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Waffendeals und Kultur

Medwedew in Frankreich - Russland kauft "Mistral"-Hubschrauberträger

Von Andrej Fedjaschin *

Gäbe es nicht die gegenseitige Anziehung der Kulturen Frankreichs und Russlands, würde es wohl häufiger zwischen beiden Länder krachen.

Präsident Dmitri Medwedew, der am Montag (1. März) in Paris zu seinem ersten Staatsbesuch eingetroffen ist, beginnt im Prinzip ebenfalls mit Kultur. Auf jeden Fall ist die Eröffnung der Ausstellung "Die Heilige Rus" in Paris das Highlight im Programm seines dreitägigen Besuchs (1. bis 3. März). Egal in welche dunkle Spalte die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kreml und dem Elysée-Palast manchmal auch geraten waren, die Kultur bot fast immer die rettende Möglichkeit, sie wieder in die Sonne hinauszuführen. Das ist derzeit auch der Fall.

Am spannendesten ist es, alle Staatsbesuche durch die "Seitentüren" zu beobachten, weil das Zeremoniell in den Vorzeigeräumen mehr oder weniger bekannt ist. Zudem war im November Putin mit einer "großen Handelsdelegation" in Frankreich. Ihn begleiteten damals die Chefs beinahe aller russischen Öl- und Gas-, Energie-, Hüttenwerke, technologischen, mit der Raumfahrt verbundenen Unternehmen, Auto- und Flugzeugbauwerken, Banken, Finanz- und sonstigen Firmen. Deshalb stehen die Handels- und Energie-, die Kultur- und Wissenschaftskomponenten von Medwedews Besuch mehr oder weniger fest.

Nicht weniger wichtig sind Medwedews geopolitische Aufgaben. Russland gestaltete bereits früher ausgeglichene und partnerschaftliche Beziehungen zu Merkels Deutschland. Jetzt gilt es, sie mit Sarkozys Frankreich auf ein gleiches Niveau zu heben. Die beiden wichtigsten Länder der EU, in der das eine der wirtschaftliche Motor ist und das andere, in Person Nicolas Sarkozys, auch noch Anspruch auf die führende Rolle bei der Bestimmung des außenpolitischen EU-Kurses (und folglich ganz Europas) erhebt, sind wert, mit ihnen die Beziehungen zu festigen: die Beziehungen einer "privilegierten strategischen Partnerschaft", wie am Vorabend des Medwedew-Besuchs Moskau und Paris erklärten.

Am bemerkenswertesten an der Reise ist nicht die Ankunft der "Heiligen Rus" in Paris und nicht die gegenseitigen Kulturjahre in Russland in Frankreich, sondern der große "Mistral"-Hubschrauberträger. Russland will Schiffe der "Mistral"-Klasse kaufen (und drei weitere auf Lizenz bauen). Frankreich ist bereit, sie zu verkaufen. Das ist der erste Deal in einem solchen Ausmaß zwischen einem Nato-Land und Russland. Die "Mistral"-Schiffe haben sich jetzt in die Beziehungen Russland - Frankreich, Frankreich - Nato, Nato - EU - Russland - Frankreich - Baltikum - Georgien so fest eingeflochten, dass es höchst schmerzhafte Folgen hätte, wollte man sie daraus herausreißen.

Gegen das "Mistral"-Geschäft sind Polen, Estland, Lettland und Litauen sowie Georgien ("Die Russen werden sie als Angriffsstützpunkte im baltischen Raum und im Schwarzen Meer nutzen"). Washington will ebenfalls nicht, dass an Bord des "Mistral"-Schiffes plötzlich russisch gesprochen werde. Um die Partner aus der Nato, der EU und den USA nicht unnötig zu ärgern, ist Paris bereit, Moskau die "Mistral"-Schiffe ohne das "militärische Hightech-Innere" anzubieten.

Dem eventuellen Hissen der russischen Flagge auf den "Mistral"-Schiffen wird eine viel zu große militärische Bedeutung beigemessen. Bei diesen Abmachungen aber geht nicht das Militärische vor. Auf die Regierung Sarkozy üben die "Mistral"-Schiffe einen rein wirtschaftlichen Druck aus. Durch die Unterzeichnung des Abkommens könnten mehrere Hundert Schiffsbauer auf der Werft in Saint-Nazaire Arbeit bekommen, sonst aber würden mehrere Tausend Arbeitsplätze verloren gehen. Mit solchen Dingen ist in der Zeit der Krisenüberwindung nicht zu scherzen.

Kaum jemand weiß es, aber Spanien und die Niederlande verfolgen das Geschehen um die Vereinbarung sehr aufmerksam. Sie besitzen ähnliche, wenn auch etwas kleinere Schiffe, die sie anstelle der französischen Russland anbieten könnten.

Es ist gelinde gesagt peinlich, von einem "Landungsangriff" Russlands zu reden, den es angeblich von den französischen Schiffen aus in der Ostsee oder im Schwarzen Meer unternehmen könnte. Nachdem sich die Nato an die Westgrenze Russlands angenähert hat, muss sich wahrscheinlich Moskau wieder einigeln müssen. Wären die militärischen Aspekte der Käufe tatsächlich ernst, müssten eher die USA oder Japan - oder beispielsweise China - beunruhigt sein. Das sind sie jedoch nicht. Auf jeden Fall in militärischer Hinsicht nicht.

US-Verteidigungsminister Robert Gates etwa war vor kurzem in Frankreich, traf sich mit seinem französischen Amtskollegen Hervé Morin und dann mit Nicolas Sarkozy, besprach den "Mistral"-Fall und erklärte: "Hier liegt das Problem in der Symbolik, das ist kein militärisches Problem."

Die Gallier hatten schon immer ein Faible für alles Russische - vom Ballett über Piroggen bis zu Soldaten (die Napoleon-Zeit ist eine Ausnahme), aber diese Liebe erstreckte sich aus naheliegenden Gründen niemals auf den Kreml. Hier galt stets das Prinzip, dass Russen und der Kreml zweierlei sei. Die Pariser Zeitungen brachten zum Besuch eine interessante Studie zum Thema "Rolle einer Person in der Geschichte im Allgemeinen und in der Geschichte zwischen Russland und Frankreich im Speziellen".

In den Tagen des Besuchs arbeiten die französischen Blätter immer dieselben Fragen und immer dieselben Antworten ab: a) Ist eine Freundschaft mit Russland mittels dem "Mistral"-Deal möglich? b) Wer in Russland ist für eine Freundschaft besser: Medwedew oder Putin? Auf die erste Frage werden Antworten des Sinnes gegeben, die Freundschaft muss sein, wenn wir eine echte Partnerschaft wünschen, nicht heucheln und Russland nicht immer noch der Sowjetunion gleichsetzen. Russland müsse in die europäische Sicherheit einbezogen und nicht zur Wiederbelebung der imperialen Ambitionen gedrängt werden. Damit sich - unter anderem - der "Kaukasus-Konflikt" nicht wiederhole.

Die zweite Frage ist schon längst rhetorisch geworden, die Antwort scheint klar zu sein. Kurz vor Medwedews Besuch formulierte sie Frankreichs Außenminister Bernard Couchner in einem Interview für "Le Monde": "Die Medwedew-Generation ist ganz anders als die Putin-Generation."

Es sei einfacher, es nicht mit Putin, sondern mit Medwedew zu tun zu haben, weil dieser den westlichen Ideen offener gegenüber stehe und liberaler gesinnt sei. Überhaupt sei Medwedew, wie sich ein französischer Experte ausdrückte, "der Gorbatschow von heute". Der russische Friedensnobelpreisträger würde sich bestimmt freuen, diese Worte zu hören.

Demnach sei Medwedew der "Mistral"-Schiffe würdig, Putin dagegen nicht. Aber wahrscheinlich werden die Schiffe an beide verkauft werden. Das verdanken wir der gegenseitigen Anziehung unserer Kulturen. Vive la culture!

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. März 2010; http://de.rian.ru


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