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Medwedjews Antrittsbesuch

Berlin ist die dritte Auslandsstation des russischen Präsidenten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Vor reichlich acht Jahren rätselte die westliche Welt, wer dieser Mister Putin sei, der gerade zum russischen Präsidenten gewählt worden war. Ohne die Frage jemals befriedigend beantworten zu können, stehen Laien und Experten bei Dmitri Medwedjew jetzt vor dem gleichen Problem. Aufschluss erhofft man sich vom heutigen Deutschland-Besuch des neuen russischen Präsidenten.

Die Bundesrepublik ist das erste europäische Land, dem der 42-jährige Medwedjew seine Aufwartung macht. Seine allererste Reise als Staatschef führte ihn allerdings vom 22. bis 24. Mai nach Kasachstan und China. Schon das macht klar, dass die außenpolitischen Prioritäten der Ära Medwedjew die gleichen sein werden wie die von Amtsvorgänger Wladimir Putin. Medwedjew hatte das bereits als Erster Vizepremier und Präsidentschaftskandidat deutlich gemacht. Russlands »aktive Position« im GUS-Raum sei »natürlich«. »Diese Staaten sind unsere nahen Nachbarn, und mit wem, wenn nicht mit ihnen, sollte man befreundet sein«, sagte er.

Der Besuch in Kasachstan machte jedoch deutlich, dass es Russland in den ehemaligen Sowjetrepubliken künftig schwerer haben wird, seine Interessen durchzusetzen. Putin gegenüber stets loyal, schlug Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew, ein gewiefter Verhandlungstaktiker, gegenüber Medwedjew durchaus selbstbewusste Töne an: Ein Teil des kasachischen Öls werde künftig in die Pipeline eingespeist, die von Baku über Georgien und damit unter Umgehung Russlands ins türkische Ceyhan führt. Außerdem forderte Nasarbajew eine Neuaufteilung der Gewinne, die das von Russland dominierte Transkaspische Pipeline-Konsortium macht. Wenig begeistert zeigte er sich dagegen von einer Idee, für die sich Putin in seiner letzten Jahresbotschaft an das Parlament ins Zeug gelegt hatte: den Bau eines Kanals, der das Kaspische mit dem Schwarzen Meer verbindet und damit auch Kasachstan direkten Zugang zu den Weltmeeren ermöglichen würde. Kasachstan, so Nasarbajew kühl, werde Russland nur so lange als Transitland für seine Exporte nutzen, als dies nationalen Interessen entspricht.

Von einer unverbrüchliche Union mit Russland, wie die »Iswestija« nach Medwedjews. Besuch schrieb, kann daher die Rede kaum sein. Vielmehr von einer pragmatischen Partnerschaft, wie Moskau sie auch mit der EU und mit den USA anstrebt. Medwedjew selbst machte das vor seinem Deutschland-Besuches unmissverständlich klar. Russland gehöre zu den wenigen Staaten, für die eine selbstständige Außenpolitik wichtiger ist als die Suche nach kollektiven Lösungen.

Gleichzeitig plädierte er für außen- und sicherheitspolitische Vorwärtsverteidigung. Russland, vor dem sich die Welt noch immer fürchte, müsse ein offenes Land werden, deutlich sagen, wohin es sich bewegt und was es in Zukunft vorhabe. Dabei geht es nicht nur um die Position Moskaus zu den großen internationalen Problemen wie Kosovo, Iran, »Raketenschild« in Mittelosteuropa oder NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine, sondern auch um Energie- und Wirtschaftskooperation überhaupt.

Russische Deutschland-Experten glauben, dass Medwedjew in Berlin sowohl für Beteiligungen russischer Investoren an deutschen Unternehmen als auch für eine Energieallianz werben wird. Russlands Vorgehen auf ausländischen Märkten, so zitierte ihn die Nachrichtenagentur RIA Nowosti, entspreche voll und ganz »modernen Vorstellungen von einer Beteiligung eines Landes an der weltweiten Arbeitsteilung«.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bot Russland bei seinem jüngsten Besuch im Mai eine »Modernisierungspartnerschaft« an. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - in der das Thema Energieversorgungssicherheit nach wie vor die dominierende Rolle spielt - wollte er darunter auch eine Art Entwicklungshilfe für das russische Rechtssystem und die Stärkung der Zivilgesellschaft verstanden wissen. Schließlich hatte Medwedjew selbst vor seiner Wahl Korruption und »Rechtsnihilismus« in Russland kritisiert. Mehrfach war in Berlin vor dem Antrittsbesuch des neuen russischen Präsidenten zu hören, Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse Medwedjew nur »beim Wort nehmen«. Dass der Präsident dieser Tage einer vom Parlament geplanten Verschärfung der Mediengesetzgebung seine Zustimmung verweigerte, gilt in Berlin als Hoffnungszeichen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2008

Medwedew schlägt Pause in Fragen Kosovo, NATO-Erweiterung und Raketenabwehr vor (Zusammenfassung)

Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat vorgeschlagen, bei der Lösung der Probleme des Kosovo, der NATO-Erweiterung und der US-Raketenabwehr in Europa eine Pause einzulegen.

Das sei notwendig, um den Teufelskreis einseitiger Handlungen zu durchbrechen, sagte Medwedew am Donnerstag (5. Juni) vor Vertretern der deutschen Öffentlichkeit in Berlin. "Russland braucht kein Chaos und keine Ungewissheit in der Welt von heute. Wir haben keine Interessen, die auf derart perverse Weise geschützt werden müssten... Moskau wird nicht selten zur Zurückhaltung aufgerufen. Aber auch alle anderen müssten Zurückhaltung an den Tag legen, um eine Eskalation bei beliebigen Problemen zu verhindern."

Es gelte, auf Versuche zu verzichten, die Entwicklung zu forcieren und eine Politik vollzogener Tatsachen zu betreiben. "Für den Anfang wäre es nicht schlecht, eine Verschnaufpause einzulegen und sich umzusehen, wo wir gelandet sind, sei es das Kosovo oder die NATO-Erweiterung oder die Raketenabwehr", sagte der russische Präsident.

Symptomatisch sei, dass viele im Westen versuchen, die Gegensätze mit Russland durch das Anpassen des russischen Herangehens an das westliche zu überwinden. Aber Russland sei ausschließlich nach gleichberechtigten Beziehungen bestrebt. "Einige sagen umumwunden: Hörten Sie auf, sich in den internationalen Angelegenheiten zu sträuben, Probleme der demokratischen Entwicklung und der Einhaltung der Menschenrechte seien Nebensache. Als Beispiel werden andere Länder angeführt, die genau auf diese Weise behandelt wurden und das geschluckt haben. Aber uns passt das nicht."

Russland ist nach Medwedews Worten zu einem ruhigen ehrlichen Gespräch zu beliebigen Themen auf der Grundlage der Gleichberechtigung bereit. "Die russische und die europäische Demokratie sind durch gemeinsame Geschichte, gemeinsame humanistische Werte und gemeinsamen rechtlichen Ursprung verbunden. Das ist die Grundlage einer Denkweise, die es uns gestattet, nicht nur die gleiche rechtliche oder geschäftliche Sprache, sondern auch, wie ich hoffe, die gleiche politische Sprache zu sprechen", sagte der russische Präsident.

** Aus: RIA Novosti, 5. Juni 2008; http://de.rian.ru


"Wir sind in erster Linie dem Völkerrecht verpflichtet" / "We are committed above all to the rule of law"
Der russische Präsident Dmitri Medwedjew hält bei seinem Deutschlandbesuch eine große Grundsatzrede - Im Wortlaut (englisch; deutsche Zusammenfassung) / Remarks of the President of Russia in Berlin


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