Die Gewalt eskaliert
Neofaschistische Ausschreitungen in russischen Großstädten führen immer häufiger zu Todesopfern. Anzahl militanter Rassisten im Land wird auf etwa 70000 geschätzt
Von Tomasz Konicz *
Die rassistische Gewalt in Rußland eskaliert. Am 24. Juli meldete die
Moskauer Staatsanwaltschaft die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens
gegen eine Bande rechter Skinheads, deren Mitglieder der Ermordung von
21 Menschen verdächtigt werden. Die sieben Beschuldigten wurden im Mai
unter Mordverdacht an zwei usbekischen Staatsbürgern festgenommen. Im
weiteren Verlauf gestanden sie Morde an weiteren 19 Personen »mit
nicht-slawischem Aussehen«. In Moskau laufen bereits mehrere Prozesse,
in denen größtenteils jugendliche Angeklagte beschuldigt werden,
Dutzende Morde an Ausländern oder Mitgliedern ethnischer Minderheiten
begangen zu haben.
So stehen seit dem 28. Juli zwölf Skinheads wegen mehrfachen Mordes vor
Gericht. In einem weiteren Verfahren werden neun rechte Skins – darunter
zwei siebzehnjährige – beschuldigt, 20 Menschen umgebracht zu haben. Bei
den Ermittlungen kamen erste Details über die bestialischen Morde
zutage. Eine Gruppe von Rechten habe laut Staatsanwaltschaft die Leiche
ihres kasachischen Opfers in einer Wohnung in Stücke gehackt und diese
dann im Hof des Hauses vergraben. Diese Angeklagten gehören der
»National-Sozialistischen-Gesellschaft« (NSG) an, einer der
aggressivsten und radikalsten der unzähligen russischen Neonazigruppen.
Zu den rechtsextremen russischen Neonaziskins, die für einen Großteil
der rassistischen Übergriffe in Rußland verantwortlich sind, werden rund
70000 Personen gerechnet. Die in losen Banden oder in rußlandweit
wirkenden Organisationen wie der NSG aktiven Rechten sind in allen
Großstädten des Landes präsent, wobei St. Petersburg und Moskau
besondere Schwerpunkte bilden. Der Organisationsgrad der Faschisten
nehme laut der Exekutivdirektorin des Moskauer Büros für Menschenrechte,
Natalja Rykowa, schnell zu: »Sie sind bewaffnet und gut ausgebildet.
Deshalb nimmt die Zahl der Überfälle mit tödlichem Ausgang zu ... Dabei
läuft auch die nationalistische Propaganda auf vollen Touren:
Herausgegeben werden knapp 100 fremdenfeindliche Zeitungen, auf die
sieben Verlage spezialisiert sind«, warnte Rykowa gegenüber der
Nachrichtenagentur RIA-Nowosti.
Den Angaben des Moskauer Menschenrechtsbüros zufolge sind in diesem Jahr
– bis zum 15. Juli 2008 – bei 170 faschistischen Überfällen 80 Menschen
getötet und 195 verletzt worden. Im gesamten Vorjahr kamen aufgrund
rassistischer Übergriffe 50 Menschen ums Leben, 200 wurden verletzt. Die
russischen Ermittlungsbehörden meldeten 250 rassistische Straftaten im
ersten Halbjahr 2008, was einem Anstieg der rechten Gewalt um 67 Prozent
gleichkommt. Besonders heftig war der Anstieg in Moskau: »Es fielen
insgesamt 73 Straftaten unter diese Kategorie«, erklärte der Moskauer
Generalstaatsanwalt Alexander Bastrikin gegenüber RIA-Nowosti, wobei im
Vorjahreszeitraum »nur 13 solcher Straftaten« gezählt worden seien.
Die Stiefelfaschisten können auf weit verbreitete xenophobe
Ressentiments in der russischen Bevölkerung aufbauen. RIA-Nowosti
berichtete im April 2008 von besorgniserregenden Umfragen, denen zufolge
beispielsweise nur 37 Prozent der Russen der Meinung sind, daß es »sehr
wichtig« sei, daß Menschen unterschiedlicher Abstammung gleich behandelt
würden. Zugleich stieg der Anteil der Bürger der Russischen Föderation,
die der Parole »Rußland den Russen« zustimmen, in den letzten Jahren von
46 Prozent auf 56 Prozent. Ein gutes Drittel der Umfrageteilnehmer gab
überdies an, daß Vertreter der »nichtrussischen Nationalitäten an allen
Nöten unseres Landes schuld« seien. Eine weitere Befragung ergab, daß
gut ein Viertel der daran Beteiligten »Gereiztheit und Feindseligkeit
gegenüber diesen oder anderen Völkern« empfindet.
* Aus: junge Welt, 6. August 2008
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