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Ein lupenreiner Nationalist

Der in Russland angeklagte Blogger Alexej Nawalny hat in Deutschland viele Fans

Von Aert van Riel *

Politiker von Union und Grünen haben heftige Kritik an dem Umgang der russischen Justiz mit dem Blogger Alexej Nawalny geübt. Dass dieser den rechtsextremen Nationalisten nahe steht, stört sie offenbar nicht.

Infolge der zunehmenden Gängelung der russischen Opposition durch die Regierung ist Anfang dieser Woche Anklage gegen Alexej Nawalny erhoben worden. Der 36-jährige Oppositionelle wird beschuldigt, zwischen April und August 2009 als Berater des Gouverneurs den staatlichen Holzbetrieb Kirowles um etwa 16 Millionen Rubel (400 000 Euro) geschädigt zu haben. Die Vorwürfe sind nicht neu. Die Ermittlungen gegen ihn wurden schon 2010 aufgenommen und im Januar 2011 wegen Mangels an Beweisen zwischenzeitlich eingestellt.

Für viele Medien ist das Vorgehen der Justiz gegen Nawalny, dem bis zu zehn Jahre Haft drohen könnten, ein gefundenes Fressen, um gegen den ungeliebten Präsidenten Wladimir Putin Stimmung zu machen. So titelte etwa Spiegel online: »Russland klagt Anti-Putin-Blogger an.« Und die »Süddeutsche Zeitung« vermutete: »Sicher kann es Zufall sein, dass nun der Prozess gegen Pussy Riot begann und zeitgleich Anklage gegen Nawalny erhoben wurde, da viele Russen auf ihren Datschen urlauben. Doch tatsächlich dürfte der Zeitpunkt Kalkül sein.« Deutlicher wurde die »tageszeitung«, die befürchtete, Putin könnte einen »Zermürbungskrieg gegen die Opposition« eröffnet haben.

In der deutschen Berichterstattung wird Nawalny oft als Bürgerrechtler dargestellt, weil er in der Vergangenheit vermeintliche oder tatsächliche Machenschaften der korrupten Machtelite aufgedeckt hat. Dass er sich öffentlichkeitswirksam als Opfer russischer Polizeiwillkür inszeniert, indem er seine Festnahmen bei nicht genehmigten Demonstrationen provoziert, wird hingegen kaum kritisch hinterfragt.

Zu Nawalnys Fangemeinde zählt hierzulande auch die menschenrechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion und notorische Geschichtsrevisionistin, Erika Steinbach. »Mit der Anklage gegen Nawalny gerät ein weiterer bekannter Gegner Putins ins Visier. Mit der Verhaftung dutzender Oppositioneller in Moskau und St. Petersburg macht sich die russische Justiz erneut zum Büttel und Komplizen der Regierung«, ließ die Konservative jüngst verlautbaren. Auch der einstige DDR-Bürgerrechtler und heutige Grünen-Europaabgerodnete Werner Schulz meldete sich zu Wort. Er warf der russischen Regierung vor, sie wolle durch »Verfahren gegen zahlreiche Demonstranten« die Opposition mundtot machen.

In diesen Solidaritätsbekundungen wird allerdings verschwiegen, dass Nawalny eine zwielichtige Person ist. Nach einigen Jahren Mitgliedschaft in der sozialliberalen Jabloko-Partei wurde er im Jahr 2007 nach internen Differenzen ausgeschlossen. Seitdem hat sich der Jurist dem rechten Spektrum angenähert. Laut Bundeszentrale für politische Bildung ist er »ein radikaler russischer Nationalist«, der als Aktivist der Bewegung Narod (Nationale russische Befreiungsbewegung) versuche, nationalistische und liberale Ansätze zu verbinden.

Der Verfechter eines liberaleren Waffengesetzes forderte vergangenes Jahr, »militante Kaukasier« mit der Pistole zu bekämpfen. Im Herbst trat er beim »Russischen Marsch« vor schwarz-gelb-weißen Zarenflaggen schwenkenden Rechtsextremisten als Volkstribun auf und wetterte dort gegen die Oligarchen. Nawalny beendete seine Rede mit dem Nationalisten-Gruß »Es lebe Russland«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. August 2012


Russischer Oppositionspolitiker Nawalny angeklagt

Nach Punkband Pussy Riot wird weiterer Putin-Gegner vor Gericht gestellt **

Dem Oppositionspolitiker und Blogger Alexej Nawalny drohen zehn Jahre Haft, weil er einen Staatsbetrieb um umgerechnet 38 000 Euro betrogen haben soll. Der 36-Jährige gehört zu den wichtigsten Organisatoren von Massenprotesten gegen Putin. Unterdessen ging am Dienstag der Prozess gegen drei Mitglieder der Punkband Pussy Riot weiter. Die seit fast fünf Monaten inhaftierten Frauen, warfen der Justiz «Folter» vor.

«Wir haben nicht geschlafen und kein Essen bekommen - das ist Folter», sagte Maria Aljochina (24) am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. Nebenkläger warfen den Künstlerinnen am zweiten Prozesstag hingegen vor, sie hätten ihnen mit dem Punk-Gebet gegen Putin und den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill in der Moskauer Erlöserkathedrale seelische Schmerzen bereitet.

Wegen der Aktion in der wichtigsten christlichen Kirche in Russland am 21. Februar drohen Aljochina sowie Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Jekaterina Samuzewitsch (29) sieben Jahre Haft. Die Anklage wirft ihnen Rowdytum aus religiösem Hass vor. Sie hätten mit ihrem «vulgären» Tanz im Altarraum die Gefühle der Gläubigen beleidigen wollen.

Die Verteidigung spricht hingegen von einem politischen Schauprozess, in dem die russisch-orthodoxe Kirche als Mittel zum Zweck genutzt werde. Ein Sicherheitsmann der Kathedrale sagte als einer von neun Nebenklägern aus, er habe wegen psychischen Stresses zwei Monate nicht arbeiten können. Er hege jedoch keinen Groll gegen die Frauen und sei bereit zu vergeben. Als «satanischen Veitstanz» kritisierten Kirchenmitarbeiter den Auftritt, der heilige Traditionen verletzt habe. Ein Messdiener wies die Entschuldigung der Angeklagten als «oberflächlich» und «blasphemisch» zurück. Die Anklage stützt sich vor allem auf die Nebenkläger, um zu beweisen, dass Pussy Riot vorsätzlich und nachhaltig die Gefühle der Gläubigen beleidigt hat.

Bei einer Vernehmung ordnete die Ermittlungsbehörde an, dass Nawalny seinen Wohnort nicht ohne polizeiliche Genehmigung verlassen dürfe. Der Anwalt nannte die Anklage gegen sich «absurd». Die Opposition wirft der Justiz vor, Andersdenkende politisch kaltstellen zu wollen. Die Grande Dame der russischen Bürgerrechtsbewegung, die 85 Jahre alte Ljudmila Alexejewa, nannte das Vorgehen einen «Angriff auf die gesamte Opposition».

Der Grünen-Europaparlamentarier Werner Schulz kritisierte die Anklage gegen Nawalny scharf. «Verfahren gegen zahlreiche Demonstranten und die Punkband Pussy Riot oder die Eilgesetzgebung gegen die Zivilgesellschaft sollen die Opposition mundtot machen», teilte Schulz mit.

In den Metropolen Moskau und St. Petersburg nahm die Polizei mindestens 35 Kremlkritiker fest, die bei nicht genehmigten Kundgebungen gegen Putin demonstrieren wollten. Darunter war auch der Autor und Gründer der Nationalbolschewistischen Partei Eduard Limonow, wie Interfax meldete.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 1. August 2012


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