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Agitiert nur, agitiert nur!

Dmitri Medwedjew lässt seine Konkurrenten links und rechts liegen

Von Detlef D. Pries *

Am 2. März wählt Russland seinen neuen Präsidenten. Zwar hat Amtsinhaber Wladimir Putin seinen Nachfolger schon gewählt, doch am heutigen 2. Februar beginnt die »Agitationsperiode«. So heißt die heiße Phase des Wahlkampfs offiziell. Vier Bewerber dürfen daran teilnehmen.

Gennadi Sjuganow, Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat der KP der Russischen Föderation, will kämpfen. Sein erklärtes Ziel ist es, Dmitri Medwedjew in eine Stichwahl zu zwingen. Höchst unwahrscheinlich, dass er das schafft. Umfragen bescheinigen Medwedjew, dem Kandidaten Wladimir Putins und der Partei »Einiges Russland«, weit mehr als die 50 Prozent, die für den Sieg im ersten Wahlgang nötig wären. Und Sjuganow selbst sagt, dass die Wahl ein Unding sei.

Allein schon wegen der Fernsehpräsenz der Kandidaten: »Fast 90 Prozent Medwedjew, vier Prozent Sjuganow, sechs Prozent Shirinowski«, beschwerte sich der KPRF-Kandidat im Interview bei Radio »Echo Moskwy«. Von Russlands oberstem Wahlkommissar Wladimir Tschurow prallen solche Beschwerden jedoch ab: Er will exakt unterscheiden können, wann Medwedjew in seinem Regierungsamt als Vizepremier und wann er als wahlwerbender Kandidat auf den Bildschirmen auftaucht. Und so erklärte der stellvertretende Regierungschef diese Woche vor Gewerkschaftern, die Führung des Landes plane eine Verdopplung der Renten – in den nächsten Jahren. Auch der Mindestlohn solle binnen zwei, drei Jahren auf das Existenzminimum angehoben werden. Vor der Juristenvereinigung forderte Medwedjew am gleichen Tag bessere Gesetze für den Umweltschutz, vor allem aber müsse man energischer gegen die Korruption vorgehen. Wahlwerbung oder nicht?

Immerhin: Am vergangenen Dienstag wurden den Kandidaten in Moskau die Zeiten für unentgeltliche Wahlwerbung auf staatlichen Fernseh- und Rundfunkkanälen zugelost. Der »Erste Kanal« beispielsweise stellt seine Sendezeit jeden Dienstag zwischen 7.05 Uhr und 8 Uhr morgens für »gemeinsame Agitationsmaßnahmen« zur Verfügung. So werden die Fernsehdebatten der Bewerber offiziell genannt. Allerdings hatte Dmitri Medwedjew die Wahlkommission schon am Vorabend der Verlosung wissen lassen, dass er sich an diesen »Maßnahmen« nicht beteiligen werde. Er nehme weiter seine Funktion als Vizepremier wahr, habe also für Fernsehaufnahmen keine Zeit. Stattdessen wolle er Taten sprechen lassen. In gleicher Weise hatten schon Boris Jelzin und Wladimir Putin ihre Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf um die Möglichkeit direkter Konfrontation gebracht.

Enttäuscht ist vor allem Sjuganow, der Medwedjew zum Rededuell herausgefordert hatte, um ihm – unter anderem – die Vernachlässigung des flachen Landes und den Mangel an Investitionen in moderne Betriebe vorzuwerfen. Debatten mit den anderen beiden Bewerbern hielt er noch vor Tagen für sinnlos. Der Krawallpolitiker Wladimir Shirinowski, Chef der »Liberaldemokraten«, werde ihm ohnehin nur alle Sünden der Kommunisten seit 1917 vorhalten. Und Andrej Bogdanow, der nahezu unbekannte Chef der Demokratischen Partei, sei nur ein »Reservekandidat« des Kremls für den Fall, dass sich die beiden anderen Bewerber doch noch aus dem Rennen zurückziehen sollten. Das Gesetz schreibt nämlich mindestens zwei Kandidaten vor.

Gerade Sjuganow sieht sich von mehreren Seiten zum Rückzug gedrängt. Die einen raten ihm freundschaftlich, sich im ungleichen Kampf mit der Kreml-Partei nicht eine weitere Niederlage – wie schon 1996 und 2000 – einzuhandeln. Andere anerkennen, dass Sjuganow der einzige Kandidat ist, der eine Alternative zu Medwedjew darstellt und die Abstimmung damit als demokratische Wahl erscheinen lässt. Sein Rückzug – so das Kalkül selbst von Gegnern der KPRF – würde den Urnengang vollends als Farce entlarven.

Der Druck auf Sjuganow hat sich erhöht, seit die Wahlkommission Michail Kasjanow von der Bewerberliste gestrichen hat. Kasjanow hatte anders als Medwedjew, Sjuganow und Shirinowski, die von Duma-Parteien nominiert wurden, als »Unabhängiger« zwei Millionen Unterschriften zu seiner Unterstützung beibringen müssen. Eine Hürde, die bei Fehlen landesweiter Parteistrukturen nur mit bezahlter Hilfe zu überwinden ist. Die Wahlkommission fand denn auch eine unzulässig hohe Fehlerquote in Kasjanows Unterstützerliste – und warf den ehemaligen Regierungschef aus dem Rennen. Die Frage, wie es denn Andrej Bogdanow gelungen sei, zwei Millionen korrekte Unterschriften beizubringen, wo dessen Partei bei den Dumawahlen gerade mal 100 000 Stimmen erhalten hatte, beantwortete Wahlleiter Tschurow lapidar: »Da müssen Sie Herrn Bogdanow fragen.« Was Sjuganows These vom »Reservekandidaten« stützt.

Der KPRF-Chef jedenfalls behält sich zwar den Rückzug vor, aber an den Debatten will er nun doch teilnehmen. Wann sonst hätten die Kommunisten schon Gelegenheit, ihr Programm im Fernsehen darzulegen. Und überhaupt sei es keine Politik, »sich im Gebüsch zu verstecken und von dort aus zu brüllen«.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2008


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