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Kein Obama-Fieber, eher Schüttelfrost

Russland: Dmitri Medwedjew redet gegenüber dem künftigen US-Präsidenten von Anfang an Klartext

Ulrich Heyden *

Wenn man es historisch sehe, sei das russisch-amerikanische Verhältnis "ein weltweit wichtiger Stabilitätsfaktor", schreibt Präsident Dmitri Medwedjew in seinem Glückwunschtelegramm an Barack Obama. Er hoffe auf mehr Kooperation. Möge sich die kommende US-Administration zugunsten "vollwertiger Beziehungen" mit Russland entscheiden.

Von Obama-Fieber ist in Moskau wenig zu spüren. Im Gegenteil, am Sonntag vor der US-Wahl zogen 10.000 Anhänger der Naschi-Jugend - sie vereint den Nachwuchs der Regierungspartei Einiges Russland - vor die US-Botschaft, ausgerüstet mit Plakaten und Halloween-Kürbissen, darauf die Namen von Irakern und Afghanen, die während der vergangenen Jahre zu Opfern der US-Armee wurden.

Weil sich das russische Fernsehen in der Wahlnacht höchst abstinent verhielt und auf Sondersendungen verzichtete, gab in Moskau nur der Sarlite-Diner-Club eine Wahlparty, auf der eingefleischte Liberale und Democrats abroad (Demokraten im Ausland) feierten, ansonsten schien die russische Kapitale nicht sonderlich begierig zu erfahren, ob Obama in Ohio oder New Mexico gegen McCain verloren oder gewonnen hatte.

Taifun und Hurrikan

Nach einer Umfrage des Lewada-Instituts haben 64 Prozent der Russen die Wahlen in den USA nicht verfolgt. Von den anderen, die keiner solchen Enthaltsamkeit verfielen, sympathisieren 35 Prozent mit Obama, von denen wiederum 40 Prozent glauben, die russische Führung werde mit einem Präsidenten der Demokraten eher eine gemeinsame Sprache finden als bisher mit dem Republikaner Bush.

Ob der Kreml diesen Eindruck teilt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Moskauer Zeitungen verweisen darauf, dass sich Barack Obama zwar skeptisch zur geplanten Raketenabwehr in Polen und Tschechien geäußert habe, doch zugleich den Anspruch der Russischen Föderation auf Einfluss in Nachbarstaaten wie der Ukraine, Georgien oder Armenien bestreite.

Die politische Elite scheint Obama zu fürchten wie einen Schüttelfrost, das heißt, nicht sehr, aber ein bisschen eben doch. Dieser Präsident könnte auf Soft-Power setzen und für Russland unangenehme Situationen heraufbeschwören, schreibt Dmitri Kosyrew von der Agentur Ria Nowosti, sollte er etwa dazu aufforderen, die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens zurückzunehmen, und im Gegenzug "irgendwelche Zugeständnisse" anbieten. Ganz Europa werde dann auf Russland zeigen, das sich weigert, dem neuen Liebling einen Gefallen zu tun.

Alexander Konowalow, Direktor des Instituts für strategische Studien, meint unumwunden: "John McCain hegt zwar keine besondere Sympathien für Russland, aber er ist berechenbar." Ein Präsident der Republikaner hätte "nicht jeden Tag beweisen müssen, dass er sich nicht an die Kommunisten verkauft". Mit dem Demokraten Kennedy - seinerzeit als Hoffnungsträger ebenso hofiert wie Obama heute - sei es "zur Kuba-Krise gekommen". Mit dem republikanischen Hardliner Nixon dagegen habe man die ersten Verträge zur strategischen Abrüstung, damals vor allem das SALT-I-Abkommen, unterschrieben. Mit anderen Worten, ein Wahlsieger McCain hätte dem Kreml vielleicht besser gelegen. Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin formuliert es so: "Obama und McCain - das ist für mich wie ein Taifun und ein Hurrikan."

Falsches Signal am falschen Tag?

Schließlich hörte man am 5. November, am Tag nach der US-Wahl, aus Moskau auch noch einen Paukenschlag, der so klang, aber keiner war. Präsident Medwedjew teilte in seiner Rede zur Lage der Nation lediglich mit, man werde im westlichsten Gebiet Russlands, im Raum Kaliningrad, auf Schiffen moderne Iskander-Kurzstreckenraketen stationieren, eine Antwort auf den von der Bush-Regierung ausgehandelten Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien sowie die Einkreisung Russlands durch Militärbasen und neue NATO-Mitglieder oder -anwärter. Mit ihrem Beistand für die "abenteuerliche Führung Georgiens", aber nicht minder als Verursacher der Weltfinanzkrise - so Präsident Medwedjew - hätten die Vereinigten Staaten den Anspruch auf globale Führerschaft verwirkt. Es müsse eine "radikale Reform des politischen und wirtschaftlichen Systems" in der Welt geben, mehrere Finanzzentren und der Rubel als regionale Währung sollten respektiert werden.

Waren die Iskander-Raketen das falsche Signal am falschen Tag? In Moskau hat das niemanden verwundert. Der Kreml will wissen, woran er mit dem Nachfolger von Bush ist - je eher, desto besser. Die Amerikaner sollten Polen und Tschechien nicht mit Patriot-Raketen beglücken und ihre Eindämmungspolitik gegenüber Russland aufgeben, sagt Medwedjew schnörkellos und zwingt Obama zur Reaktion. Wer Klartext redet, macht es der anderen Seite leichter, ebenso zu verfahren.

Russland will nicht angehört, sondern ernst genommen werden, besonders mit seiner vehementen Kritik an einer Überdehnung der NATO im Osten. Kreml-Berater Sergej Markow hofft inständig, eine Obama-Administration werde "von der verrückten Idee" abrücken, den Einfluss Russlands auf das Territorium innerhalb der russischen Grenzen zu beschränken. Russland sei nun einmal eine Weltmacht und wolle um sich herum "befreundete und keine feindlichen Länder".

* Aus: Wochenzeitung "Freitag", Nr. 46, 13. November 2008


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