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Meinungsfreudige Russen

MEDIENgedanken: Kritik aus Deutschland an Russlands Medien

Von Martin Lejeune *

Die Presse in Russland ist frei und unabhängig. Soweit die Theorie, denn uneingeschränkt gilt dies nur für überregionale Printmedien, die großen privatwirtschaftlich organisierten Konzernen gehören, deren Gesellschafter zum Teil auch im Ausland sitzen, wie etwa die Axel Springer AG oder die Bertelsmann AG. Bei regionalen Zeitungen dagegen ist die Medienfreiheit stark eingeschränkt, weil diese Blätter in der Regel durch die Kommune mitbetrieben werden. Früher, in der Sowjetrepublik, wurde die russische Presse durch den Staat finanziert, musste keinen Überschuss erwirtschaften, sondern einzig und allein die Öffentlichkeit informieren. Dieses Pressefinanzierungsmodell aus der Vergangenheit wirkt bei den durch die Kommunen mitfinanzierten Lokalblättern nach. Wenn also der Chefredakteur vom Bürgermeister abhängt, dann ist der Chefredakteur nicht frei in seiner Kritik am Bürgermeister.

Die »Rossijskaja Gaseta« hat solche Probleme nicht, sie ist eine überregionale Tageszeitung. Sie wurde erst nach dem Zerfall der Sowjetrepublik von Boris Jelzin als offizielles Amtsblatt der russischen Regierung gegründet und erschien erstmals am 11. November 1990. 2007 initiierte der Verleger der »Rossijskaja Gaseta« das globale Medienprojekt »Russland hinter den Schlagzeilen«. Dieses stellt Beilagen zusammen, die aus Artikeln unterschiedlichster russischer Zeitungen bestehen. Das Journal, das hierzulande »Russland Heute« (RH) heißt, wird u.a. der »Washington Post«, »Le Figaro«, »Clarín« in Buenos Aires und der »Süddeutsche Zeitung« beigelegt. Allen Beilagen gemein ist, gleich wo in der Welt sie erscheinen, dass sie aus einem Verlag kommen, dessen Hauptgesellschafter der russische Staat ist.

Aus diesem Grund ist das Medienprojekt in jüngster Zeit vor allem hierzulande in die Kritik geraten. So suggerierte etwa das Branchenblatt »PR-Magazin», der Kreml betreibe mit RH Propaganda. Die »Neue Zürcher Zeitung« (NZZ) bezeichnet RH gar als »Kremltainment« und das dahinterstehende Projekt als »Russlands weltweite Imagekampagne«. Die NZZ meint, RH diene »dem Kreml als Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung auch im Ausland«.

Doch diese Kritik ist ungerechtfertigt und offenbart einmal mehr ein seit Jahrhunderten festzementiertes russlandfeindliches Zerrbild im deutschsprachigen Raum. RH ist eine Zusammenstellung von Beiträgen aus führenden überregionalen russischen Printmedien, die allesamt unterschiedliche private Eigentümer haben. Etwa Hintergrundberichte aus dem Magazin »Russkij Reportjor«, Reportagen aus »Newsweek«, Filmkritiken aus dem »Kommersant« oder Kommentare des Vorsitzenden des »Präsidialrates Zivilgesellschaft und Menschenrechte in Russland«, der Urteil und Prozess um Chodorkowski fundamental kritisiert. RH-Chefredakteur Alexej Knelz erwidert denn auch die massive Kritik aus Deutschland: »Ich wähle Beiträge aus, welche die russische Sicht nach Deutschland bringen sollen. Dies wird als Propaganda wahrgenommen, weil es eben nicht die deutsche Sicht ist, weil der Leser nicht das gewohnte wiederfindet, das ihm die deutschen Medien sonst vorkauen. Was erwartet man von uns? Sollen wir etwa die aus allen führenden Printmedien zusammengestellten russischen Texte verfälschen?«

Im Übrigen ist es nicht ungewöhnlich, dass Auslandsmedien staatlich betrieben werden. So ist die »Deutsche Welle« (DW), die in Russland überall zu hören ist, eine Rundfunkanstalt nach Bundesrecht. Sie erhält, anders als die ARD-Landesrundfunkanstalten, DeutschlandRadio und das ZDF, keine Gebührengelder, sondern wird aus Steuermitteln finanziert. Gemäß Bundeshaushaltsplan kommt das Budget für die DW direkt vom Bundeskanzleramt. Die Bundesregierung führt per vom Bundestag verabschiedeten DW-Gesetz sogar die Rechtsaufsicht über die DW. Wie würden die Autoren und Redakteure der DW reagieren, wenn in Russland behauptet würde, die DW sei Merkels Propagandasender? Sie würden es vehement bestreiten und auf die journalistische Unabhängigkeit der DW verweisen, und das zu Recht!

Auch über die Printmedien hinaus verfügt Russland über eine der vielfältigsten Medienlandschaften Europas. Das Internet wird nicht kontrolliert, die Blogsphäre ist sehr beliebt bei den meinungsfreudigen Russen, der größte russische Hörfunksender »Ekho Moskvy«, der über Frequenz in allen großen Städten Russlands sowie in Chicago und Bischkek und auch online weltweit empfangbar ist, ist legendär für seine scharfe Kritik an der Regierung. Dabei gehört »Ekho Moskvy« Gazprom und somit über die Beteiligungsgesellschaft Rosimushchestvo dem Staat. Auch »Ekho Moskvy« wird privatwirtschaftlich geführt, sendet viel Reklame, ist finanziell erfolgreich und hat viele Hörer.

* Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.

Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2011



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