Diplomaten-Affäre um Nato: Zufall oder Gesetz?
Nach dem Diplomaten-Skandal zwischen Russland und der Nato haben sich die Wogen anscheinend wieder geglättet
Von Dmitri Kossyrew *
Jetzt ist die Zeit reif, darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Dabei sollte keine Taktiererei, sondern Ernsthaftigkeit eine Rolle spielen.
Es geht also nicht darum, wann die zwei von Brüssel verpatzten Treffen in der Kooperation zwischen Russland und der Nato stattfinden werden, sondern vielmehr darum, für welche Ziele wir diese Zusammenarbeit ausbauen sollen. Dann wird allen klarer sein, wie das getan werden könnte.
Was das Ende des Skandals angeht, so sieht das Bild so aus: Innerhalb ungefähr einer Woche werden zwei kanadische Diplomaten, die im russischen Nato-Informationszentrum tätig waren, Moskau verlassen. Dementsprechend werden zwei russische Diplomaten, die in der Informationsstelle der russischen Nato-Vertretung gearbeitet hatten, Brüssel verlassen müssen.
Das Generalstabschefs-Treffen und die Ministersitzung des Russland-Nato-Rats, die am 18. und 19. Mai in Brüssel hätten abgehalten werden sollen, kommen nicht zustande. Alles in allem wird es nicht zur Wiederherstellung der früheren Russland-Nato-Beziehungen kommen, die hauptsächlich auf formelle und sinnlose Sitzungen mit dem Austausch von Meinungen hinausliefen.
Es scheint unmöglich, hier noch etwas grundsätzlich Neues zu sagen und zu tun (obwohl Russland viele Diplomaten hat, die ausgewiesen werden können), so dass das Rennen zu den Startlöchern zurückkehrt.
Das geschieht ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Washington mit US-Außenministerin Hillary Clinton das Russland-Nato-Verhältnis bespricht und die Allianz zugleich eine Computer- und Kommunikationsübung in Georgien absolviert, einem aggressiven Land, das im vergangenen August eine große militärische Krise in Europa beschert hatte.
Von Moskaus Standpunkt aus sind dabei zwei Wege möglich, an die Situation heranzugehen. Der erste: Die Nato führt sich wie eine Frau auf, die nicht kampflos zugeben will, dass sie nicht mehr gebraucht wird. Oder, wenn man will, wie Nordkorea, das nicht zu warten wünscht, bis Washington seine neue Korea-Politik formuliert haben wird, und allerlei Raketenstarts veranstaltet.
Von dieser Version ausgehend ist der von der Nato verursachte Skandal ein Zufall, der den wirklichen Anforderungen der Situation nicht entspricht. In der Tat, Georgiens Angriff gegen die russischen Friedenssoldaten (und Ermordung von friedlichen Bürgern in Zchinwal) hat gezeigt, wohin die Zunahme der Feindseligkeit, die Umzingelung Russlands durch immer neue Nato-Mitglieder und -Beitrittsanwärter und vieles andere führen.
Die USA als wichtigster Motor der Nato haben jetzt in ihrer Politik vor allem Afghanistan und Pakistan im Visier. Von den europäischen Nato-Staaten erwarten die Amerikaner die Unterstützung, von Russland und vielen anderen Ländern der Region (Iran, Indien, China) wollen sie dasselbe.
Die Verschärfung der Spannungen in Europa fügt sich in diese Politik nicht ein. Das wurde denn auch auf der Dezember-Tagung des Nato-Rats zugegeben, als die Idee der Nato-Erweiterung nach Georgien und in die Ukraine auf Eis gelegt und eine Wiederaufnahme des Dialogs im Russland-Nato-Rat beschlossen wurde.
Dieser Version zufolge wollen gewisse böse Kräfte Barack Obama ein Bein stellen, den Aufbau seiner neuen Außenpolitik bremsen und ihn in die Sackgasse namens George W. Bush zurückzuzwingen. Aber das ist kein Grund zur Aufregung: Russland braucht nur zu warten, bis sich die Nato selber über ihre Prioritäten klar ist, und alles wird gut.
Unter anderem wäre es einfach irgendwie peinlich gewesen, die Nato-Manöver in Georgien abzusagen, aber in einem oder zwei Jahren wird Brüssel sich umgestellt haben und solche Schritte nicht mehr tun.
Einer anderen Einschätzung der Situation zufolge ist die Nato ein ausgesprochenes Offensivbündnis, das seine Kräfte 1999 in Jugoslawien bereits erprobt, sich dann dem Zugang zu den Energieressourcen (Irak) gewidmet hat und jetzt energisch den Versuch unternimmt, den Aufstieg der neuen großen Mächte (China, Indien, Brasilien, Iran, Russland usw.) zu stören.
Zudem haben die kleinen und schwachen osteuropäischen Staaten an Einfluss in der Nato gewonnen; ihnen geht es darum, die europäischen "Großen" (Deuschland oder Italien) zu schwächen.
Die Neulinge bilden ein Bündnis mit den Konservativen in den USA, die wissen: Obama wird nicht ewig und die Krise bald vorbei sein. Dann werden diese Neulinge den US-Konservativen helfen, die Welt in die gleiche Bush-Sackgasse zurückzuzwingen, zur Konfrontation an der West-Ost-Linie, wo auch immer sie in etwa acht Jahren verlaufen wird.
In diesem Fall ist der Skandal zwischen Russland und der Nato kein Zufall, sondern eine Gesetzmäßigkeit, nicht weniger logisch als die vom Steuerpult aus gelenkte militärische Übung in Georgien und vieles andere.
Russland sollte davon ausgehen, dass beide Versionen der Ereignisse richtig sind, dass wir es also mit politischem Chaos zu tun haben und dass alle großen Mächte angesichts des Wandels qualvoll nach einem neuen Kurs suchen. Eine solche Situation aber macht die Versuchung groß, diesen Kurs zu verhärten, denn sonst könnte das als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden.
Es muss zugegeben werden, dass sich Moskau ebenfalls in einem außenpolitischen Übergangszustand befindet und sich über viele wichtige Fragen ziemlich karg äußert. Insbesondere über diese: Wozu überhaupt muss es die Russland-Nato-Beziehungen geben? Wie fügen sie sich in das gewünschte Bild der Beziehungen zur euroatlantischen Gemeinschaft ein?
Russland hat zum Beispiel Europa eine gemeinsame Energiestrategie angeboten (mehrmals abgelehnt) und vorgeschlagen, ein "Helsinki-2", das heißt den Prozess der Ausarbeitung einer euroatlantischen Sicherheitsarchitektur, anzufangen.
Bislang ist das noch nicht auf Ablehnung gestoßen, wenn auch bis zur Einigung ein langer Weg ist. Es fehlt möglicherweise an einer einfachen Formel dafür, was Russland braucht.
Beispielsweise an einer solchen: Es gilt, zuerst erneut zu vereinbaren, dass die gegenseitigen (militärischen, politischen und sonstigen) Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen sind. Auf dieser Grundlage müssen die Partnerbeziehungen in der Wirtschaft und anderen Bereichen aufgebaut werden, denn sonst werden sich die Krisen wiederholen.
Dann wird klarer sein, worüber man mit der Nato sprechen kann. Heute auf jeden Fall ist klar, dass die Russland-Nato-Grundakte von 1997 ein nutzloses Dokument ist und samt allen von ihr hervorgebrachten sinnlosen Sitzungen ersetzt werden müssen. Denn sie haben nicht geholfen, den Georgien-Konflikt im August zu verhindern, nicht geholfen, ihn zu überwinden, und sie interessieren überhaupt niemanden.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.
* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Mai 2009
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