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Der neue Kalte Krieg: Wie der Kreml Russland und den Westen bedroht

Von Michail Logvinov *

Der Westen muss alles unternehmen, um Russland einen neuen Kalten Krieg nicht gewinnen zu lassen, in dem Geld, Energie und Propaganda seine gefährlichsten Waffen sind.

So kann man die Kernthese des Buches "Der Kalte Krieg des Kreml. Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht" (Riemann Verlag, 2008) von Edward Lucas formulieren. Dieses Buch ist starker Tobak. Nach seiner Lektüre wird manchem (nicht nur europäischen) Leser unbehaglich.

Man sieht sich in einer - vom Autor sorgfältig konstruierten - durch das Putin-System gefährdeten freien Welt, die beinahe am Abgrund steht und für die es nur eine einzige Chance gibt zu überleben, und zwar indem man nicht von den Kosten eines neuen Kalten Krieges zurückschreckt, um dem wiedererwachten Russland die Stirn zu bieten.

Das moderne Russland wird von Lucas als äußerer Feind und Feind der offenen Gesellschaft dargestellt, das erstarkt dermaßen an der Subversion des Westens interessiert ist, dass ihm gegenüber eine Eindämmungspolitik Europas und Amerikas notwendig ist. "Wir haben es mit Menschen zu tun, die uns schaden, uns frustrieren und schwächen wollen", so der Autor (S. 360).

Dieses Bild ist umso erschreckender, weil es dem Autor gelungen ist, die zu seinen Hetztiraden aus der Zeit des alten Kalten Krieges passenden Ereignisse und Deutungsmuster zusammenzustellen, um seine Vision des Aufkommens eines neuen zu rechtfertigen.

"Der Westen ist dabei, den neuen Kalten Krieg zu verlieren, kaum dass er ihn als solchen erkannt hat. Wladimir Putin und seine Kreml-Verbündeten haben die Macht in Russland übernommen, werfen einen Schatten über die östliche Hälfte des Kontinents und errichten eindrucksvolle Brückenköpfe in den wichtigsten westlichen Ländern. Und die Bereitschaft zum Widerstand ist bedenklich schwach.

Das ist es, was mich veranlasst hat, nach mehr als 20 Jahren Berichterstattung über die Region nun dieses Buch zu schreiben"
, erklärt Lucas seine wohl gründlich überlegte Entscheidung ein Buch zu schreiben, das begründet keine Chance auf einen Preis für Völkerverständigung hat (S. 37).

Für eine Rezension zu seinem Werk ist ein bibliographischer Ansatz am besten tauglich. Denn sein ganzes Leben widmete Lucas dem Stürzen des Kommunismus. An sich wäre dies eine Tugend, wenn er allerdings seine alten Reflexe auf moderne Entwicklungen nicht projizieren würde. Schon auf den ersten Seiten sticht sein Kommunismushass hervor, der seine Feder führt und die Neuauflage des Kalten Krieges rechtfertigt.

Auf die Frage "Wer ist Wladimir Putin?" reicht ihm der Hinweis auf seine KGB-Vergangenheit und angebliche Herrschaftstraditionen, um eine Atmosphäre der Angst zu schüren. Gegen die Gegenargumente der "selbsternannten Russlandexperten", die den Kalten Krieg für einen "ausgesprochenen Unsinn" halten, wehrt er sich vehement, und zwar mit moralischem Überlegenheitsgefühl.

Urteilen Sie selbst, ob ein Autor, der wie folgt über das Land schreibt, dessen größter Nachfolger Russland wurde, imstande wäre, sich analytisch vorurteilsfrei mit seiner Politik auseinander zu setzen?

"Als Michail Gorbatschows Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Transparenz) in der Sowjetunion aufleuchteten und wieder verblassten, sah ich das erbärmliche Land in Stücken zerfallen. Die Woche, in der das üble Imperium zusammenbrach, war die glücklichste meines Lebens" (S. 17).

Und noch ein prägnanter Kommentar aus einem anderen Anlass, der allerdings eine gewisse Kontinuität in der Wahrnehmung erkennen lässt.
"Auch unter dem neuen durchsetzungsfähigen Regime im Kreml kann Russland keine militärische Bedrohung für den Westen sein. Es kommt ja nicht einmal mit den verbliebenen separatistischen Kämpfern in Tschetschenien zurecht, einer Provinz mit knapp 600 000 Einwohnern auf einer Fläche, die nicht größer ist als Cornwall.

In seiner abgewirtschafteten, betrunkenen, demoralisierten Armee sind Schikanen normal. Jeden Monat nehmen sich im Schnitt zwölf russische Soldaten das Leben. [...] Die Fähigkeit des Kreml, einen nuklearen Erstschlag zu führen, der die NATO außer Gefecht setzen würde, ist Geschichte"
(S. 15). Die Reihe solcher Urteile kann man ohne Mühe fortsetzen.

Man fühlt sich bei der Lektüre solcher schadensfrohen Passagen an eine alte, von Alexander Rahr beschriebene, Gewohnheit erinnert, sich voller Häme über den ständig stolpernden Erzfeind lustig zu machen. Dennoch setzt Lucas seine Argumentation fort und sieht die Gefahr, soweit eine nukleare Gefahr existiert, vor allem darin, "dass Paranoia und Inkompetenz zu einem unbeabsichtigten Großbrand führen können" (S. 16).

Wenn von Russland keine direkte militärische Bedrohung ausgeht, wo sieht denn der Autor einen neuen Kalten Krieg entflammen? "Statt die gegnerische Seite mit Sprengstoffen, gehärtetem Stahl und angereichtem Uran zu bedrohen, kämpft man im neuen Kalten Krieg mit Geld, Rohstoffen, Diplomatie und Propaganda", so der Autor (S. 25).

Der neue Kalte Krieg ist der Krieg um Marktanteile, lautet sein Urteil. Und in diesem Krieg ist die Habgier der Schlüssel, den man zur Erklärung der Kollaboration mit dem Feind heranziehen kann und muss. Denn Russland bedient sich der Wirtschaftslobby, die dem Kreml es ermöglicht, seinen gefährlichen und subversiven Einfluss im Westen zu vergrößern.

"Früher waren es kommunistische Gewerkschaften, die den Westen auf Geheiß des Kreml unterminierten. Jetzt sind es Kreml-freundliche Bankmanager und Politiker, die ihre Heimatländer für 30 Silberrubel betrügen" (S. 29).

Österreich, Bulgarien, Zypern, Frankreich, Griechenland, Deutschland, Ungarn, Italien, Lettland, die Niederlande, Portugal, die Türkei und Slowenien, das ist eine unvollständige Liste der Länder, die die Gefahren nicht erkannt haben sowie der Versuchung nicht widerstehen konnten, ein "besonderer Freund" des Kreml und "zuverlässige Lobby russischer Interessen" zu sein (S. 33).

Nicht die Invasion der Panzer in Afghanistan wäre ein aktuelles Zeichen der westlichen Schwäche, sondern die Invasion russischer Banken in der Londoner City, so der Autor (S. 26).

"Während des alten Kalten Krieges hätte kein NATO-Mitglied daran gedacht, sich auf private Deals mit dem Kreml einzulassen. Jedes Angebot der Sowjetunion wurde eingehend überprüft, und nur wenige Vertreter der westlichen Bürokratie sahen einen Vorteil darin, sich dem Ostblock gegenüber freundlich zu verhalten. [...]

Im neuen Kalten Krieg sind solche Geschäfte an der Tagesordnung"
, wirft Lucas den NATO- sowie EU-Mitgliedern Verrat vor (S. 33). Argumente, die Vorbehalte gegen Russland würden auf Stereotypen basieren, nennt der Autor Schönfärberei.

Außer subtiler Taktik hat Lucas ein drastischeres Kriegsszenario zu bieten. Baltische Länder als Vorposten der Kalten Krieges qualifizierend, die wie "Westberlin in den Tagen des alten Kalten Krieges" nicht zu verteidigen wären, stellt er ihren Symbolwert fest:
"Wenn sie dem russischen Druck nachgeben, wer wird dann der Nächste sein? Den Kreml schreckt das nicht ab; er ist entschlossen, sie zu teilen und zu isolieren.

[...] Die Frage lautet: Wo wird das enden? Wenn Russland im Kaukasus oder im Baltikum bekommt, was es will, stehen der Balkan und Mitteleuropa als Nächste auf der Liste. Und was dann? Die Arktis? Westeuropa? Stück für Stück erweitert der Kreml seinen Einflussbereich"
, schlägt er Alarm (S. 29).

Wie wurde diese düstere Entwicklung möglich und was kann sie aufhalten? Die Lösungen von Lucas sind genauso simpel wie seine schwarz-weiße Wahrnehmung. Früher hätte die Furcht vor der Sowjetunion die westliche Solidarität gefestigt und Europa von Amerika abhängig gemacht. Das sowjetische Feindbild war derjenige psychologische Muskel, der heute zu atrophieren scheint.

Man sei selbstzufrieden anstatt wachsam zu sein, man gewönne Vertrauen anstatt argwöhnisch zu handeln. Die Grundlinie des alten Kalten Krieges war grundsätzlich klar: Amerika sei ein nuklearer Schild in Europa gewesen, der Sicherheit und Freiheit garantierte.

Das Bestreben, mit Russland gute Beziehungen pflegen zu wollen (explizit verweist Lucas auf Deutschlands Versöhnungspolitik) wäre falsch, der Optimismus gegenüber Russland unbedacht.

Was heute durchaus nützlich wäre, sind diese alten Reflexe aus dem Kalten Krieg. Dies ist wohl die Krönung der Argumentation des zu besprechenden Buches (S. 27, 34).

Welche Problemlösungen bieten sich laut Lucas an? Elemente liegen auf der Hand, so der Hardliner (vgl. Kapitel "Wie der neue Kalte Krieg gewonnen wird"). Russland müsse wie ein autoritärer Staat behandelt werden. Europa und Amerika müssten erkennen, dass Russland sie spalten wolle.

Amerika müsse dementsprechend keinen "spalterischen Kuhhandel mit Russland akzeptieren" und Europa seinerseits "schwelende Verachtung für Amerika fallen lassen": "Die Europäer mögen im privaten Kreis den russischen Klagen über die Arroganz oder Inkompetenz der Amerikaner zustimmen, aber sie sollten sich vorsehen, diese auch öffentlich zu wiederholen" (S. 360).

Warum? "Angesichts eines wiederaufstrebenden Russlands braucht Europa Amerika mehr als umgekehrt", so Lucas weiter.

Neben den rational vertretbaren Forderungen nach der Entpolitisierung und Entmonopolisierung des russischen Energiesektors sowie nach der Durchsetzungsfähigkeit Europas als politischen Akteur enthält das Buch eine sinngemäß entgegengesetzte Aufforderung an den Westen, nationale (Energie)Sicherheit als "Aufgabe der Politiker, nicht der Geschäftsleute" aufzufassen (S. 362, 363).

Also ruft Lucas die Europäer auf, die Energiesicherheit auf Grund des "moralischen Kapitals" zu politisieren, während er dem Kreml dieses Recht abstreitet.

Es sei notwendig, die Wettbewerbsbestimmungen durchzusetzen, damit die Nord Stream-Pipeline nicht gebaut, während Nabucco politisch unterstützt und mit Steuergeldern finanziert wird. "Genau wie die NATO ihre Rüstungsausgaben im Kalten Krieg nicht ausschließlich nach den Interessen der Waffenfabriken ausrichtete, muss der Westen jetzt die kommerziellen Interessen der Banken und Energieunternehmen hinter Fragen der nationalen Verteidigung zurückstellen" (S. 364).

Bemerkenswert ist, dass Lucas die ähnlichen Argumente des Kreml als Propaganda und Westenfeindlichkeit bezeichnet. Allerdings hält der Autor eine moralisierende Ausrede parat. Letztendlich hätte der neue wie auch der alte Kalte Krieg nicht der Westen begonnen und er würde von ihm nur "zögerlich" ausgetragen.

Das Putin-System müsse grundsätzlich erkennen, dass seine Politik härter und wirksamer bestraft werden könne. Der Ausschluss aus der G-8 hätte eine der Optionen sein können (S. 368).

Ich überlasse es dem Leser, die Strategie des Autors sowie ihre Konsequenzen bis zum Ende zu durchdenken, weise allerdings auf einige nicht uninteressante Punkte hin. Die Vorschläge von Lucas stellen den Versuch dar, Russland aus Europa herauszudrängen.

Welchen Akteuren dies nicht ungelegen kommt, wird anhand des Buches klar. Die Frage ist, ob man durch die Feindkonstruktion "Russland" und das Heraufbeschwören des neuen Kalten Krieges das Werden Europas als politischer und militärischer Akteur nicht verhindern möchte.

Zweitens sehe ich das Buch von Edward Lucas als Bestätigung von Erkenntnissen mancher Experten, die von einem schleichenden Beginn einer Veränderung der Weltordnung gesprochen haben. "Der im komfortablen Sicherheitsdenken gefangene Westen scheut jedes Risiko und ist in Panik geraten.

In Wirklichkeit zeigt der Streit, dass die romantische Ära des Triumphs des Liberalismus in der Weltwirtschaft sich dem Ende zuneigt. Wir sind Zeugen des Aufbruchs der Weltwirtschaftsordnung in eine neue Zeit. [...]

Vor zehn Jahren hat der Westen 80 Prozent aller Weltenergiereserven durch eigene Ölkonzerne kontrolliert - heute nur noch zehn Prozent"
, schreibt Alexander Rahr in seinem neuen Buch "Russland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht" (Carl Hanser Verlag, 2008) (S. 21). [Hier geht es zu einer Rezension.]

Und schließlich sehe ich die Argumentationsmuster des "Kalten Krieges des Kreml" als Bestätigung einer Beobachtung von Rahr, der behauptete: "Die westlichen Irritationen bewiesen, dass alle vorangegangenen Gespräche über eine fruchtbare militärtechnologische Zusammenarbeit mit Russland, unter anderem im Rahmen der NATO-Russland-Partnerscheft, reine Makulatur gewesen sind.

Der Westen spielte die Idee der Partnerschaft nur vor. Niemand hatte ernsthaft vor, sie in die Praxis umzusetzen. Es bestand eben doch kein Vertrauen in eine Zusammenarbeit in sensiblen Bereichen. Der Westen möchte keine wirtschaftlichen Konkurrenten neben sich dulden"
(S. 16).

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 2. April 2008; http://de.rian.ru



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