sich die Staatsschulden schon 2013/14 auf 21 Prozent des Bruttoinlandsproduktes summieren – eine Quote, die selbst Griechenland nicht erreicht hat. Und dann würde auch der Druck auf den Rubel weiter wachsen.
Die hiesige Prophetenzunft war während der Euro-Krise und des Gerangels um die Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA zunächst nur verhalten pessimistisch. So dicke werde es für Russland nicht kommen, der Energiehunger der schnell wachsenden Schwellenländer – allen voran China – werde die sinkende Nachfrage im Abendland mehr als kompensieren. Diese Rechnung erwies sich aber schon 2008 in der Weltwirtschaftskrise als Fehlspekulation – und dürfte auch diesmal nicht aufgehen.
* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2011
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