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Zankapfel Kurilen: Der ewige Gebietsstreit zwischen Russland und Japan

Zunehmende Spannungen zwischen Russland und Japan - Ein Hintergrundbericht *

Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat am Montag (1. Nov. 2010) Kunaschir besucht, die südlichste der Kurilen-Inseln.

Das ist die erste Reise eines russischen Staatschefs zu den Kurilen, um deren Zugehörigkeit sich Moskau und Tokio seit 1945 streiten und deshalb bislang noch keinen Friedensvertrag geschlossen haben. Japan legt sofort einen Protest gegen Medwedews Reise ein.

Die russisch-japanischen Beziehungen sind mittlerweile seit 65 Jahren durch die unbegründeten Ansprüche Tokios auf die südlichen Kurilen-Inseln (Iturup, Kunaschir und die Kleinen Kurilen) belastet.

Die Kurilen sind Vulkaninseln zwischen der Halbinsel Kamtschatka und der japanischen Insel Hokkaido, die das Ochotskische Meer vom Stillen Ozean trennen. Die Inseln bestehen aus zwei sich gegenüberliegenden Gruppen – den Großen und den Kleinen Kurilen.

Zum ersten Mal erwähnte der russische Entdecker Wladimir Atlassow die Kurilen.

Im Jahr 1745 wurden die meisten Kurilen-Inseln in die „Generalkarte des Russischen Reiches“ im Akademischen Atlas aufgenommen.

In den 1770er Jahren gab es auf den Kurilen ständige russische Siedlungen, die vom Kleinbürger Wassili Swesdotschotow aus Irkutsk verwaltet wurden. Laut der Landkarte von 1809 gehörten die Kurilen und Kamtschatka dem Gouvernement Irkutsk an. Im 18. Jahrhundert fand die friedliche Besiedlung der Insel Sachalin, der Kurilen und des nordöstlichen Teils von Hokkaido durch die Russen weitestgehend ihr Ende.

Gleichzeitig mit der Erschließung der Kurilen durch Russland erfolgte die Besiedlung der nördlichen Kurilen durch die Japaner. Zwecks Abwehr von japanischen Attacken errichtete Russland im Jahr 1795 ein Fort auf der Insel Urup.

Seit 1804 entstand auf den Kurilen de facto eine Doppelherrschaft: Auf den nördlichen Inseln ließ sich vor allem der russische und auf den südlichen der japanische Einfluss spüren. De jure gehörten allerdings alle Inseln Russland an.

Am 7. Februar 1855 wurde der erste russisch-japanische Handels- und Grenzvertrag geschlossen. Dort wurden die Friedens- und Freundschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern verankert und die Grenzlinie im Raum um die südlichen Inseln, zwischen Urup und Iturup, festgelegt. Außerdem wurden dadurch drei japanische Häfen für russische Schiffe geöffnet.

Laut einem neuen Vertrag von 1875 überließ Russland Japan 18 Kurilen-Inseln, während Japan Sachalin als vollwertiges russisches Gebiet anerkannte. Zwischen 1875 und 1945 gehörten die Kurilen vollständig Japan.

Am 11. Februar 1945 signierten Josef Stalin, Franklin Roosevelt und Winston Churchill ein Abkommen, wonach die Kurilen nach dem gewonnenen Krieg gegen Japan an die Sowjetunion übergeben werden sollten.

Am 2. September 1945 kapitulierte Japan und akzeptierte die Bedingungen der Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945, die die japanische Souveränität auf Honshu, Kyushu, Shikoku und Hokkaido sowie mehrere kleinere Inseln beschränkte. Iturup, Kunaschir, Schikotan und Habomai gehörten ab sofort der Sowjetunion.

Nach einem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 2. Februar 1946 wurden Iturup, Kunaschir, Schikotan und Habomai an die Sowjetunion angeschlossen.

Am 8. September 1951 schloss Japan auf einer internationalen Konferenz in San Francisco einen Friedensvertrag mit den 48 Mitgliedsländern der antifaschistischen Koalition und verzichtete auf jegliche Rechte bzw. Ansprüche auf die Kurileninseln und Sachalin.

Die sowjetische Delegation verweigerte allerdings die Unterzeichnung, weil sie das Dokument als eine separate Vereinbarung zwischen den USA und Japan betrachtete. Damit blieb die Frage der Zugehörigkeit der südlichen Kurilen de jure offen. Die Kurilen waren nicht mehr japanisch, konnten aber nicht sowjetisches Territorium werden. Unter Berücksichtigung darauf stellte Japan 1955 Ansprüche auf alle Kurilen-Inseln und den südlichen Teil Sachalins. Nach zweijährigen Verhandlungen näherten sich Moskau und Tokio an: Japan beschränkte seine Ansprüche auf Habomai, Schikotan, Kunaschir und Iturup.

Am 19. Oktober 1956 wurde in Moskau eine gemeinsame Deklaration über die Einstellung des Kriegszustands zwischen der UdSSR und Japan und über die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen unterzeichnet. Außerdem akzeptierte die sowjetische Führung die Übergabe von Habomai und Schikotan an Japan nach der Schließung eines Friedensvertrags.

Nachdem Japan und die USA 1960 einen Sicherheitsvertrag geschlossen hatten, setzte die Sowjetunion ihre Verpflichtungen im Sinne der Deklaration von 1956 außer Kraft. Während des Kalten Kriegs sprach Moskau niemals davon, territoriale Probleme mit Japan zu haben. Erstmals wurde dieses Problem in einer gemeinsamen Erklärung von 1991 anerkannt, die bei einem Japan-Besuch des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow unterzeichnet wurde.

Im Oktober 1993 signierten der russische Staatschef Boris Jelzin und der japanische Premier Morihiro Hosokawa in Tokio eine Erklärung, in der sie die Bereitschaft zur Fortsetzung der Verhandlungen äußerten, um über die Zugehörigkeit der Inseln zu entscheiden und endlich den Friedensvertrag zu schließen.

In den letzten Jahren bemühen sich die Seiten, das praktische Zusammenwirken in Bezug auf die Inseln auszubauen. Dank diesen Aktivitäten dürfen die früheren japanischen Bewohner dieser Inseln bzw. ihre Familienangehörigen seit September 1999 gemäß einer Vereinbarung die Inseln ohne besondere Formalitäten besuchen. Außerdem kooperieren Moskau und Tokio im Fischfang um die südlichen Kurilen aufgrund eines Abkommens von 1998.

Die japanische Seite beansprucht die südlichen Kurilen im Sinne des Handels- und Grenzvertrags von 1855, der die japanische Zugehörigkeit der Inseln vorsah, und verweist darauf, dass diese Inseln nicht zu den Kurilen gehören, auf die Japan laut dem Friedensvertrag von San Francisco von 1951 verzichtet hatte. Von der Regelung des Gebietsstreits hänge die Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Moskau ab, betont man in Tokio.

Die russische Seite stützt sich in der Territorialfrage auf die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die Vereinbarungen der Alliierten (das Abkommen von Jalta vom 11. Februar 1945 und die Potsdamer Erklärung). Außerdem verweist Moskau darauf, dass die Zugehörigkeit der Inseln international anerkannt wurde und keinem Zweifel unterliegt.

Moskau steht zu den früher getroffenen Vereinbarungen über die Fortsetzung der Friedensverhandlungen mit Japan, insbesondere über die Regelung der territorialen Angelegenheiten, besteht allerdings darauf, dass eine Lösung beiderseitig akzeptabel sein sollte und die Souveränität und die nationalen Interessen Russlands nicht verletzen dürfte. Außerdem sollte eine Einigung um die Kurilen von der Öffentlichkeit und den Parlamenten beider Länder unterstützt werden.

In den letzten Jahren hat der negative Einfluss des Gebietsstreits auf die Entwicklung der russisch-japanischen Beziehungen wesentlich nachgelassen. In erster Linie lässt sich dieser Trend auf die jüngste Festigung der internationalen Positionen Russlands zurückführen. Außerdem hat man in Tokio Verständnis dafür, dass die Beziehungen mit Russland, unter anderem die bilaterale Handels- und Wirtschaftskooperation, eine große Bedeutung angesichts der Entwicklung der russischen Wirtschaft und der Attraktivität des russischen Marktes für japanische Investitionen haben.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. November 2010; http://de.rian.ru

Aktuelle Meldungen: Der Streit eskaliert (Chronologie)

Medwedew will umstrittene Kurileninseln besuchen - Tokio droht mit Konsequenzen

MOSKAU, 29. September (RIA Novosti).
Das japanische Außenministerium hat sich besorgt über die geplante Reise von Russlands Präsident Dmitri Medwedew auf die Kurilen-Inseln geäußert und vor Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten gedroht.
Zu vier dieser Inseln, die den Pazifik vom Ochotskischen Meer trennen und die die Sowjetunion im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs übernommen hatte, erhebt Japan seitdem Rückgabeansprüche.
Der russische Botschafter in Tokio Michail Bely wurde am Mittwoch (29. Sept.) ins japanische Außenamt zitiert, wie die japanische Agentur Kyodo berichtete. Dem russischen Diplomaten sei nahegelegt worden, dass Japan die südlichen Kurilen als sein Hoheitsgebiet betrachte und dass ein Besuch des russischen Staatschefs auf diesen Inseln das bilaterale Verhältnis zwischen beiden Staaten „schwer belasten“ würde. Zugleich hieß es, dass Russland ein wichtiger Partner Japans im Asiatisch-Pazifischen Raum sei.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte am Mittwoch angekündigt, in der nächsten Zeit die Kurilen-Inseln zu besuchen. „Ich werde unbedingt hin fliegen. Das ist eine sehr wichtige Region unseres Landes“, sagte er in Petropawlowsk-Kamtschatski. Die japanische Regierung rief daraufhin Medwedew auf, auf die Reise zu verzichten.
Die Kurilen sind eine etwa 1200 Kilometer lange Ansammlung von mehr als 30 großen und kleinen Inseln. Sie liegen zwischen der russischen Halbinsel Kamtschatka und der japanischen Insel Hokkaido. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel der gesamte Inselbogen an die Sowjetunion, was völkerrechtlich festgehalten wurde.
Japan hält die südlichen Inseln Iturup, Kunaschir, Schikotan und die unbewohnte Inselgruppe Habomai für unrechtmäßig besetzt und fordert deren Rückgabe. Dabei beruft sich Tokio auf den bilateralen Handels- und Grenzvertrag von 1855, wonach diese Inseln als japanisch anerkannt worden waren.
Der Streit behindert bis heute den Abschluss eines offiziellen Friedensvertrags zwischen Moskau und Tokio. Stattdessen unterzeichneten beide Staaten 1956 eine gemeinsame Deklaration, mit der der Kriegszustand beendet wurde.
Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan bekräftigte nach seinem Amtsantritt im Juni 2010, Japan betrachte vier südliche Kurileninseln als sein Hoheitsgebiet. Medwedew kündigte am 10. September am Rande des Internationalen Politikforums in der russischen Stadt Jaroslawl an, Russland werde die Beziehungen mit Japan ungeachtet des Gebietsstreits ausbauen.


Russland warnt Japan vor Kritik an Medwedews Kurilen-Besuch

MOSKAU, 30. September (RIA Novosti).
Die Regierung in Moskau hat Japans Kritik an Dmitri Medwedews Plänen, die umstrittenen Kurilen-Inseln zu besuchen, als „unakzeptabel“ zurückgewiesen.
„Der russische Präsident entscheidet selbständig über die Routen seiner Reisen innerhalb des eigenen Landes. Ratschläge aus dem Ausland sind in diesem Zusammenhang unakzeptabel und fehl am Platz“, betonte Andrej Nesterenko, Sprecher des russischen Außenministeriums, am Donnerstag (30. Sept.).
Der japanische Regierungssprecher Yoshito Sengoku hatte am Mittwoch gesagt, die Regierung in Tokio fordere Medwedew auf, den geplanten Kurilen-Besuch abzusagen. Kurz davor teilte der russische Präsident mit, er wolle die Inseln demnächst „unbedingt“ besuchen.


Medwedew: „Russland ist an der Entwicklung der Kurilen interessiert“

INSEL KUNASCHIR (Gebiet Sachalin), 01. November (RIA Novosti).
Russland ist an der Entwicklung der Inselkette interessiert und wird Mittel in diese Region des Landes investieren. Das sagte der russische Präsident Dmitri Medwedew, der am Montag (1. Nov.) auf der südlichsten Kurileninsel Kunaschir gelandet ist.
Medwedew war auf der Insel zu Gast bei einer dort lebenden Familie. „Wir sind daran interessiert, dass die Menschen hier bleiben. Es ist wichtig, dass es hier eine Entwicklung gibt. Wir werden unbedingt Mittel in diese Region investieren“, sagte Medwedew beim Teetrinken mit den Gastgebern.
Der Präsident interessierte sich bei der Familie für die Versorgung mit Lebensmitteln und das Gesundheitssystem und erfuhr, dass Lebensmittel mit Schiffen auf die Insel angeliefert werden, und es alles Lebensnotwendige auf der Insel gebe.


Kurilen-Streit: Japan beruft Botschafter aus Russland ab

MOSKAU, 2. November (RIA Novosti).
Japan beruft im Zusammenhang mit dem Kurilen-Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew seinen Botschafter in Russland vorübergehend ab. Das teilte die Nachrichtenagentur Kyodo unter Hinweis auf eine Erklärung des japanischen Außenministers Seiji Maehara mit.
Über die bevorstehende Abberufung des Botschafters teilte der Außenminister Journalisten auf einer Pressekonferenz am heutigen Dienstag (2. Nov.) mit.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew war am 1. November auf der südlichsten Insel der Großen Kurilenkette gelandet. Dies war der erste Besuch eines russischen Staatschefs auf den Kurilen. Wegen dem Streit um die territoriale Zugehörigkeit der ostasiatischen Inselkette können Moskau und Tokio seit 1945 keinen Friedensvertrag miteinander unterzeichnen.
Am Montag (1. Nov.) hatte der japanische Premierminister Naoto Kan sein Bedauern zum Kurilen-Besuch Medwedews zum Ausdruck gebracht. Außenminister Seiji Maehara zitierte den russischen Botschafter zu sich und übergab ihm den Protest der japanischen Seite.

** Alle Meldungen: RIA Novosti




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