G 8 statt UNO?
Russland, die USA und die Vereinten Nationen
In ihrer Ausgabe vom 2. Mai 2003 dokumentierte die Wochenzeitung "Freitag" wesentliche Passagen aus einem Artikel, den der russische UNO-Botschafter Sergej Lawrow am 18. April in der Moskauer Zeitung "Nesawisimaja Gaseta" veröffentlicht hatte.
Sergej Laworow:
Nach dem Irak-Krieg wird wieder einmal die Krise der UNO - vor allem des
Sicherheitsrates - beschworen. Vielleicht bewirken die jüngsten Ereignisse,
dass sich die nationalen Delegationen nun ernsthaft der Frage zuwenden,
wie die Struktur der Weltorganisation umgestaltet werden kann - etwa
durch die Aufnahme Deutschlands, Japans, Indiens und Brasiliens in das
höchste UN-Gremium.
Die UNO ist keine abstrakte Organisation, die losgelöst von ihren
Mitgliedsstaaten existiert. Sie ist nur so stark und effektiv, wie ihre
Mitglieder dies wünschen. Derzeit erleben wir, dass mindestens zwei
ständige Sicherheitsratsmitglieder beschlossen haben, nicht nur den
Sicherheitsrat, sondern auch die UN-Charta zu ignorieren. Bis heute haben
sie niemanden davon überzeugt, dass der Krieg im Irak begründet,
gerechtfertigt und gerecht war. Nach meinem Eindruck erleben wir damit
aber keine Krise der UNO, sondern eher der Beziehungen zwischen den
USA und Großbritannien einerseits und der UNO andererseits. Der deutlich
erkennbare Wunsch der Regierung Blair, den Vereinten Nationen eine
bedeutende, wenn nicht gar zentrale Rolle bei der Neuordnung des Irak
zukommen zu lassen, zeugt davon, dass Mitglieder der Kriegskoalition ihre
Fehler begreifen - und damit nachträglich Russlands Haltung in der
Irak-Frage bestätigen.
Viele UN-Mitgliedsländer erachten es für notwendig, in den Sicherheitsrat
neue ständige Mitglieder aufzunehmen, während andere, äußerst potente
Staaten meinen, es genüge, den Sicherheitsrat lediglich um nicht ständige,
auf zwei Jahre gewählte Mitglieder zu erweitern.
Ein ernster Widerspruch. Russland jedenfalls ist flexibel und bereit,
jegliche Variante zu unterstützen, die konsensfähig ist, einschließlich
jener, die auf eine ständige Sicherheitsratsmitgliedschaft Deutschlands,
Japans, Indiens und Brasiliens sowie eines afrikanischen Landes
hinausläuft.
Das Wichtigste an unserer Position ist, dass die Vorrechte der heutigen
ständigen Sicherheitsratsmitglieder auf keinen Fall angetastet werden und -
sollten neue ständige Mitglieder hinzukommen - die Rechte nicht nur der
entwickelten Länder, sondern auch der sich entwickelnden Staaten und
Regionen gleichermaßen gewährleistet sein müssen, damit es nicht
Sicherheitsratsmitglieder erster und zweiter Klasse gibt.
Wie stehen die Amerikaner zu einer möglichen Reform dieses Gremiums?
Gegenwärtig reden sie nicht gern darüber, obwohl sie noch vor kurzem
forderten, Deutschland und Japan als ständige Mitglieder aufzunehmen.
Der Idee, ständige Ratsmitglieder aus sich entwickelnden Regionen
aufzunehmen, standen die USA ohnehin stets skeptisch gegenüber.
Außerdem zeichnet sich im Westen der Trend ab, drängende globale
Probleme auf absehbare Zeit den G 8-Staaten zu überlassen.
Abgesehen von den Grenzen, die das Völkerrecht zieht, glaube ich nicht,
dass bei aller Stärke die G 8-Staaten über die gleichen Mechanismen
verfügen, wie sie der UNO eigen sind, um gravierenden Herausforderungen
wie dem Terrorismus, der Drogengefahr oder dem organisierten Verbrechen
zu begegnen. Dass acht Länder in der Lage sind, diese Probleme
stellvertretend für die gesamte Menschheit zu lösen, ja selbst die eigene
Sicherheit ohne Rückgriff auf die einzigartig universale Struktur der UNO zu
garantieren, ist angesichts des globalen Charakters dieser Probleme wenig
wahrscheinlich. Die USA bleiben daher stark an der UNO interessiert - das
auch mit Blick auf die Regulierung regionaler Konflikte. Äußerst schwierig
gestalten sich die Verhältnisse in Afghanistan, wo das Interesse der
Amerikaner an einer führenden Rolle der UNO offensichtlich ist. Auch
Nordkoreas Nuklearprogramm möchten sie zum jetzigen Zeitpunkt
ausschließlich im Sicherheitsrat erörtern. Ebenso wie diverse Konfliktlagen
in Afrika. Und dann ist da noch der höchst explosive Nahostkonflikt, der nur
mit den entsprechenden UN-Resolutionen und einer aktiven Beteiligung der
Vereinten Nationen erfolgreich zu lösen ist.
Übersetzung: Katharina Stephan
Aus: Freitag 19, 2. Mai 2003
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